"Allez Calais!": Fußball auf der Bühne
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Annika SchlüterEine Erzählerin, ein Orchester und denkwürdige Erinnerungen. „Allez Calais!“ [frz. Los Calais, A.d.R.] ist ein Theatermonolog des italienischen Journalisten Osvaldo Guerrieri, der die Legende der Amateurmannschaft von Calais erzählt, die im Jahr 2000 das Finale des französischen Fußballpokals gegen Nantes bestritten hat.
Ein exzellenter Versuch, Fußball auf die Bühne zu bringen und epische Emotionen wieder aufleben zu lassen.
Marianella Bargilli läuft von einer Ecke der Bühne zur anderen und hebt jubelnd ihre Arme. Die Schauspielerin erzählt von der grandiosen Woche vor diesem epischen Spiel im französischen Nationalstadion Stade de France, während der die kleine Mannschaft der vierten Liga (Calais) den Titelverteidiger (Nantes) vor 80.000 Zuschauern im Finale des französischen Fußballpokals herausgefordert hatte. Die kleine nordfranzösische Stadt Calais, vergessener Durchfahrtsort, in dem die Engländer ihre Einkäufe erledigen, lebt plötzlich einen Traum, sieht, wie seine Straßen von Journalisten belagert werden und tritt aus seiner Benommenheit hervor.
Medienaufgebot und Emotionen
Calais lässt eine Mannschaft nach der anderen ausscheiden: Erst Lille, dann Bordeaux und Straßburg. „Nach jeder Runde stieg das Medienaufgebot um zwei Stockwerke“, erklärt Nicolas Thiriot, der Sohn des damaligen Managers der Mannschaft, Claude Thiriot, und heutige Präsident des wohltätigen Vereins Calais 2000. Zur Premiere im Pariser Théâtre Mouffetard saß er im Publikum und konnte seine Emotionen nicht verstecken.
Die Italienerin Marianella Bargilli spielt die Rolle des postmodernen Homer bereits seit 2009, als die Regisseurin Emanuela Giordano den Text von Literaturkritiker Osvaldo Guerrieri zunächst in Italien auf die Bühne brachte. „Ich habe mich in meinem Leben nie für Fußball interessiert und ich bin nicht nach Calais gefahren, um diese Momente zu erleben, erklärt uns Guerrieri. "Ich habe die Geschichte aus Sicht der Stadt erzählt, mit erfundenen Personen und Geschichten, um die Wiedergeburt einer Stadt durch ein Fußballspiel zu erzählen.“
Nicolas Thiriot weiß davon nichts: „Ich glaube, dass der Autor eine saubere Recherchearbeit geleistet hat, um die Ereignisse dieses Tages getreu wiederzugeben.“ Die Konditorin, der Fischer und die Lehrerin sind keine realen Charaktere, ihre Gefühle allerdings sind authentisch: Die Hauptdarstellerin Marianella Bargilli führt uns in Dialoge zwischen überraschenden Personen ein, die stolz sind in einer Gemeinschaft zu leben, die leidet, sich aber bewährt und glücklich ist aus ihrer Einöde herauszukommen, um sich auf den ersten Rängen wiederzufinden.
„David gegen Goliath“
„Die Bäckerin hatte zum Anlass des Spiels sogar gelb-grüne Teilchen in Form von Kanarienvögeln - Spitzname der Spieler von Nantes - gebacken", erzählt Marianella auf der Bühne. „Die hauen wir in einem Zug weg!“, kommentiert ein Passant. Sowohl auf Italienisch als auch Französisch nimmt uns die Protagonistin über die Worte des französischen Journalisten Frédéric Sugnot der Humanité [frz. Tageszeitung, ehemals Parteizeitung der Kommunistischen Partei Frankreichs PCF; A.d.R.] mit auf Entdeckungsreise durch die Stadt in Euphorie. Der Journalist kommt zunächst gelangweilt und skeptisch daher, durchstreift jedoch alsbald freudestrahlend Begegnungen, Gerüchte und die Musik einer feiernden Stadt. Vor allem fasziniert ihn aber die Bescheidenheit der Protagonisten: der spanische Trainer und städtische Angestellte Ladislas Lozano, der Torhüter Cédric Schille, der Stürmer und Supermarktgehilfe Michael Gerard.
„Allez Calais!“ bringt einen hyperbolischen „David gegen Goliath“ auf die Bühne, der es schafft die Atmosphäre des Stade de France an diesem Sonntag des 7. Mais 2000 zu ändern: „Als Calais das 1:0 schießt bleibt das ganze Stadion still, wir hören lediglich die überfüllte Tribüne der 5000 Calais-Fans.“ In Wirklichkeit fiebert ganz Frankreich für Calais. Der französische Fußallpokal steht ja geradezu für die Unterstützung kleinerer Clubs.
In genau diesem Moment schrecken die Sportexperten, darunter auch der französische Journalist Nelson Monfort von France 2 [zweiter öffentlich-rechtlicher Fernsehsender in Frankreich; A.d.R.], die heute ausnahmsweise mal zu Theaterkritikern geworden sind, von ihren Sesseln hoch: „Es ist immer schwierig aus Sport eine Fiktion zu machen, da die wirklichen Bilder zu stark sind, um sie wiederzugeben“, vertraut uns Monfort am Ende der Vorstellung an. Für die anderen und „vor allem die Frauen, die sauer sind, wenn ihre Männer am Wochenende ins Stadion gehen“, sei es jedoch eine sehr angenehme Entdeckung. „Wir finden menschliche Gefühle wieder, Hoffnung und Solidarität, mit der wir nicht gerechnet haben", erklärt uns die Schauspielerin. "Auf einmal spürt man eine ganz neue Bindung zu den Männern, die diese Geschichte schon kannten.“
Diese neue Harmonie verwirklicht sich tatsächlich - Gänsehaut inklusive - am Ende des Theaterstücks: Nantes hat bereits den Ausgleich erzielt und bringt es durch einen umstrittenen Elfmeter schließlich zu einem 2:1, der Schiedsrichter pfeift, nun ist es am damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac, den Champions den Pokal zu überreichen. Der Mannschaftskapitän von Nantes, Mickaël Landreau, geht Reginald Becque holen, den Kapitän von Calais - der „Blut und Gold“-Mannschaft. Zusammen heben sie den Pokal empor und veranlassen, einmalig in der Geschichte, einen Freudentanz eines ganzes Stadions.
„Allez Calais“ (Originaltitel „Alé Calais“) ist ein Stück geschrieben von Osvaldo Guerrieri, auf die Bühne gebracht von Emanuela Giordano, interpretiert von Marianella Bargilli, musikalisch begleitet von Ermanno Dodaro, Giovanna Famulari und Massimo De Lorenzi. Nach zwei Tourneen in Italien, ist das Stück nun bis zum 17. September im Theater Mouffetard in Paris zu sehen.
Fotos: Titelbild: ©Teatro Stabile di Calabria; Im Text ©Nicola Accardo
Translated from « Allez Calais ! » après l’épopée du petit poucet, la mise en scène !