Alice im Land der „freedom fries“
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Von Julie Lamfalussy Übersetzt von Maike Wohlfarth Alice Tempel Costa kommt aus Porto Alegre, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Rio Grande do Sul. Als Praktikantin bei der Europäischen Kommission ist sie im Dezember 2011 in Brüssel gelandet, vor allem aus persönlichen Gründen. Ihr Mann, ein junger italienischer Ökonom arbeitet in der Hauptstadt.
Sie wohnen gemeinsam in einem kleinen Appartement in einer belebten Gegend in Ixelles. Abgesehen vom traditionell regnerischen Wetter in Belgien mag die 33-jährige Brasilianerin das Leben in Brüssel und träumt davon, Freundschaften mit Belgiern zu knüpfen. Außerdem ist ihr Job äußerst bereichernd.
Die ausgebildete Landwirtin macht ein Praktikum beim Ausschuss AGRI mit dem Schwerpunkt auf ländliche Entwicklung in Spanien und Portugal, das für sie besonders interessant sei, „da sich die Art und Weise der europäischen Entwicklung sehr von der in Brasilien unterscheidet. Es gibt beispielsweise nicht so viele Systeme zur Unterstützung der Landwirte.“
Nach ihrem Praktikum würde sie gern in Europa arbeiten, um dazu beizutragen die Situation in ihrem Land zu verbessern. Beinah „gierig nach Erfahrungen“ ist es ihr Ziel, so viel wie möglich zu lernen und dann vielleicht doch nach Brasilien zurückzukehren. „Meine Freunde sagen mir immer wieder, dass sich in Brasilien neue Möglichkeiten aufgetan haben und ich sehe auch selbst, dass sich die Dinge geändert haben. Das Land befindet sich in einem steilen wirtschaftlichen Aufschwung. Aber Europa auch, es gibt so viele Chancen, die man ergreifen könnte! Deshalb würde ich gern hier bleiben und danach... wer weiß das schon?“
Brüssel - eine persönliche Wahl
Die Gründe dafür, dass Alice schließlich nach Belgien kam, liegen über fünf Jahre zurück, als sie zum ersten Mal nach Europa reiste. Damals arbeitete sie als Freiwillige für die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, deren Sitz sich in Rom befindet. Dort lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen, dem sie später nach Brüssel folgte, wo er eine Anstellung bei einem italienischem Unternehmen gefunden hatte.
Aber wo stecken die Belgier?
Alice spricht Englisch, Italienisch und Spanisch. Außerdem ist es für sie Ehrensache, die Sprache Voltaires zu beherrschen und so kann sie sich auch auf Französisch verständigen. Sie nimmt Unterricht im Tausch gegen ein paar Stunden Portugiesisch, die sie ihren Kollegen. Auf der anderen Seite zwingt sie sich dazu, die brasilianische Gemeinschaft in Brüssel zu meiden: „Ich bin nicht hier, um Brasilianer zu treffen. Ich hätte sehr gern auch belgische Freunde, aber ich weiß nicht, wo die Belgier geblieben sind. Letztens auf einer Party waren nur Ausländer und dann ist ein Belgier gekommen und alle haben sich auf ihn gestürzt, um mit ihm zu sprechen. Leider war er die ganze Zeit beschäftigt, sodass ich nicht dazu kam mit ihm zu sprechen. Ob die Belgier wohl bereit sind ihren Freundeskreis auch für Ausländer zu öffnen?“
Tatsächlich muss man Opfer bringen, wenn man von einem Land in ein anderes geht. Die „wahren Freunde“ (und die Familie) fehlen Alice am meisten. „Du kannst hier viele Leute kennenlernen“, sagt sie, „du kannst jedes Wochenende ausgehen und Spaß haben, aber wahre Freunde zu finden ist schwer. Denn sobald du einen wirklich guten Freund gefunden hast, geht er auch schon wieder weg aus Belgien oder ich gehe selbst.“
Alice möchte wirklich „in die hiesige Kultur eintauchen“ und genießt das Leben in der Stadt. „Alles spielt sich hier ab. Es gibt alle möglichen Konzerte, eine unendliche Auswahl an Biersorten und die Pommes sind gut – die ,French friesʻ oder die ,Belgian friesʻ oder die ,freedom friesʻ“, sagt sie lachend.
Alles geht vorbei, selbst die Krise!
Als Ehefrau eines Italieners, der an seinem Land hängt, fühlt sich auch Alice ein bisschen wie eine Italienerin, wie eine Europäerin. Trotz der Krise glaubt sie an Europa. „Die EU hat sich während vieler Jahre zu dem entwickelt, was sie nun ist“, argumentiert sie. „Sie musste sich schon vielen Problemen stellen und dadurch hat sie an Stabilität gewonnen. Aber die Europäer haben nicht genug Vertrauen. Sie haben Angst, weil es etwas Neues für sie ist. Dabei gibt es überall Krisen!“
Alice erinnert sich, dass sie als Kind einige miterlebt hat: „In Brasilien, in den 90er Jahren, wäre beinah das ganze Land aufgrund der Inflation zusammengebrochen“, erinnert sie sich. „Viele Menschen waren arbeitslos und die Gehälter stagnierten. 1994 haben wir dann die neue Währung REAL eingeführt und die Lage hat sich gebessert. Am Ende gehen alle Krisen vorüber“, sagt sie bestimmt, „es ist schwer das zu glauben, wenn man mittendrin steckt, aber ich bin sicher, dass Europa eine Lösung finden wird. Das ist schließlich im Interesse aller.“