Alex Winston: Zuckerpop außen, "zynischer" Folk innen
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kflueggeEine weiche, operngeschulte Stimme beherrscht die Bühne, ein kraftvoller Sopran wie aus einer Puccini-Oper. Doch anstelle von klassischer Musik singt diese Stimme zu einer Mischung aus Pop, Folk und Elektro. Alex Winston ist gerade mal 23 Jahre alt, aber mit ihrer Musik will die Amerikanerin aus Detroit schon hoch hinaus.
Zwischen ihrer Ankunft in Paris und ihrer Abreise nach Berlin hatte sie Zeit für ein Interview.
Am Vorabend ihres Konzertes am 16.Februar im Nouveau Casino in Paris gibt Alex Winston in ihrem Hotel eine Reihe von Interviews. Ich bin ein wenig früh dran und habe das Vergnügen, dabei zuzuhören, wie sie ein Ständchen für ein amerikanisches Pärchen singt, das bestimmt gerade mit einem Glas Champagner auf seinen dreißigsten Hochzeitstag anstößt.
„Sweet“: nein danke!
Wir befinden uns nur wenige Schritte vom Place de la République entfernt. Obwohl sie erst vor wenigen Stunden angekommen ist, kann Alex Winston ihre Freude nicht verbergen: „Ich bin zum ersten Mal in Frankreich“, erklärt sie und es klingt fast, als wollte sie sich entschuldigen. „Nach dem Konzert fahre ich direkt weiter nach Berlin und Frankfurt. Aber das geht mir viel zu schnell. Ich würde am liebsten länger bleiben.“ Auch wenn ihr Name erst seit kurzem durch das Internet geistert, ist Alex alles andere als eine Anfängerin: „Alle denken ich wäre erst 19, aber ich kann stolz behaupten, dass ich bereits 23 bin und schon sehr lange Musik mache.“
Man merkt, dass sie sich nicht einfach den Stempel „Entdeckung des Jahres“ aufdrücken lassen will. Alex Winston ist ebenso wenig die „kleine Fee“ mit der japanisch anmutenden Musik, die man gerne in ihr sehen möchte. Und es stimmt schon, dass man - ich ganz besonders - beim Hören ihres Titels "Choice Notes" im Hintergrund einer Hyundai-Werbung dazu tendiert, all dies „irgendwie süß“ zu finden, aber gleich zum nächsten übergehen will. Genau das aber möchte Alex Winston verhindern. Als ich ihr sage, dass ich ihre Musik „sweet“ finde, widerspricht sie mir höflich, aber entschieden. Als Fan von PJ Harvey ist Alex sensibel für die „Wut“ in ihrer Musik. Auch wenn sie nicht vorgeben möchte, so wie die fiebrige Britin zu spielen, beschreibt sie sich freiwillig als „zynisch“. Und vor allem habe sie immer gewusst, was sie wollte.
„Kontrollfreak“
Sie ist in Detroit geboren und aufgewachsen und hat dort „all das gelernt, was sie jetzt weiß.“ Detroit ist „ihre“ Stadt. Ihre Eltern wohnen dort immer noch und Alex kehrt sehr oft dorthin zurück. 2010 zog die Sängerin nach New York. Schnell hat sie sich an die Atmosphäre des Big Apple gewöhnt, der einzigen Stadt, die einem die Chance gibt, „es in der Musikbranche zu etwas zu bringen.“ Wenn sich Alex jedoch an ihre Heimatstadt Detroit erinnert, muss sie an vergangene Tage auf kleinen lokalen Konzerten denken. „Es gibt dort gute Bands. Die Konzerte sind dynamisch, da passiert was.“ Als Jugendliche spielte Alex Winston in vielen Bands. 2007 produzierte sie zusammen mit einer dieser Bands das Mini-Album By The Roots. Aber all dies „war ein bisschen langweilig“, sie wollte „ihre eigene Musik“ machen. Und dann lohnte es sich, die richtigen Leute zu kennen - insbesondere für sie, die junge Sängerin, die gerade erst mit der Schule fertig war. „Die Jungs in der Band waren viel älter als ich. Das war cool, da sie viele Dinge wussten. Sie haben mir Musikstile gezeigt, die ich zuvor überhaupt nicht kannte.“ Heute begleitet sie das Produzenten-Duo The Knocks, die sie aber nicht bevormunden. Alex bezeichnet sich, was ihre Musik anbelangt, als „Kontrollfreak“ - sie will sich ihre Freiheit bewahren.
„Musik muss rein sein“
Bevor sie in Bands sang und die Schule schwänzte, um ihre Freunde spielen zu hören, hat Alex Winston eine klassische Gesangsausbildung erhalten. Ihre hübsche, kristallklare Stimme, mit der sie (sehr) hohe Töne erreicht, hat sie trainiert - unter anderem mit Puccini. Zehn Jahre „Opernunterricht“ haben ihr „nicht sehr viel Spaß“ bereitet, aber ihre Mutter legte großen Wert darauf. Mit ein bisschen Abstand glaubt Alex, dass es ihr tatsächlich etwas gebracht hat. „Ich habe keine Notenlehre studiert. Das einzige Instrument, mit dem ich arbeitete, war meine Stimme. Singen können bedeutet zunächst einmal atmen können.“ Ihre musikalischen Vorbilder sind „sehr amerikanisch“: das Kultlabel für Funk und Soul Motown, Chuck Berry, Bob Dylan. „Wenn ich heute Musik schreibe, denke ich nicht an Puccini“, lächelt sie.
Und woher kommt ihre Inspiration? „Sie kommt nachts, nach ein paar Gläsern!“ Die Melodien kommen immer vor den Texten - die manchmal gar keine richtigen sind: „Ich summe Worte, die gar nicht existieren: Ich brauche sie nur, um die Musik zu begleiten“. Ich sage ihr, dass das wahrscheinlich der Kern von Dichtung, insbesondere von Musik ist. Aber Alex Winston hält sich nicht für eine Dichterin. Ganz und gar nicht. Wenn man Songwriter ist, dann ist man in erster Linie Musiker. Sie hat nichts gegen engagierte Sänger, ganz im Gegenteil, aber sie glaubt, sie schäme sich zu sehr, um ihre politische Meinung preiszugeben. Auch wenn sie eine hat. Aber ihrer Meinung nach sollte „Musik rein sein“.
„Stimmen-Chamäleon“
Mittwoch, 16.Februar, der Tag nach unserem Treffen. Ich entdecke auf der Bühne des Nouveau Casino die kleine Welt von Alex Winston. Das nette Mädchen aus Detroit, mit der ich mich entspannt unterhalten hatte und die sich beklagt hatte, wie eine „kleine 19-jährige Anfängerin“ rüberzukommen, wirkt, so selbstverständlich, wie sie sich hinter dem Mikro gibt, mühelos zehn Jahre älter. Man muss gesehen haben, wie sie ihre Stimme, ihren Stil und ihren Schwung einsetzt und damit nicht nur ihr Team, sondern auch das Publikum wie ein wahrer Leitwolf anführt. Ganz in schwarz gekleidet, mit nackten Armen, präsentiert sie die sechs Titel auf ihrer EP Sister Wife. Sie spielt mit den Background-Sängern und dem Publikum, sie zeigt alle funkelnden Nuancen ihrer Stimme. Sie ist das, was sie, wie sie mir verriet, werden wollte: ein „Stimmen-Chamäleon“. Mit ihrer Stimme kann Alex Winston alles tun, was sie möchte - auf den guten alten Chuck Berry zurückkommen, auf den luftigen Tönen à la Kate Bush davonfliegen oder einfach ihr hübsches "Don’t Care about Anything" summen, die Ballade auf ihrem sehr guten (kleinen) Album. Nun gilt es ungeduldig auf Großes zu warten - sie arbeitet daran.
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von ©Alex Winston/myspace
Translated from Alex Winston : pile pop «sweet», face folk «cynique»