#Aleppo: Alle zehn Minuten
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[Kommentar] Überall Schreckensnachrichten aus Aleppo. Wie darauf reagieren?, fragt sich die Welt. Über das Nebeneinander von Alltag und Schrecken.
Etwa alle 10 Minuten klicke ich 'Neue Ereignisse' an. Alle 10 Minuten erhalte ich so mindestens 250 neue Tweets, gebaut aus Schrecken, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Vereint durch den einen Hashtag: #Aleppo. Menschen, die in Aleppo zurückgeblieben sind, posten erschreckende Bilder von schuttbedeckten syrischen Straßen, und darauf leblosen Körpern. Der Rest postet Schock.
267 neue Ereignisse.
Aleppo postet 'letzte Nachrichten' - emotionale Dokumentationen, verstörende Bilder, Hilferufe, Aufrufe an die Welt, etwas zu tun. Abschiedsbotschaften, wie man sie wohl von Sterbenden hört (ich habe noch nie jemanden beim Sterben begleitet), die nicht bereit sind, zu gehen.
Die Welt postet Beistandsmeldungen: "Wir sind bei euch", "Wir beten für euch". Postet Vergleiche: "Wieso trended Kayne, während Aleppo stirbt?" Vergleicht mit Sarajevo, mit Srebrenica, mit Ruanda, mit Warschau. Postet: "Was wurde aus dem 'never again'"? Postet Anschuldigungen: Die EU schloss die Grenzen, ist schuld. Obama ließ Syrien rote Linien überschreiten, ist schuld. Postet, postet frenetisch für #saveAleppo. Postet gegen die Sprachlosigkeit.
366 neue Ereignisse.
Das Assad-Regime erzielt mit Rückendeckung aus Russland seit November Erfolge darin, den Ostteil von Aleppo zurück zu erkämpfen. Wenige Kilometer, die nun wohl bombardiert und gestürmt werden. Das UN-Menschenrechtsbüro spricht von einer regelrechten Hinrichtung von 82 Zivilisten. Auf offener Straße.
209 neue Ereignisse.
"Ruft eure Parlamentarier und Regierungen an und schreibt ihnen, fordert sie auf, den Genozid zu stoppen!", schreibt Lina Shamy auf Twitter. Es wird Leute geben, die zum Hörer greifen. Mailt dem russischen Botschafter in Brüssel, postet eine junge Französin samt der persönlichen Adresse des Botschafters auf Facebook. Eine in Berlin lebende Polin ist so mitgenommen, dass sie zu einem Solidaritätsmarsch von Berlin nach Aleppo aufruft. In istanbul, London, Paris und vielen anderen Städten sind Menschen spontan gegen das Massaker an den Syrern auf die Straße gegangen. Andere werden Bilder und Artikel reposten, sich mit Freunden austauschen - oder eben den Newsfeed schließen. "Heute fühle ich mich als Versager. Meine fast 25 Jahre Kriegsberichterstattung haben nichts verändern können", schreibt die Journalistin Janine di Giovanni.