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Ahiska: Exodus in ein unbekanntes Land

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Politik

Vor drei Jahren begann das Umsiedlungsprogramm der Ahiska Türkleri aus Russland in die USA. Doch was erwartet jene Ahska, die es bisher nicht über den Atlantik geschafft haben?

Für den französischen Philosophen Jacques Rancière ist die Demokratie ein Skandal, der jede Gesellschaft erschüttert: Die Reichen, Mächtigen und Weisen bemühen sich, ihre Privilegien zu sichern und alles und jeden in die Schubladen der bestehenden Ordnung einzusortieren. Demokratie beginnt dagegen genau dann, wenn die Ausgeschlossenen zu sprechen beginnen: einen Platz in eben der Gesellschaft einfordern, die sie ausschließt. Demokraten sind Holzwürmer in den tragenden Balken der etablierten Ordnung. Die Ahska Türkleri im südrussischen Krasnodarer Gebiet, in den Medien als 'meskhetische Türken' bekannt, sind Ausgeschlossene, die sich weigern zu schweigen. Am 13. Juli versammelten sich gute 50 von ihnen zu einem Runden Tisch in Krasnodar zum Thema "Flüchtlinge und/oder Umsiedler: drei Jahre nach der Ausreise der ersten Gruppe Türken-Meskheten in die USA".

Nach mehrjährigen Vorarbeiten hatte im Januar 2004 ein Sonderprogramm für die Übersiedelung von Ahska aus dem Krasnodarer Gebiet in die Vereinigten Staaten begonnen. Für die Älteren unter den bis heute 11.215 Umsiedlern war die Reise bereits der dritte Exodus in ein unbekanntes Land. Am 1. Oktober dieses Jahres endet das Programm. Nicht alle Ahska haben es in die USA geschafft: Sie leben vorerst weiter in einer Situation der Ungewissheit und Rechtlosigkeit.

Vertreibung und American Dream

Die Geschichte der 300.000 Ahska im 20. Jahrhundert wurde durch Flucht und Vertreibung geprägt. Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten sie als turksprachige Muslime im Süden Georgiens, im Gebiet "Meskhetien" an der Grenze zur Türkei. Im November 1944 ließ Joseph Stalin auf einen Schlag 90.000 von ihnen ins zentralasiatische Fergana-Tal, zum großen Teil nach Usbekistan, deportieren. Wegen der Nähe zu den Türken galten sie in der Sowjetunion als "unzuverlässiges Volk". Bis zur zweiten Phase der Perestroika in den späten 1980er Jahren hatten sie keine Möglichkeit heimzukehren. In den Jahren 1989 und 1990 kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit nationalistischem Hintergrund, bei denen über 100 Ahska starben, über 1.000 verletzt wurden. Die zweite Emigration setzte ein: An die 20.000 Ahska flohen aus Zentralasien. Die Sowjetadministration fürchtete bei einer möglichen Rückkehr nach Georgien weitere Auseinandersetzungen zwischen den Ahska und der örtlichen Bevölkerung und schickte sie stattdessen ins Landesinnere der Russischen Föderation. Doch viele Ahska hielten sich nicht an die zugewiesenen Wohnorte und zogen so dicht wie möglich an ihre alte Heimat im für sie gesperrten Georgien: ins südrussische Krasnodarer Gebiet.

Hier, so berichtete beim Runden Tisch Vadim Karastelev vom Novorossiisker Komitee für Menschenrechte, lebten sie als Ausgeschlossene und wurden von den Behörden offen diskriminiert. Entgegen anderslautender Gesetze sei vielen die russische Staatsbürgerschaft verweigert worden. In Russland besteht eine Pflicht zur Registrierung jedes Menschen an seinem Aufenthaltsort. Ohne Staatsbürgerschaft erhalten die Ahska keine Registrierung. Ohne Registrierung können die Kinder nicht wie russische Kinder umsonst in die Schule gehen. Ohne Registrierung gibt es keine legale, einigermaßen gut bezahlte Arbeit. Und ohne Arbeit ist kein Geld vorhanden, um Schulgeld zu bezahlen. Ohne Registrierung verteilt die Miliz bei den häufigen Ausweiskontrollen aller "icht-slawisch" Aussehenden Bußgelder.

Bis 2004 gelang es Vadim Karastelev und seinen KollegInnen beim Novorossiisker Komitee für Menschenrechte mit Vertretern der USA ein Programm einzurichten, mit dem die große Mehrheit der Ahska aus dem Krasnodarer Gebiet in die USA übersiedeln konnte. Der 18-jährige Mustafa Konnijew etwa konnte vor zwei Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder in den US-Bundesstaat Arizona ziehen. Zu Besuch bei Verwandten im Krasnodarer Gebiet, berichtete er den Teilnehmern am Runden Tisch von seinen Erfahrungen: "In Amerika half ein spezieller Manager mit all den Dokumenten, mit der Schule und dabei, Arbeit zu finden. Mittlerweile bin ich in der 12. Klasse der Cortés High School in Phoenix. Wenn ich einen guten Abschluss schaffe, möchte ich Banker oder Anwalt werden." Was ihm besonders gefällt: "In Amerika sind alle gleich. In Russland war ich der einzige Farbige an der Schule und wurde von der Russisch-Lehrerin erniedrigt."

Strohhalm Hoffnung

Um die 2.000 Ahska haben es bis heute nicht in die USA geschafft. Sie leben weiter im Krasnodarer Gebiet. Einige wollten bleiben, andere wurden von den US-Behörden abgelehnt. Zu letzteren gehört die 31-jährige Kamila Lamidze, die beim Runden Tisch die Gelegenheit nutzte und sich an den Verwaltungsvertreter Wladimir Nikolajewitsch Koschel wandte: "Man hat uns gesagt: Nur wenn sie ein Haus kaufen, erhalten sie die Staatsbürgerschaft. Wenn das Haus auf ihren Namen eingetragen ist. Wir wohnen aber in einer Wohnung, und wir kriegen keine Registrierung. Wie sollen wir leben? Sagen Sie es uns." Koschel notiert sich den Namen der Frau. Mittlerweile geht es Frau Lamidze nicht mehr bloß um die Registrierung. Ihre Eltern, ihre beiden Brüder und ihre Schwester leben in den USA, sie ist mit ihrem sechsjährigen Sohn zurückgeblieben. Die Familie ist ihr wichtig, sie möchte ihnen in die USA folgen. Doch sie erhielt bisher nur Absagen. Lamidze ist ratlos: "Wir wissen nicht, an wen wir uns noch wenden sollen."

Eine private Besprechung nach dem Runden Tisch, zwischen Vadim Karastelev und den Ahska. Erst hier können sie ohne Furcht ihr weiteres Vorgehen besprechen: Welche Dokumente sie noch sammeln können, um die kleine Chance zu nutzen, noch nach Ende des offiziellen Programms am 1. Oktober über Einzelfallregelungen in die USA auszureisen. Der Strohhalm, an den sich viele klammern, heißt "Hoffnung". Kamila Nadzira sagt: "Unsere Hoffnung ruht auf dem Komitee für Menschenrechte." Eine Hoffnung, die nicht zuletzt auf einen Ort in der Welt gerichtet ist, an dem den Ahska das grundlegendste der Menschenrechte zuerkannt wird: das Recht darauf, Rechte zu haben.

(Foto Homepage: Asli Kadan aka Heliothrope/ Flickr)