Agop Hacikyan: "Ich habe nicht das Gefühl, meine Kultur ins Englische zu übersetzen"
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TextwolffDer verschmitzte, armenisch-kanadische Autor spricht über seinen neuesten Roman, über Schreibtipps, die Brückenfunktion zwischen Kontinenten - und über seine Meinung zu einer EU-Aufnahme der Türkei.
Seinen neuesten Roman, The Lamppost Diary (Tagebuch eines Laternenpfahls), kann man kaum aus der Hand legen. Ein Entwicklungsroman aus Istanbul vor dem Hintergrund des Völkermords an den Armeniern 1915 und dem Zweiten Weltkrieg, geprägt von dem klaren Duktus eines Autors, der alle Register seiner Arbeit beherrscht, ohne jedoch die Vorstellungskraft des Lesers zu opfern. „Beim fiktionalen Schreiben ist man frei. Man kann übertreiben, ein Ereignis vergrößern, und dies war ein Schreibvorgang, bei dem ich mich besonders frei gefühlt habe“, erläutert Agop Hacikyan, mit vor Wachheit glitzernden blauen Augen. „Egal was man schreibt, bei allem ist da immer auch ein biografisches Element.”
Türkisch ist nicht das Thema
Wir treffen Hacikyan in einem Café gegenüber seines Verlegers in Westbourne Grove, London. Das Klirren von Teetassen und sein Lächeln sind eine willkommene Erholung von der Straße, die draußen vor Hysterie pulsiert. Hacikyan verrät, dass der Roman aus einer Kurzgeschichte hervorging: Im ersten Kapitel erfährt der siebenjährige Agop durch einen Priester seines Internats vom plötzlichen Tod seiner Schwester. Doch diese starb bereits vor einem Monat und seine Eltern wollten ihm die Nachricht ersparen. Für einen Augenblick erlischt sein stets gegenwärtiges Lächeln. „Sie wissen, wenn etwas traurig ist, verwandelt sich die Trauer üblicherweise in Freude an der Kunst.“
Im Verlauf des gesamten Romans begleitet der Leser die Hauptfigur: Tomas Aufwachsen in Istanbul als Kind armenischer Eltern, der jugendliche Tomas und sein Zusammenstoß mit dem Terrorismus, Tomas Ausflug in den Journalismus und Tomas, der aus der Türkei nach Kanada geht. Hier gibt es Parallelen zu Agop selbst, der nach einem erfolgreichen Start seines Ingenieurstudiums gleichfalls die Türkei verließ, um seinen literarischen Ambitionen zu folgen. Nach Anstellungen in New York und einem Doktortitel aus London hat er sich im kanadischen Montreal niedergelassen.
Der unabhängige Verlag Telegram Books mit Niederlassungen in London, San Francisco und Beirut, hat sich stets für die Arbeiten orientalischer Autoren eingesetzt. Meinen Versuch, ihn auf eine bestimmte „Regionalität“ festzulegen, schüttelt Agop ab. Er schreibt auf Englisch, obwohl er in der Vergangenheit auch auf Französisch geschrieben hat. Doch wie fühlt sich Agop, wenn er spezifisch türkische Themen vor einer englischsprachigen Leserschaft ausbreitet? „Wie jeder englischsprachige Schriftsteller, der über Themen aus anderen Kulturen geschrieben hat. Nur, dass ich sehr viel über die Kultur weiß, die ich beschreibe, und darin keine Schwierigkeit sehe. Ich habe nicht das Gefühl, meine Kultur ins Englische zu übersetzen. Ich schreibe über etwas, was mich ausmacht, darüber wer ich bin und was ich weiß und was ich sehe, das ist alles.“ Die Frage danach, wie türkisch er sich fühlt, wischt er beiseite: „Man hat seine Kultur, aber es gibt so viele Einflüsse: Ich bin mit einer Französin verheiratet, meine Kinder sind halb Franzosen, halb Kanadier und meine Tochter hat einen Kolumbianer geheiratet. Sagen Sie mir, was ich jetzt bin!“
Europa klopft an die Tür der Türkei
Agops Karriere umfasst vierzig Veröffentlichungen. Sein vorheriger Roman Jenseits der Morgenröte (A Summer Without Dawn, 2000) wurde in sieben Sprachen übersetzt. Trotz aller Weltläufigkeit bewahrt sich Agop schelmischen Humor und erfrischende Zielstrebigkeit der Schriftstellerei gegenüber: Ein Schriftsteller soll eine bestimmte Überzeugung und einen Ethos haben, muss aber auch unterhalten. „Die eigene Überzeugung gewinnt nur Kraft, wenn man sie durch eine Erzählung ausdrückt, durch eine interessante Erzählung. Dann wird man gelesen, ohne dass sich die Leser unangenehm belehrt fühlen. Sonst können die Leser ja auch zu einer Zeitung greifen.“ Hacikyan selber liest auf breiter Front: Englisch, Französisch, Türkisch und Armenisch. Zu seinen offenkundigsten Einflüssen zählt er Paul Auster, Philip Roth, Milan Kundera und William Saroyan, einen amerikanischen Dichter, der ebenfalls armenische Wurzeln hat.
In dem gesamten Roman - The Lamppost Diary - scheint es, als wären da ein Europa, das bei der Türkei anklopft und eine Türkei, die sich dieser Annäherung widersetzt. Eine Türkei, die sich bemüht, ihre Neutralität beizubehalten, und die gleichzeitig die ethnischen Minderheiten in der Türkei erdrückt. Allgegenwärtig ist in diesem Roman das Schweigen: Vom Schweigen der älteren Armenier, die davor zurückschrecken, den Völkermord mit ihren Kindern zu besprechen, bis zu mangelnder Redefreiheit. Die Hauptfigur Tomas gründet als junger Student eine Literaturzeitschrift für armenische Texte, die dann Schwierigkeiten bekommt. Heute stellen die 70.000 türkischen Armenier die größte nicht-muslimische Minderheit. Zu der Frage, ob sich künftige Generationen vor einem erfolgreichen EU-Beitritt mit diesem Schweigen auseinandersetzen müssen, äußert sich Agop eher knapp. „Das wird ein langer, langer Weg“, sagt er, während sein Gesicht einen fast nostalgischen Ausdruck annimmt.
„Mein Schreiben über die Türkei geschieht unter dem Einfluss meines Geburtsorts und der Mentalität. Beim Schreiben tritt eine unbewusste Interferenz auf, die fürchterlich unbewusst ist und uns fürchterlich gut tut.“ Dem Geist ist es nicht möglich, sich von der eigenen Vergangenheit und dem Hintergrund zu lösen, doch ein Schriftsteller fühlt sich verpflichtet, etwas Neues zu schreiben. „Aber das ist völlig unmöglich. Jeder hat seinen persönlichen Hintergrund! Sie, Ihre Eltern, Ihre Umgebung, Ihre Ausbildung und all das ist immer vorhanden.“
Beharrlichkeit ist der wichtigste Rat, den Agop jüngeren Schriftsteller gibt. „Und ich möchte noch betonen, dass ein guter Agent Wunder wirken kann! Auch wenn man bereits etabliert ist“, fügt er hinzu. Blondierte Locken umwehen uns und schließen das Café. Als wir uns zum Gehen erheben, funkeln Agops Augen wieder. „Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, das tun zu können, was ich immer machen wollte.“
Foto: ©Renata Burns
Translated from Agop J. Hacikyan: 'I don’t feel I am translating my culture into English'