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Agnes Obel: Glück und gläserne Bürger

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cafébabel DE

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Die dänische Singer-Songwriterin vereint auf ihrem neuen Album Citizen of Glass hypnotische, beruhigende und verstörende Sounds, die nachdenklich machen. Eine Bgegenung mit der Künstlerin, die sich „wie ein Kristall“ fühlt.

„Es ist schon komisch. Ich bin sehr glücklich Musik machen zu können. Aber es ist nicht so einfach darüber zu sprechen“, erklärt Agnes Obel mit leiser Stimme. Für die Sängerin und Songwriterin existieren keine Gemeinplätze. Trotz des Anscheins versteckt sie ihre Schüchternheit sehr gut und atmet ein verstecktes Glück, das nur wirklich freie Menschen auszeichnet.

Im Innenhof eines Pariser Hotels und in einem langen schwarzen Kleid ist sie für die Promo ihres dritten Albums Citizen of Glass zu Besuch aus Berlin gekommen, wo sie seit 10 Jahren lebt. Das neue Album ist Obels Versuch, unseren Blick auf die Realität zu betrachten. Auch wenn ihr Terminkalender überfüllt ist, lächelt Agnes und nimmt sich Zeit, bevor sie vorsichtige Antworten formuliert.

Agnes Obel spricht nicht gern über sich selbst - und trotzdem ging ihr neuestes Album von einer Emotion aus. Agnes, hast du selbst das Gefühl aus Glas zu sein? „Ich mag diese Frage, da ich mich tatsächlich so fühle. Wenn du Songs schreibst, wirst du irgendwann selbst zu dem Material, aus dem deine Musik besteht. Du, deine Freunde, deine Familie, persönliche Krisen, emotionale Brüche… All das wird ständig hinter einer Glaswand ausgestellt - sichtbar für alle“, erklärt Agnes Obel.

Nachdenken über dieses Phänomen tut sie seit Längerem, eigentlich, seitdem sie in den deutschen Medien viel den Ausdruck ‚gläserner Bürger‘ vernommen hat. Der Begriff bezieht sich auf das Niveau unserer Privacy, auf das, was wir selbst über uns wissen und was eben nicht. „Das schien mir ein so schönes und poetisches Konzept, dass ich dachte, ich könnte es vielleicht mit dem Gefühl zusammenbringen, wenn man sich aus Glas fühlt. Im Endeffekt dreht sich das ganze Album genau darum“, so Obel.  

„Familiar“ - erste Singleauskopplung von Citizen of Glass

Die zehn Songs auf Agnes Obels neuer Platte, die sie selbst komponiert und aufgenommen hat, vermögen es, jedes Biest zu besänftigen. Oder auch an uns Menschen zu appellieren, die wir in die Technologiefalle getappt sind, und eine Gesellschaft wachzurütteln, die nur noch gleichförmig in eine Richtung starrt. Die Melodien sind nicht allzu weit entfernt von dem, was Fans von Agnes Obels ersten Alben Philarmonics (2010) und Aventine (2013) kennen, auch wenn sie diesmal akustischen Experimenten mehr Platz eingeräumt hat. Das ergibt dann diesen schönen Mystery-Mix, der manchmal fast dunkelschwarz wirkt - voller Nostalgie und Abstraktheit. Mittendrin hört man Agnes‘ Stimme, manchmal doppelt, gepaart mit Klavier, Geigen, Klarinetten, Cello, Cembalo, mittelalterlichen Harfen und dem Synthesizer-Vorläufer Trautonium, einem Instrument aus den Zwanzigern. Das alles sind Instrumente, die mehrere Hände benötigen.

Aber Agnes ist zum Glück nicht allein. Zu jedem Konzert wird die Sängerin von einer Bande begleitet, meistens Frauen. Zusammen schaffen sie eine vielschichtige Atmosphäre, die jeden Moment in tausend mikroskopische Mosaiksteinchen zu zerteilen scheint und dabei trotzdem stabil scheint. „Glas ist genau das. Ein sehr solides und gleichzeitig zerbrechliches Material. Das ist wunderbar. Auch ich bin genau das. Es freut mich, dass diese Dichotomie aufgefallen ist, denn genau das wollte ich zeigen.“

„Unsere Liebe ist ein Fantom, das für andere unsichtbar ist“

Agnes Obel hat Musik schon immer abgöttisch geliebt. Seit ihrer Kindheit war sie dank ihrer Eltern mit Musik konfrontiert und lernte mehrere Instrumente. So lernte Agnes Klavier und ging später auf eine Musikschule. Doch je älter sie wird, desto öfter bemerkt sie, was die Leute von ihr erwarten. „Manchmal merkst du genau, wenn die Leute Erwartungen an dich stellen. Und niemand hat mir so richtig zugetraut, dass ich mich jetzt nur noch meiner Musik widme.“ Deshalb studiert Agnes Obel zunächst Literatur und Kultur- und Medienwissenschaften. „Ich habe ein bisschen von allem gemacht, obwohl ich in Wahrheit gar keine Ambitionen hatte. Aber die dänische Regierung gibt dir ein Stipendium, wenn du studierst, das ist auf jeden Fall gut. Sagen wir mal, ich habe die Scheidung um Jahre verzögert, wusste aber immer, dass das nicht mein Ding war.“

Und dann wurde alles glasklar. Mit 26 Jahren geht Agnes Obel nach Berlin und ein Glücksgefühl durchzieht sie. „Die Musik war einfach so wichtig für mich, dass ich Angst davor hatte zuzugeben, dass ich nur noch das machen wollte. Denn dann musste ich auch auf der Höhe sein. Ich hatte Angst vor einer Niederlage“, erklärt Agnes. „Wäre ich in Dänemark geblieben, dann wäre ich den Wünschen anderer gefolgt und nicht meinen eigenen.“ Agnes Obel weiß, was sie tut und warum sie es tut. Zumindest sagt sie das so. Deshalb hat sie auch nicht lange gezögert, ein Land hinter sich zu lassen, in dem die Menschen laut zahlreicher Studien eigentlich recht glücklich sein sollen. „Ich brauche viel Frieden und viel Platz, um meine Songs zu schreiben. Und genau das hat mir in Kopenhagen gefehlt“.

Wenn sie auf ihren ersten Opus Philarmonics zurückblickt, gibt sie zu, dass sie solch einen warmen Empfang nie erwartet hätte. „Es gibt etwas sehr Wichtiges, wenn du dein erstes Album machst: erwarte nichts und kreiere an einem Ort, der nur dir gehört“, erklärt sie. Dieser geheime Garten ist nur für einen selbst zugänglich.

Die ersten Songs schrieb Agnes Obel bereits als Schülerin vor über 10 Jahren. Von der dänischen Musikakademie erhielt sie seitdem mehrere Auszeichnungen und die europäische Kritik, besonders die deutsche, französische und britische, feiert den leisen Star. 2012 gewinnt Agnes Obel den European Border Breakers Award, ein von der EU-Kommission vergebenes Label für Künstler, die es schaffen, Grenzen zu sprengen. Vor ihr haben Adele, Mumford & Sons, Stromae oder Damien Rice die Auszeichnung erhalten.

„Beast“, Stück von Obels erstem Album Philarmonics 

Konzepte wie 'Europa', 'Überwinden' und 'Grenzen', an die der Preis appelliert, zeugen aber auch von einer realen Welt, die Agnes Obel stetig beobachtet. „Europa enttäuscht mich. Wir hatten die perfekte Möglichkeit, gemeinsam Lösungen zu finden. Es war der ideale Moment, um sich zu beweisen. Aber wir sind dabei zu versagen. Deutschland, und gewissermaßen auch Schweden, haben versucht, sich der Sache anzunehmen. Aber gerade Dänemark, mein Heimatland, zeigt, dass es zu einer sehr mittelmäßigen und falschen Politik fähig ist“. Sie unterbricht für ein paar nachdenkliche Sekunden: „Es schmerzt mich auch, wie all diese rechtsextremen Parteien dank einer komplett irrealen Angst mehr Terrain gewinnen“, sagt Agnes Obel, während sich eine ihrer Augenbrauen leicht hebt.

Stille ist ein Sound

Stille legt sich nun wieder in die Konversation, wie es auch in Obels Songs der Fall ist. Sie nutzt diese, um jedem Teil Sinn zu verleihen. Auch deshalb spielt sie gern mit langen Instrumentals. „Die Stille ist eine der wichtigsten Zutaten meiner Musik. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es sich dabei um eine Illusion handelt. Auch die Stille ist ein Sound. Wenn man sie jedoch mit einem anderen Sound kombiniert, erscheint die Stille als Leere“, erklärt sie. Auch die Wiederholung bestimmter Elemente charakterisiert Agnes Obels Musik und Videoclips, die sie zusammen mit dem deutschen Fotografen und Motion-Designer Alex Brüel Flagstad gedreht hat. „Diese Wiederholungen sind typisch und erzählen etwas über mich. Aber über sie möchte ich auch über die Welt nachdenken. Über diese Angst vor dem Unbekannten, die wir in Europa erleben und die die Menschen leicht manipulierbar macht.“ Geschichte wiederholt sich und wird in den Clips als eine Kristallkugel dargestellt, welche die Realität verformt - da sind identische Körper, die einstimmig tanzen oder ihr eigenes Gesicht bis zur Unendlichkeit in den Weltraum kopiert.

„Ich würde gern ein Album machen, das uns transportieren könnte. Verstehst du, was ich meine? Uns irgendwohin weit weg mitnehmen. Das ist eine meiner großen Besessenheiten. Aber momentan mache ich erstmal noch eine Reihe Alben.“ Glücklich? „Ja, sehr“, sagt Agnes Obel.

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Agnes Obel: Citizen of Glass  (Release am 21. Oktober 2016/ Pias)

Story by

Ana Valiente

Spanish freelance journalist based in Madrid. Currently exploring the boundless world of documentary filmmaking.

Translated from Agnes Obel, de cristal y hierro