Adieu, Dany le Rouge!
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Gestern hat sich Daniel Cohn-Bendit offiziell in Paris aus der Politik verabschiedet. Was bleibt vom Lautsprecher von 68?
An seinem letzten Abend in Paris wird Daniel Cohn-Bendit von seiner eigenen Partei angeklagt. Das Idol vom Mai 68, der einzige wirklich bekannte Europapolitiker, sitzt zusammengesunken als Beschuldigter vor dem Tribunal, das seine grünen Weggefährten für ihn errichtet haben. Die Anklageliste ist lang: sprachliche Polygamie, Europa-Obsession, Probleme mit Autoritäten (vor allem französischen Staatspräsidenten) und die Unfähigkeit den Mund zu halten. Die Grünen spielten den Abschied von Cohn-Bendit in einem Theaterstück, so als würde er gar nicht wirklich gehen. Die Wahrheit ist wohl zu schmerzhaft für die Partei, die nun ihre unumstrittene Nummer eins verloren hat. Was hat diesen deutsch-französischen Politiker über Jahrzehnte so faszinierend gemacht?
Letzte Rede Daniel Cohn-Bendits im Europäischen Parlament
Heute muss man nach politischen Vorbildern, geschweige denn Popstars, lange suchen. Zumindest unsere Elterngeneration hatte mit dem „roten Dany“ ein Ideol gefunden. Seitdem er im Pariser Mai 1968 das Megaphon gegen den verkrusteten französischen Staatsapparat gerichtet hatte, nahm seine Angriffslust mit den Jahren nicht ab. Cohn-Bendit fand seine Berufung in Europa. Seit 20 Jahre lieh er dem Parlament seine Stimme, wenn es wieder still in Brüssel und Straßburg wurde. Sein „halt’s Maul“, das er Martin Schulz im Parlament entgegenwarf, ist einer seiner magischen Momente. Chronisch war seine Verurteilung autokratischer Politik, egal ob in China, Ungern oder Russland. Damit das jeder verstand, hatte er die Angewohnheit seine Reden fast zu schreien.
Wie Die Nationalmannschaft ohne Zidane
„Es kam auch der Moment, an dem die Equipe Tricolore ohne Zidane spielen musste“, kommentierte er seinen eigenen Abgang gestern mit einem Zwinkern. Trotz oder wegen seines Egos, war er in der Lage, wie kein anderer als überzeugter Europäer aufzutreten. Mehr Menschen sollten in Europa die Möglichkeit bekommen, in anderen Ländern zu arbeiten und sich zu verlieben. So gäbe es mehr europäische Paare und mehr europäische Kinder. Nationalistische Identitätsbewegungen, die heute Europa bedrohen, hätten so keine Chance mehr. Politik kann eben doch manchmal romantisch sein. Abstoßend war hingegen seine Idealisierung pädophiler Beziehungen in den 70ger Jahren. Seine Texte und Fernesehauftritte, in denen er von Begegnungen mit Kindern schwärmt, werfen einen dunklen Schatten über die Lichtgestalt der europäischen Politik.
Als nächstes wird der Fußballnarr in einem Wohnmobil nach Brasilien reisen, um von der Weltmeisterschaft zu berichten. Er wird uns wohl für einige Zeit erhalten bleiben.