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2016: Das Jahr der Referenden

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Politik

Referenden waren 2016 eine Art Leitmotiv.Vom Brexit bis hin zu Italiens Versuch einer Verfassungsreform, die Ergebnisse dieser Bemühungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Ähnlichkeiten und Unterschiede der Volksentscheide, um mögliche Auswirkungen in 2017 zu verstehen.

'Post-Wahrheit' und 'Populismus' sind zwei der Wörter, die oft als Erklärungs- und Deutungsversuch für die Geschehnisse 2016 auftauchten. Man verwendete sie gern, um das Brexit-Referendum, Donald Trumps Wahlsieg in den USA und sogar die Niederlage des italienischen Ratspräsidenten Matteo Renzi zu beschreiben. 

In it to win it

Die Vorschläge der italienischen Regierung, erarbeitet von Renzis Ministerin für Verfassungsreformen, Maria Elena Boschi, strebten eine umfassende und komplexe Änderung der italienischen Verfassung an, die seit dem 2. Weltkrieg gültig ist. Die Reform sah vor, den Senat der Republik auf regionale Bürgermeister und Beiräte zu reduzieren, Hinzu wäre ein neues Wahlrecht der obersten Richter und des Präsidenten gekommen. Die Macht sollte zentrierter werden, während Provinzen und der Nationalrat für Wirtschaft und Arbeit (CNEL) aufgelöst werden sollten.

Der Brexit und das "Nein"-Votum in Italien haben einige Gemeinsamkeiten. Matteo Renzi und David Cameron veranlassten beide ein Referendum, das teilende und polarisierende Effekte haben würde. Die Volksentscheide hatten das Ziel, ihre eigene Position zu stärken, während die der Gegner geschwächt werden würde, sowohl intern als auch extern.

Beide Regierungschefs fügten den destabilisierenden Volksentscheiden ein weiteres riskantes Element hinzu: Sie setzten ihre eigenen Karrieren gleich mit aufs Spiel. Indem sie das taten, unterschrieben sie ihr eigenes Todesurteil.

Wofür wählen wir?

Viele Medien verkündeten lauthals, dass die italienische Abstimmung auch eine Abstimmung über Europa sei. Der italienischen Verfassung nach ist dies praktisch unmöglich. Internationale Übereinkommen und Verträge können nicht vom Volk abgestimmt werden. Was jedoch stimmt, ist, dass Cameron und Renzi durch die Reformen ihre eigenen Ansichten von Europa propagieren wollten. Während Cameron eher für den Marktaustausch und gegen jegliche politische Union warb, stand Renzo für ein „soziales Europa“ - ein unwahrscheinliches Szenario nach der Kandidatur des von Margaret Thatcher geprägten Fançois Fillon in Frankreich und der Kandidatur Angela Merkels in Deutschland.

Es wird persönlich

Matteo Renzi nannte sich selbst den „italienischen Türsteher“ und verkündete, der einzige Mann zu sein, der die italienische Zentrumspolitik und Entscheidungsfindung von Anti-Establishment- (die Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo) und Rechtsaußen-Kräften (die Lega Nord um Matteo Salvini) freihalten könne. Letzteres brachte ihm die Unterstützung all derjenigen ein, die sonst nicht für ihn gestimmt hätten. Dass eine Art 'Mob' - von den Italienern accozzaglia gennant -  von jungen, arbeitslosen Wählern gegen die Reform gestimmt hat, ist ein herber Rückschlag für die Partei, die als die Erbin der Kommunistischen Partei Italiens gilt.

Auch wenn in Großbritannien die Labour Party, die Green Party, die Scottish National Party und die Liberal Democrats einige gemeinsame Ansichten vertreten, wie etwa im Binnenmarkt zu bleiben oder das Recht auf Bewegungsfreiheit zu erhalten, so ist unklar, was nun in Italien passieren wird. Die agierenden Mächte sind so diffus, von der Fünf-Sterne-Bewegung bis zur Lega Nord, dass es schwierig ist, die politischen Agenden zu vergleichen.

Im Gegensatz zu Cameron brachte Renzi das Referendum allerdings mit sich persönlich in Verbindung. Dadurch entschied er sich, das volle Ausmaß der Entscheidung zu tragen und seine Regierung aufs Spiel zu setzen. Seine Rivalen nutzten schnell die Gelegenheit, ihn herauszudrängen und beschuldigten sofort Verbände und Befürworter des Binnenmarkts auf Seiten der neo-faschistischen, grauhaarigen Christdemokraten und des ehemaligen Premierministers Silvio Berlusconi zu stehen. Renzi ließ seinen Gegnern den Raum, ihn auszuspielen, anstatt eine inhaltliche Diskussion mit ihnen zu führen. Plötzlich äußerte jeder seine Unzufriedenheit mit Renzis 1000 Tagen als Premierminister, insbesondere die junge Generation. Die finanzielle Apokalypse, die vorausgesagt worden war, blieb aus. Am Morgen nach dem Volksentscheid hielt sich der Euro fast unverändert und die deutschen Anleihen blieben stabil.

Irreführende Zahlen

Hinzu kommt: Zahlen waren ein zentraler Aspekt des Brexit-Referendums, jedoch quasi abwesend in der Debatte der italienischen Reform. Trotz ihrer 'post-wahren' Natur waren Datenerhebungen und Finanzpläne ein verbreitetes Mittel, um Großbritanniens Platz in Europa anzuzweifeln. In Italien wiederum wurden die wirtschafltichen Konsequenzen des Referendums eben nie diskutiert.

Renzis Rivalen, ähnlich den Brexit-Vertretern, hatten keinen Übergangsplan im Falle ihres Sieges. Aber zumindest wurde den "Leave"-Wählern eine Reihe an Optionen angepriesen, auch wenn die meisten dieser unrealistisch oder schlicht unmachbar waren. Alle Hauptakteure der Brexit-Debatte hatten eine vage Idee von ihrer Version von Europa: David Camerons weniger bürokratische, Jeremy Corbyns soziale, Nicola Sturgeons dezentralisierte und Tim Farrons integriertere Version. Italienische Unterstützer der Verfassungsreform schafften es nicht klar zu machen, welche positiven Konsequenzen die Reform haben würde,  ebenso wie die 'Nein'-Wähler keinen Alternativplan für eine Veränderung der überholten Teile der aktuellen Verfassung hatten.

Der Brexit war auf Europa konzentiert, es gab keine parteilichen Vorgaben, es gab pro-Remain Tories und pro-Leave Labours. Das, und der Fakt, dass Italien seine Abstimmung an eine Person gebunden hat, macht den Fall in beiden Ländern so unterschiedlich.

Translated from 2016: The Year of the Referendum