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Prag: Café setzt auf Bitcoins gegen Überwachung

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Gesellschaft

Das Bitcoin Coffee in Prag ist das erste Café weltweit, das als Zahlungsmittel ausschließlich Bitcoins akzeptiert. An kaum einem anderen Ort auf der Welt finden täglich mehr Zahlungen in der Kryptowährung statt.

Das dreistöckige Haus im Prager Arbeiterviertel Holešovice duckt sich zwischen seine Nachbarn. Tiefschwarz ist die Fassade, durchbrochen von hohen, großzügigen Fenstern. Es scheint fast, als wolle das Gebäude seine Stofflichkeit leugnen. Wer sich verschlucken lässt von diesem Schwarzen Loch, landet an einem Ort, an dem das Geld seiner Schwerkraft beraubt ist.

Auf einem langen Holztisch in der Mitte des hellen weitläufigen Innenraumes stehen Süßgebäck, kalte Getränke, Geschirr und eine Espressomaschine. Keine Bar, keine Kasse. Wer hier zu Gast ist, und wer zur „Firma“ gehört wird erst klar, als sich eine junge Blondine an der Espressomaschine zu schaffen macht. Der Besucher merkt sofort, dass er kein gewöhnliches Café betreten hat.

„Den Leuten einen Vorwand zu geben, um bei einem guten Kaffee zum ersten Mal mit den Technologien in Berührung zu kommen, über die wir Diskussionen und Workshops veranstalten“, das sei der Sinn des Cafés, erklärt Petr Žilka von der gemeinnützigen Organisation Paralelní polis (auf Deutsch etwa: Parallelwelt). Die betreibt das gleichnamige schwarze Haus, das außer dem Bitcoin Coffee auch einen Co-Workingspace und einen Hackerspace namens „Institut für Kryptoanarchie“ beherbergt. Gezahlt wird ausschließlich in Bitcoins.

Dem repressiven Staat ein Schnippchen schlagen

Die Kryptowährung Bitcoin ist ein digitales Zahlungsmittel. Dank einer dezentralen Datenbank, welche die Bitcoin-Transaktionen weltweit in einem Rechnernetz aufzeichnet und verwaltet, entzieht sich die Währung jeglicher Einflussnahme von Zentralbanken und ermöglicht unter anderem Anonymität bei elektronischen Geldtransfers. Es sind genau diese beiden Eigenschaften des Bitcoin-Zahlungssystems, die naturgemäß den Argwohn des Staates hervorrufen.

Die Kenntnis von Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechnologien sei umso wichtiger, seit der Staat zunehmend repressive Tendenzen zeige, ist sich Petr Žilka sicher. Eine im August ratifizierte Gesetzesnovelle, die den tschechischen Geheimdiensten ermöglicht, das Steuer- und Bankengeheimnis auszuhebeln, belege das. Nicht einmal Orwell hätte sich ein wirkungsvolleres Kontrollinstrument vorstellen können, als das gegenwärtige tschechische, so der bärtige Mittdreißiger.

„Wir haben erwartet, dass die uns innerhalb eines Monats dicht machen. Gesetzlich ist es sicher diskutabel, dass wir hier überhaupt kein tschechisches Geld annehmen“, ist sich Žilka bewusst. Ziel des Projektes sei es jedoch unter anderem der öffentlichen Diskussion einen Schritt voraus sein, etwa die Finanzämter vor eine neue, unbekannte Situation zu stellen. „Eigentlich versuchen wir mehr solcher Situationen zu schaffen. Leider bringt das bisher keinerlei Konfrontationen.“

Anonymität will gelernt sein

Petr Žilka, dessen Name ein Pseudonym ist und dem deutschen Scherznamen Peter Silie entspricht, ist Teil der tschechischen Künstlergruppe Ztohoven, die ansonsten vor allem mit künstlerischen Guerillaaktionen in Erscheinung tritt. In der Paralelní polis wollen Ztohoven seit Oktober 2014 informieren, wie dezentrale Alternativen zum bestehenden Bildungs-, Kommunikations- und Finanzsystem technisch funktionieren, und über ihre „wirkliche“ Bedeutung aufklären.

Gerade um die Reputation der Bitcoins ist es nämlich nicht zum Besten bestellt. Außerhalb der „Szene“ hält man sie häufig für ein Werkzeug zur Geldwäsche, für eine Währung von Terroristen und Extremisten. In der Tat missbrauchen viele Kriminelle den Schutz, den die Anonymität der Kryptowährung bietet. Die Strafverfolger haben keine Handhabe, um das Bitcoinsystem selbst zu überwachen, wohl aber die Geldströme, die hinein oder heraus fließen. Wem das Knowhow fehlt, seine Schritte im Netz ausreichend zu verschlüsseln, dem kommen die Behörden dennoch auf die Spur.

Die IT- und Hackerszene, aus der das Bitcoinkonzept im Jahr 2008 hervorging, hat freilich in der Regel mit dem organisierten Verbrechen nichts zu schaffen. Darüber hinaus gewinnen die Bitcoins auch mehr und mehr Anhänger unter liberalistischen Ökonomen, die den Einfluss des Staates auf das Finanzsystem minimieren wollen und auf die Selbstregulierung des Marktes vertrauen. Freiheit bedeutet eben für jeden etwas anderes. Petr Žilka formuliert es neutral: „Es handelt sich bei den Bitcoins um einen neuen Blick auf die Verwirklichung und die Organisation zwischenmenschlicher Beziehungen“, so Žilka.

Ein Martyrium für einen Kaffee

Im Bitcoin Coffee ist es allerdings gerade das „bitcoins only“, das die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Kunden und Kaffeehausbetreiber mitunter belastet. „Viele Leute sind echt angepisst“, gibt Žilka zu. „Wir haben den Besuchern des Cafés mit den Bitcoins eine unheimlich hohe Mauer aufgebaut. Jeder, der hier einen Kaffee will, muss ein Martyrium durchmachen.“ Denn um mit Bitcoins zu bezahlen, muss man erstmal welche haben. Und dafür benötigt man neben dem Knowhow eine Bitcoin-Geldbörse, zum Beispiel in Form einer entsprechenden Smartphone-App. Wer sein Passwort für den Appstore vergessen, einen leeren Akku oder erst gar kein Smartphone hat, muss aber trotzdem nicht auf einen Kaffee verzichten.

An der Wand neben dem Eingang hängt eine Art Bankautomat für Bitcoins, an dem man nicht nur „echte“ Banknoten umtauschen, sondern sich auch eine Geldbörse in Form von zwei QR-Codes auf Papier ausdrucken lassen kann. Innerhalb einer Minute kann so jeder Gast Bitcoin-Besitzer werden. Das Prozedere von Aufladen und Bezahlen erklärt die Cafébedienung. Dutzendfach täglich.

Aber was rechtfertigt dieses „Martyrium“? Im Café um die Ecke kann man seinen Espresso ganz normal mit Tschechischen Kronen bezahlen. Entscheidend sei die Gelegenheit, mit einer Technologie in Berührung zu kommen, die in absehbarer Zeit die Spielregeln im Zahlungsverkehr verändern werde, ist Petr Žilka überzeugt. Dabei gibt es durchaus Situationen, in denen Bitcoins auch heute schon einen praktischen Nutzen haben, der den gängigen Währungen überlegen ist.

Wer etwa im Ausland Bargeld und Kreditkarte verliert, kann sich aus der Heimat (oder von überall sonst auf der Welt) die Reisekasse per Bitcoin-Transfer innerhalb von Sekunden wieder auffüllen lassen – ohne seine Geduld durch tagelange Genehmigungsprozesse zu strapazieren und ohne die zum Teil horrenden Bankgebühren für Auslandsüberweisungen zu entrichten. In beinahe allen Metropolen der Welt findet man jemanden, der beim Umtausch in die jeweilige Landeswährung behilflich sein kann. „Das funktioniert. Auch in Afrika. Überall!“ bestätigt Petr Žilka aus eigener Erfahrung.

Als in Griechenland auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise im Juli 2015 wochenlang Auslandsüberweisungen verboten waren, Bankautomaten nur Maximalbeträge von 60 Euro ausspuckten oder die Banken gleich komplett geschlossen hatten, nutzten viele Griechen gerade Bitcoins, um die Unannehmlichkeiten zu mindern.

Experimentieren für den künftigen Einsatz im Alltag

Bislang aber sind Bitcoins trotz allem noch eine Angelegenheit von Pionieren. Obwohl Tschechien gemessen an seiner Bevölkerungszahl eine relativ lebendige Bitcoin-Kultur hat, weisen Internetdienste wie bitcoinmaps.info oder coinmap.org für Prag kaum mehr als 50 Geschäfte oder Dienstleister auf, die Bitcoins akzeptieren – als Alternative zur üblichen Zahlungsweise. Bitcoin-Transaktionen machen meist nur einen verschwindend geringen Teil des Umsatzes aus.

Im Bitcoin Coffee hingegen hat man keine Wahl, und deshalb gibt es kaum einen Ort auf der Welt mit einem derartig hohen Bitcoin-Zahlungsaufkommen. Die Paralelní polis ist damit ein Labor für einen künftigen alltäglichen Bitcoin-Einsatz. Für Entwickler der Hardware (Wechselautomaten, Lesegeräte und Ähnliches) sind die riesigen Datensätze aus der Paralení polis eine wertvolle Informationsquelle. Auf Grundlage der Erfahrungen mit der Kundschaft hat die Prager Firma General Bytes, die die Bitcoin-Automaten im Café betreibt, etwa eine neue kontaktlose Kartenzahlung entwickelt. Ein Abfotografieren eines QR-Codes oder das Herunterladen einer Smartphone-App ist damit nicht mehr nötig. Die Technologie soll nutzerfreundlicher werden.

Nächtlicher Lauf über ein Sprungbrett

Obwohl Ztohoven bereits seit Jahren mit Hackern zusammenarbeiten, haben sie mit dem Projekt der Paralelní polis Neuland betreten. Eine „institutionalisierte Guerilla“ nennt Žilka das. „Als wir dieses Gebäude aufgemacht haben, haben wir uns schrecklich einsam gefühlt. Alle sagten, wir seien komplett verrückt geworden. Das habe ja mit Kunst nichts mehr zu tun“, erinnert sich Žilka, der sich seinen Lebensunterhalt im Bereich IT-Security verdient.

Heftige Kritik erfuhr insbesondere das Finanzierungskonzept der Paralelní polis, das auf Spenden von Privatpersonen basiert. Und einige von ihnen kommen, zum Beispiel der schwerreiche Unternehmer Karel Janeček, aus dem so verhassten „Establishment“. Obwohl keiner der Geldgeber Entscheidungsbefugnis über die inhaltliche Ausrichtung der Paralelní polis hat, müssen sich Ztohoven bis heute die Frage gefallen lassen, ob das Spendengeld, mit dem die Miete des schwarzen Hauses in Prag-Holešovice bestritten wird, sauber ist.

Petr Žilka beharrt hingegen darauf, dass es eine Frage der ethischen Integrität sei, nicht auf das „mafiöse, korrupte“ staatliche Fördersystem angewiesen zu sein. Entscheidend sei der Inhalt: „Ich glaube, alle, die hier mitmachen, sind überzeugt, dass die Themen, über die wir hier sprechen, so stark sind, dass es sich lohnt, dafür zu bluten.“ Und damit füge sich auch die Paralelní polis ein in das Werk der Künstlergruppe Ztohoven. Es sei wie immer ein nächtlicher Lauf über ein Sprungbrett: „Man springt kopfüber und weiß nicht, wie tief das Wasser ist, ob da Eis ist oder warmes Wasser, ob man sich den Kopf nicht am Boden aufschlägt. Man springt einfach, weil man denkt: Das ist es! Erst dann geht das Licht an und es zeigt sich, was man überhaupt gemacht hat.“

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Dieser Artikel wurde im Rahmen unserer Medienpartnerschaft mit dem jungen deutsch-tschechischen Online-Magazin des Goethe-Instituts in Prag - jádu - veröffentlicht.