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Flüchtlinge in Deutschland: Wer hier applaudiert, applaudiert dem Krieg

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Gesellschaft

[Kommentar] Wir sind Meister in der Kunst, auf Tragödien zu spekulieren. Die neue „Willkommenskultur made in Germany“ ist kein Fest der Völkerverständigung, sondern der ganz gewöhnliche Eurozentrismus.

Vor dem Hintergrund der Schreckensnachrichten von brennenden Asylheimen und einer Kanzlerin, die zu diesen Ausschreitungen monatelang geschwiegen hat, ist es ganz besonders wichtig, Flüchtlinge freundlich willkommen zu heißen. Vor dem Hintergrund einer inhumanen Flüchtlingspolitik, der Weigerung Europas im Angesicht einer humanitären Katastrophe legale Einwanderungswege zu schaffen und der Untätigkeit Deutschlands, Länder wie Italien oder Griechenland zu entlasten, ist es besonders wichtig zu zeigen, dass Flüchtlinge in Deutschland willkommen sind. Noch wichtiger allerdings ist es, den Politikern in Deutschland klarzumachen, dass sie mit pseudo-humaner Symbolpolitik nicht durchkommen werden.

Ein Fest der Völkerverständigung?

Viele scheinen das, was sich in den letzten Tagen in Deutschland abgespielt hat, wirklich für eine Art Party zu halten. Zeitungen, Fernsehen und Internet überschütten uns mit Bildern von syrischen Kindern, die freudestrahlend Kuscheltiere aus den Händen der deutschen Heiligen ergreifen. Am Münchner Hauptbahnhof wird „Freude schöner Götterfunken“ gesungen und mit Stolz schwillt das Herz, wenn gemeldet wird: Bitte keine Spenden mehr!

Bei der Ankunft der Flüchtlinge wird applaudiert, in den Medien wird von einem Fest der Völkerverständigung gesprochen - mit einer Bilanz von über 250 000 Toten in Syrien und mehr als 11 Millionen Menschen auf der Flucht ist das wohl mehr als sarkastisch. Europa und die USA tragen Verantwortung für die Destabilisierung in den Herkunftsländern der Geflüchteten. Der europäische Kolonialismus und neokoloniale Strukturen wie Bushs „war on terror“ haben durch die Ausbeutung von Rechten und Ressourcen ganze Regionen verwüstet.

Die ganze Welt feiert uns Deutsche?

Deutschland hat nicht nur zu wenig unternommen, um die Konfliktparteien des Kriegs in Syrien, der sich seit Auftauchen des IS über die gesamte Region verbreitet hat und längst zu einem Stellvertreterkrieg geworden ist, zu Verhandlungen zu bewegen. Im Gegenteil, durch die Bewaffnung der Kurden, einer einzelnen ethnischen Gruppe, hat Deutschland die Konflikte der multiethnischen Region weiterhin verschärft. Während die deutsche Regierung von politischen Lösungen spricht und eine Außenpolitik der Enthaltung propagiert, verdient Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt am Krieg in Syrien. Dass Deutschland am Aufbau des syrischen Chemiewaffenarsenals beteiligt war, wo im August 2013 über 1300 Menschen durch einen Giftgasangriff starben, ist weithin bekannt. Die deutsch-französischen MILAN Raketen werden sowohl von Assad, als auch von den „Rebellen“ eingesetzt.

Wer die deutsche Willkommenskultur für vorbildlich hält, sollte sich außerdem fragen, warum Deutschland immer noch nicht den von UNHCR geforderten Betrag zur Unterstützung der Nachbarländer Syriens bereitgestellt hat. Aber die sind schön weit weg, um weiter über politische Lösungen zu schwadronieren und genügend Geld, um es bis nach Deutschland zu schaffen, hatten sie auch nicht.

Die Deutschen können es sich halt leisten...

Das stimmt. Deutschland kann es sich leisten die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Angela Merkel hat die Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn klug als moralische Pflicht getarnt, um nun vor dem Hintergrund des rücksichtslosen Verhaltens Deutschlands in der Eurokrise an die Verantwortung der anderen Eurostaaten für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge zu appellieren. So wird aus einem politischen Diskurs ein Apell an die Empathie der Mitgliedsstaaten, der die Verantwortung Deutschlands für die desaströse Lage in Ländern wie Griechenland und Portugal verdeckt. 

Wie können Länder, deren Fachkräfte sich gezwungen sehen auszuwandern, Flüchtlinge aufnehmen? Merkels Entscheidung, die Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen, ist wirtschaftlich motiviert. Und sollten dann doch zu viele kommen, können wir ja immer noch an die Moral der anderen appellieren...

Applaus, Applaus!

Wer Ressourcen und Rechte ausbeutet, Kriege mitfanziert, am Leid von anderen profitiert und dann einen absolut lächerlichen Anteil der Geflüchteten aufnimmt, nein, dessen Politik ist nicht hocherfreulich. Wer am Bahnhof mit Ballons und Teddybären ein Fest der Völkerverständigung feiert, ohne gegen imperiale Politik aufzubegehren, begibt sich in den selben Widerspruch wie Sigmar Gabriel, der Waffen nach Katar und Saudi-Arabien exportiert, um dann mit Til Schweiger ein Flüchtlingsheim zu eröffnen. Wer hier applaudiert, applaudiert sich selbst und einer Kanzlerin, die klug genug war, sich als humane Retterin in letzter Not aufzuspielen. Wer hier applaudiert, applaudiert dem Krieg.

Neben einer neuen Debatte um Asylgesetze, neben einer neuen Debatte um die Aufteilung von Flüchtlingen in Europa, haben wir eins ganz besonders nötig: Die Abkehr vom hegemonialen eurozentrischen Blick auf den Rest der Welt.

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