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Interview mit Bèla Tarr

Published on

Sevilla

BÈLA TARR: „ICH VERSUCHE IN MEINEN FILMEN DEN MENSCHEN ZUZUHÖREN.“

Die Reinigungsfrau hebt genau in dem Augenblick ein Papier vom blauen Teppich auf als die Schwester von Woody Allen vorbeiläuft. Das einwöchige europäische Filmfestival in Sevilla geht nun seinem Ende entgegen.

Bald werden wir mit der Erinnerung an die Bilder von Militärcamps in Tschetschenien, portugiesischen Travestien, Wüsten, Schlössern, die zum Kloster konvertieren wollen und schweigenden Steinen nach Hause gehen… Und genau jetzt, um Punkt 12 dieses letzten Festivaltages kommt Béla Tarr, der so schlaff, vornehm, traurig und herzlich wie seine Filme aus dem Auto der Organisation aussteigt. Mit einem „Hello“ begrüßt uns der ungarische Filmemacher, reicht uns die Hand und verwandelt sich in einen weniger kargen Mann als es seine schwarze „americana“ vermittelt. Auf einer hellen Terrasse mit gemütlichen Sesseln betrachtet uns der bekannte Regisseur des Films „Santango“ und bewegt geringfügig seinen Kiefer. Diese kleinen, aber sich ständig wiederholenden Bewegungen deuten darauf hin, dass er dies während des ganzen Interviews fortführen wird, da er vermutlich an einer Nervenkrankheit leidet.“ Gut, bevor wir anfangen möchten wir erstmal unseren Respekt vor ihrem Werk bekunden“ sagen wir. Die Übersetzerin erklärt es und der Regisseur lächelt dankend. In einem Graphen wäre Béla Tarr wir eine gerade Linie, wo man den Eindruck hat, dass bis zu seinem Lächeln nichts passiert. Dann aber verleiht er der Situation eine gewisse ungewöhnliche Nähe.

B_la_Tarr_entrevista.JPG Den letzten Film, den er präsentiert hat, „Der Mann aus London“, ist eine Co-Produktion von Frankreich und Deutschland. Welche Rolle habe diese beiden Länder in ihrem neuesten Film gespielt?

Ganz einfach, die Geschichte spielt am Meer und Ungarn liegt nicht am Meer. Da haben wir kurzer Hand den Drehort ans Mittelmeer verlegt.

Glauben Sie, dass das europäische Kino ein Co-Produktionskino ist?

Nicht unbedingt, aber Europa kann sich auf jeden Fall als ein „Land“ verstehen, genau das ist schließlich der europäische Geist. Co-Produktionen sind vor allem aus finanziellen Gesichtspunkten notwendig.

Sie sind einer der wenigen Künstler, die Kino auf ihre eigene Art machen. Ist es bei der derzeitigen Entwicklung des Filmmarktes schwer für Sie Förderungsmittel zu bekommen?

Jeder Film hat das Problem der Finanzierung, es gibt keine Filme, die es schwerer haben als andere Ich denke, man sollte dabei nicht nach Filmtypen unterscheiden, denn das Problem ist immer das gleiche: Das Geld.

Heute zählen sie weltweit zu den fünf besten Kinoregisseuren, jedoch haben wir gelesen, dass ein Fotografieprofessor zur Zeit des Kommunismus über sie behauptet hatte, dass sie keine Ahnung vom Filmemachen hätten, so dass sie sich aus dem Geschäft zurückzogen und als Portier arbeiteten. Was brachte sie dazu wieder zum Filmemachen zurückzukehren?

In Wirklichkeit ist es noch viel einfacher als das. Ich ging zunächst in die Uni um Philosophie zu studieren, aber ich brach dann ab, weil ich lernen wollte Filme zu drehen. Auf jeden Fall kann man sagen, dass ich auch nicht an irgendeine Filmschule ging um offiziell Film zu studieren, da mir ein Professor sagte, dass ich durch meine eigenen Fehler mehr lernen würde als durch ein Studium. Später machte ich dann meinen ersten Film, mit dem ich in Deutschland viel Erfolg hatte, so fing alles an.

Wir haben in einem Interview gelesen, dass Sie sich nie als einen „Regisseur betrachtet haben, dessen einzige Aufgabe es wäre die Welt zu verändern“. „Glauben Sie an die „Macht“ des Films als Mittel zu einer Verbesserung beitragen zu können?

Wenn ich ehrlich bin, habe ich eher festgestellt, dass der Film keinen Beitrag dazu leisten kann (lächelnd). Aber warum nicht. Das Kino ist ein Teil der Welt, so dass du mit einer geringen Veränderung seiner Handschrift auch schon ein bisschen die Welt veränderst.

Wenn Sie die Macht eines Politikers hätten, was wäre das Erste, was Sie in der Welt oder im menschlichen Bewusstsein ändern würden? Was beunruhigt Sie, als Individuum, am Meisten von dem, was sie umgibt?

Es gibt eine Sache, die ich nicht akzeptieren kann (ernst). In meinen Filmen, wie z.B. Maloin in „Der Mann aus London“, handelt es sich meistens um schlecht behandelte, sozial ausgegrenzte Menschen. In meinen Filmen versuche ich dem Publikum zu vermitteln, dass es nur ein Leben gibt und dass man dieses mit Qualität leben muss. Man darf nicht die menschlichen Gefühle verletzen.

Um die Außenseiter in Ihren Filmen darzustellen, welche Mittel verwenden Sie? Godard sagte mal: „Das Travelling ist eine Frage der Moral“. Unsere Frage ist somit folgende: Welche „filmische Moral von Béla Tarr“ steckt hinter der Verwendung von „schwarz und weiß“, „der langen Schnitte“ oder der „Zeit“, die sein Werk definiert?

Es gibt eine Säule, auf der meine Inszenierung bzw. meine Art zu Filmen aufbaut. Ich höre den Menschen zu, nicht nur den Geschichten, nein, den Menschen. Aber die Einstellungen, die Zeit… ermöglichen es mir in die Augen zu schauen oder das Gesicht zu betrachten: Darin steht die Wahrheit des Zustandes des menschlichen Wesens.

Und glauben Sie, dass der Zuschauer auf eine solche Form der Darstellung vorbereitet ist? Heutzutage werden wir ja förmlich mit Werbebildern, Videoclips, Videospielen und Mainstream-Filmen bombardiert, wo das Bild nahezu im Sekundentakt geschnitten wird….

Ich glaube schon, vor allem wenn du bereit bist zu hören, was dir deine Augen und dein Herz sagen. Du schaust nur zu und schon fühlst du dich wie im Film eingeschlossen.

Welchen Tipp würden Sie den Nachwuchsregisseuren geben, die versuchen, einen Platz in diesem „beängstigenden“ und wundervollen Berufsfeld Kino zu finden?

Hauptsächlich, dass Sie es einfach versuchen, sich nicht anpassen und vor nichts zurückschrecken und vor allem, dass sie sie selbst bleiben.

Beim Filmfestival in Sevilla im Jahr 2005 gab es eine Reihe, die ihrem Werk gewidmet wurde und es freut uns, dass Sie zum Festival 2007 erneut mit einem Film gekommen sind. Was raten Sie den Veranstaltern des Festivals, dass zum vierten Mal stattfindet und das den Wunsch hat jedes Jahr mehr ein Treffpunkt und eine Plattform für gutes Kino zu werden.

(Lacht) Na gut, ich habe vor zwei Jahren nun mal versprochen, dass ich wieder komme, also war ich ja gewissermaßen verpflichtet… Das Einzige, was das Festival machen muss, um weiterhin eine Plattform für gutes Kino zu sein ist: Es muss weitermachen. Ganz einfach, nur so weitermachen.

Paola García und Concha Hierro

Fotos: (offizieller Fotograf des europäischen Filmfestivals in Sevilla)

Lolo Vasco

Übersetzt von

Björn Gillmann