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Auschwitz: Gegen das Vergessen

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Gesellschaft

Es gibt nur noch wenige Überlebende des Nazi-Terrors im zweiten Weltkrieg, umso wichtiger, dass sie von ihren Erlebnissen berichten. Ich nehme an der „Nahaufnahme“ in Auschwitz teil und lerne dabei Überlebende des Holocausts kennen. Fast sieben Jahrzehnte nach der Befreiung des Arbeits- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, mache ich bewegende Erfahrungen.

In Ausch­witz ist es ist still und bit­ter­kalt. An dem Sta­chel­draht­zaun, der das weit­läu­fi­ge Ge­län­de um­zäunt und der so oft als Sym­bol des Ter­rors fo­to­gra­fiert wird, haben sich Eis­zap­fen ge­bil­det. Das Ther­mo­me­ter zeigt minus 13 Grad, und ein ei­si­ger Wind fegt ste­tig über das ehe­ma­li­ge deut­sche Ar­beits- und Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz-Bir­ken­au.

Leicht nach vorne ge­beugt, aber schnel­len Schrit­tes läuft Jacek Zie­li­nie­wicz über die ver­eis­ten Wege, die vor über 70 Jah­ren von den In­haf­tier­ten selbst an­ge­legt wer­den muss­ten. Vor­bei an der Haupt­wa­che, Ba­ra­cken, Rui­nen der Kre­ma­to­ri­en, in denen tau­sen­de Men­schen ver­gast und ver­brannt wur­den. Wei­ter ent­lang der Bahn­glei­se, auf denen Juden, po­li­ti­sche Ge­fan­ge­ne, Be­hin­der­te, Ho­mo­se­xu­el­le sowie Sinti und Roma in Gü­ter­zü­gen ins Lager de­por­tiert wur­den und ihm nie wie­der ent­ka­men. Im Ge­dächt­nis von Mil­lio­nen Men­schen ist Ausch­witz-Bir­ken­au als größ­tes Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­ger ver­an­kert und das Sym­bol für den Völ­ker­mord.

„Ich ver­spü­re kei­nen Hass mehr“

„Wir waren alle hung­rig. Aber das Schlimms­te für mich: Mir war so kalt. Den gan­zen Tag drau­ßen, bei Schnee oder Regen“, sagt Jacek Zie­li­nie­wicz, der die zer­mür­ben­de Kälte einst bar­fuß und nur mit der dün­nen, schwarz-weiß ge­streif­ten Häft­lings­klei­dung be­klei­det aus­hal­ten muss­te. Im Au­gust 1943 wurde er ver­haf­tet. Als po­li­ti­scher Häft­ling er­leb­te er das Lager Ausch­witz-Bir­ken­au und nach sei­ner Ver­le­gung auch das KZ Daut­mer­gen bei Rott­weil. Jacek Zie­li­nie­wicz ist einer der we­ni­gen, die den Ter­ror des drit­ten Reichs le­bend ent­kom­men sind und einer der we­ni­gen, die heute noch über das Grau­en spre­chen. Um seine Ge­schich­te zu er­zäh­len, fährt der 87-Jäh­ri­ge oft stun­den­lang durch ganz Polen und kehrt immer wie­der nach Ausch­witz zu­rück, reist aber auch in das einst so ge­fürch­te­te Deutsch­land und spricht mit Schü­lern oder jun­gen Er­wach­se­nen. „Ich ver­spü­re kei­nen Hass mehr und das ist mein Sieg. Es gibt keine böse Na­ti­on, es gibt nur böse Men­schen“, sagt der Vater zwei­er Töch­ter, der nach sei­ner Ge­fan­gen­schaft als In­ge­nieur in der Fleisch­wirt­schaft ar­bei­te­te.

Nach 50 Jah­ren in die­sem Beruf ging der Pole in den Ru­he­stand. Seine Be­ru­fung heute ist es, seine Er­fah­run­gen wei­ter­zu­ge­ben, auf­zu­klä­ren und somit gegen das Ver­ges­sen an­zu­tre­ten. „Ihr seid nicht ver­ant­wort­lich für die ver­gan­ge­ne Zeit, aber für die Zu­kunft“, sagt Jacek Zie­li­nie­wicz den 22 jun­gen Jour­na­lis­ten aus Deutsch­land, Polen und an­de­ren Län­dern Mit­tel- und Ost­eu­ro­pas, die das Ma­xi­mi­li­an-Kol­be-Werk im Rah­men des Pro­jek­tes „Nah­auf­nah­me 2014“ nach Ausch­witz ein­ge­la­den hat.

Wir jun­gen Jour­na­lis­ten tref­fen fünf Zeit­zeu­gen des NS-Re­gimes, in­ter­view­en sie und schrei­ben ihre Ge­schich­ten auf. Füh­run­gen durch die Lager und die Kon­ser­vie­rungs­werk­statt der Ge­denk­stät­te Ausch­witz-Bir­ken­au sowie den Be­such der Aus­stel­lung „Bil­der der Ver­gan­gen­heit. Das La­by­rinth“ des Künst­lers und ehe­ma­li­gen Ausch­witz-Häft­lings Ma­ri­an Kołod­ziej, sol­len die Nach­wuchs­jour­na­lis­ten die Ge­schich­te ver­ste­hen las­sen und das Un­be­greif­li­che ein Stück greif­ba­rer ma­chen. Die 22 jun­gen Leute sol­len, so das Ziel der Or­ga­ni­sa­to­ren und auch der Über­le­ben­den, zu Mul­ti­pli­ka­to­ren wer­den. Damit die Ge­schich­te(n) wei­ter­ge­tra­gen und nie ver­ges­sen wer­den, damit sich die­ses Ver­bre­chen nicht wie­der­holt.

Knapp 100.000 Leu­ten „ge­fällt" die FB-Sei­te von Ausch­witz

Tat­säch­lich steht die Er­in­ne­rungs­ar­beit aber vor neuen Her­aus­for­de­run­gen. Wäh­rend es schon heute ein Pri­vi­leg ist, Zeit­zeu­gen zu tref­fen und mit ihnen reden zu kön­nen, wer­den es in den kom­men­den Jah­ren immer we­ni­ger sein, die von ihren Er­fah­run­gen in der NS-Zeit be­rich­ten kön­nen und wol­len. Auch aus die­sem Grund hat die Ge­denk­stät­te Ausch­witz-Bir­ken­au ent­schie­den, neben der Pfle­ge des au­then­ti­schen Ortes und der vie­len Re­lik­te in der Kon­ser­vie­rungs­werk­statt, wie etwa die Kof­fer, Schu­he oder auch die Haare der Häft­lin­ge, einen Teil der Er­in­ne­rung ins In­ter­net zu ver­la­gern. Mit Hilfe von So­ci­al Media sol­len all die­je­ni­gen er­reicht wer­den, für die ein Be­such in Ausch­witz aus Kos­ten­grün­den oder etwa auf­grund der Ent­fer­nung nicht mög­lich ist.

Bis­her „ge­fällt“ die Ausch­witz-Bir­ken­au-Sei­te auf Face­book knapp 100.000 Leu­ten. „Es klingt sehr ko­misch, ein ‚Fan‘ von der Ge­denk­stät­te zu sein oder dass einem ein Foto von Ausch­witz ‚ge­fällt‘. Das ist ein Lin­gu­is­tik-Pro­blem, das wir gleich zu Be­ginn dis­ku­tiert haben. Aber nach fünf Jah­ren Er­fah­run­gen zeigt sich, dass die Men­schen un­se­re Face­book-Sei­te mit gro­ßem Re­spekt be­han­deln“, sagt Pawel Sa­wi­cki, Pres­se­spre­cher der Ge­denk­stät­te Ausch­witz-Bir­ken­au, der auch für die Ac­counts auf Twit­ter und Ins­ta­gram ver­ant­wort­lich ist.

Für ihn seien die vie­len Fol­lo­wer ein gro­ßes Klas­sen­zim­mer. „Alles, was ich ein­stel­le, geht an sie. Na­tür­lich sind man­che dabei, die nur kli­cken und es schnell wie­der ver­ges­sen, aber an­de­re sind sehr aktiv“, so Sa­wi­cki. Die Face­book-Sei­te zu abon­nie­ren und viele On­line-In­for­ma­tio­nen über die Ge­denk­stät­te zu er­hal­ten, er­set­ze sei­ner Mei­nung nach den tat­säch­li­chen Be­such die­ser aber nicht. „Wir wol­len diese Er­fah­rung nicht durch unser So­ci­al Me­dia-An­ge­bot er­set­zen. Viel­mehr wol­len wir die Men­schen da­durch dar­auf auf­merk­sam ma­chen, wie wich­tig es ist, hier her zu kom­men“, er­klärt Sa­wi­cki.