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'Prištinali': urbane Gesichter einer rauen Hauptstadt

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Katha Kloss

Eine Hauptstadt im Umbruch hat 'andere' Prioritäten als Mode und Musik. Dynamische junge Kosovaren nutzen jedoch gerade diese Elemente des Wandels, um ihre Stadt Europa näher zu bringen.

Während des Kosovo-Krieges versuchte die Radiostation Kontakt "Prištinas urbane Identität auferstehen zu lassen". Denn sie befand, dass genau dieser Charakter mit dem Aufkochen der Krise zwischen Serben und Kosovo-Albanern verloren gegangen war. "Indem wir diese alte Stadt heraufbeschwören - mit einem leicht zu identifizierenden Lebensstil - konnten wir die Menschen, die sich in den Straßen aus dem Weg gingen, anspornen, wieder miteinander zu kommunizieren." Der offene Brief des Radiogründers Zvonko Tarle an den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševi war vergebens. Nach nur 10 Tagen wurde die Multi-Kulti Radiostation 1998 dicht gemacht.

Folk FM

Heutzutage hat Priština einen neuen und leicht identifizierbaren 'way of life', der sich um die 'Prištinali', die Einwohner der kosovarischen Hauptstadt dreht: besonders, nachdem eine neue, digitale Radiostation die Nachkriegs-Urbanität in Worte zu fassen versucht. "Ich habe mich wirklich dreckig gefühlt, als ich zurück kam. Auch wenn wir alle froh waren, uns wiederzusehen", erklärt der 34-jährige Dardan Islami, Mitbegründer des Radiosenders Urban FM und des Spray Club, ein Nachtclub am Rande der Stadt. Eine 100-Prozent serbische Hauptstadt, die während des Krieges menschenleer war, wurde von heute auf morgen von 200.000 Neuankömmlingen vom Lande bevölkert. "Sie haben die Balance zerstört", beschwert sich Islami in 'Godfather'-artiger Stimmlage. "Innerhalb von 24 Stunden haben wir mit der Invasion des Folk und dessen Lebensmentalität unsere Identität verloren; es war ganz anders, als das, was wir vorher kannten."

Urban FM sorgte im 'bäuerlichen Priština' mit Rock und Indie Electronic für Aufruhr. 90 Prozent ihrer Musik stammt aus London. Dies hat der Sender Islami zu verdanken, denn er lebte für eine Zeit "auf der Überholspur" als einer der besten fünf Barmänner in London, zu dem er 2006 gekürt wurde. "Ein anderes, alternatives Live-Format zu machen, war extrem schwierig", erinnert er sich an eine Medienlandschaft, die nur aus dem staatlichen Radio Priština und einigen kleinen, unerfahrenen Radiostationen bestand. Sechs Monate, eine Antenne und einen Sender später, hatte Urban FM die Runde gemacht. Nach dem 11. September übersetzte die Station CNN-News in Windeseile für ihre Zuhörer. 2002 bestiegen sie den 'Love Train' gemeinsam mit anderen multiethnischen DJs, um Flüchtlingsrouten bis zur mazedonischen und serbischen Grenze zurückzuverfolgen. Mit 200.000 Hörern 2004 drängte das Team 2006 auf den nationalen Markt und deckt heute 70 Prozent des Sendegebietes im Kosovo ab. Die Station zählt 11 Mitarbeiter mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren.

Gesichter der 'Prištinali'

Lichter eines Mobiltelefons leuchten aus den unteren Fenstern des heruntergekommenen Hauses, aus dem Urban FM sendet. Die Live-Sendung - eine von fünf Sendungen, die pro Tag ausgestrahlt werden – wurde für diesen Abend abgesagt: Stromausfall! Barth Shkreli, 23, Moderator und Mitglied eines europäischen Jugendförderungsprogramms, und DJ Strella führen uns mit einer Kerze hinauf. Ein Aquarium trennt Redaktion und Tonstudio, von dem aus man einen atemberaubenden Blick auf die nächtliche Hügellandschaft um Priština hat.

Die DJs entpuppen sich als Nachtfalter und hilfreiche Wegbegleiter, denn wirkliche Stadtpläne oder Reiseführer existieren in Priština nicht. Jhum (25) sagt, er könne - auch wenn ein Reiseführer existieren würde - das 'Tusks' am Mutter Teresa-Boulevard, zu deren Inhabern auch er sich zählt, nicht weiterempfehlen. Denn die vielen 'Bauerntrampel' von außerhalb würden sich dort ständig einnisten. In einer anderen Bar wird "die so genannte Präsidententochter" vorgestellt: Rea ist die Tochter von Veton Surroi, ehemaliger Vorsitzender der reformistischen ORA-Partei, der seit neuestem auch Dardan Islami angehört.

Zukunftskapital Jugend

Später in einer Shisha-Bar machen sich Freunde über ihn lustig, da er die Wahlkampfnummer 69 getragen hatte. Die ORA hat die Wahlen im Kosovo am vergangenen 17. November verloren, obwohl ein Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen (im Rahmen des United Nations Development Programme UNDP) von 2006 angab, dass 81,4 Prozent der jungen Menschen im Kosovo vorhatten, zu wählen. Doch Islami bleibt standhaft. Er will jungen Menschen in der Politik eine Stimme geben, "in einer Region, die sich der Statusfrage mehr und mehr entgegenstreckt. Diese Kids haben jedes Recht darauf, Europäer zu sein."

Im Kosovo ist die Bevölkerung im Vergleich zu Europa durchschnittlich sehr jung, wie der selbige UNDP-Bericht von 2006 feststellt. 21 Prozent der Bevölkerung sind zwischen 15 und 25 Jahren alt; über 50 Prozent der Bevölkerung ist unter 25. "Die Leute sind heutzutage 23, 24, oder 25. Man sollte sich vor Augen halten, wie alt sie vor 8 Jahren waren. Sie sind in einem Staat des Notstandes aufgewachsen, sie erlebten mit 13 oder 14 den Krieg, mussten sich in Auffanglager flüchten und kamen 1999 wieder zurück. Tolle Kinder, wenn man beachtet, in welcher Zeit sie aufgewachsen sind. Die Mehrheit unter ihnen studiert und hat nur schlechte Aussichten auf korrekte Ausbildung oder einen guten Job. Und 99 Prozent der jungen Menschen im Kosovo sprechen Englisch - das ist ungewöhnlich, da sie noch nie im Ausland gelebt haben", stellt Islami fest. 75 Prozent der kosovarischen Bevölkerung haben einen Internetanschluss zu Hause. "Sie sind im Allgemeinen pro-westlich eingestellt", erzählt Islami weiter. "Sie kennen die internationale Musikszene, sehen MTV und folgen europäischen Modetrends."

Modebewusstsein im 'Hier und Jetzt'

Enkeleida Shatri, 32, ist nach dem Krieg 2000 in das Kosovo gekommen. "Für eine Frau ist es ziemlich schwierig, hier etwas Eigenes aufzubauen", sagt sie. Aber dank der Unterstützung ihres Mannes, der als Arzt arbeitet, wird ihre seit drei Jahren bestehende Akademia Evolucion (Evolution Art und Fashion Institut) Prištinas erste Designergeneration 2008 in das Berufsleben entlassen. Auf dem Plan: Bachelor-Studiengänge in Kunst, Mode- und Innendesign. Die Augen sind dabei immer auf Europa gerichtet: Im März wird zum ersten Mal ein Austauschprogramm mit dem Mailänder Pendant Institute di Moda Burgo stattfinden. "Ein kleines Problem ist allerdings", befürchtet die einstige Teilnehmerin der Wahlen zur Miss Albanien, "dass unsere 51 Studenten nicht auf dem gleichen Level sind."

Valdrin Sahiti, ein 'Prištinali' im dritten Studienjahr, ist der einzige männliche Student seines Jahrgangs. Ein weiterer studiert derzeit in Italien Industriedesign. "Dieses Jahr sollen aber zwei neue männliche Studenten anfangen", witzeln seine Kommilitonen. Valdrin, 21, lacht in Bezug auf die Frage, ob ein Wirtschaftsstudiengang in einer noch sehr patriarchalischen Gesellschaft nicht besser ankäme. "Wir haben größere Prioritäten als Mode und moderne Kunst. Aber auf uns wartet trotzdem eine spannende Karriere, denn das Kosovo kann zum jetzigen Zeitpunkt keine großartigen Modedesigner vorweisen. Wir müssen das Beste für unser Land geben." "Wir sind in der richtigen Zeit und am richtigen Ort, um daran zu arbeiten", fügt Enkeleida hinzu. "Warum weggehen? Wir sind von der europäischen Mode nicht weit entfernt. Die Menschen hier gehen einkaufen, es gibt Zara und Mango, die Leute sehen fern. Nach dem Krieg gab es nichts. Wie sollten wir also bereits jetzt eine Modekultur besitzen?"

Supermodel, Superstaat

Dhurata Lipovica, 19, wartet vor dem Frisör 'Fama'. Der Schatten ihrer schlanken Figur zeichnet sich auf der verregneten Straße ab. Nachdem die einen Model-Wettbewerb gewonnen hatte, flog sie nach New York. Dort wurde sie zur ersten Miss Kosovo im Rahmen des Ford Supermodel of the World Contests 2007 gekürt. Doch nun will Dhurata Prioritäten setzen: Familie, Studium und das Kosovo sind ihr wichtig. Sie war 10, als der Krieg ausbrach. Zu den letzten Wahlen am 17. November 2007 ist sie nicht gegangen. Ob sie Europäerin sei? Darüber habe sie noch nie nachgedacht, denn "danach hat noch niemand zuvor gefragt". Manchmal in den Vereinigten Staaten fand sie es schwierig, das Kosovo situieren zu müssen. "In der Nähe von Serbien konnte ich nicht sagen. Und niemand kannte Albanien - aber Italien war ihnen ein Begriff."

Die Modebranche im Kosovo sei durch fehlende Mittel und Familienfehden ziemlich eingeschränkt, verrät das Prištinali-Supermodel. "Normalerweise sagen die Mannequins den Stylisten, wo es langgeht. Wir bräuchten aber eine ordentliche Portion Laufsteg-Nachhilfe. Wir haben viel Potential, aber es mangelt uns an Erfahrung. Es gibt keine wirklichen Modemagazine, keine männlichen Modelle. Jungs haben es in der Branche nicht leicht. Einer ist nach Griechenland gegangen; dort würden Models so viel besser bezahlt. Eine 18-jährige Freundin und Kollegin habe einen Auftrag in Italien erhalten, doch ihr Vater hat sie nicht gehen lassen. "Hier lebst du bei deinen Eltern, bis du 25 bist", sagt Dhurata.

Sie hofft, dass die Branche sich weiter öffnen wird und Models irgendwann Bikinis auf dem Laufsteg präsentieren können. "Wenn wir mit Europäern zusammenarbeiten wollen, müssen wir unsere Einstellung ändern." Die Management-Studentin der amerikanischen Universität des Kosovo will ihren Abschluss und ihre Auslandserfahrung nutzen, um ihre eigene Agentur aufzubauen. Dort will sie Laufstegtraining anbieten und nicht wie andere Agenturen – wie beispielsweise 'Tram' - nur Aufträge vermitteln. "Wenn wir es schaffen, die Mentalität hier zu ändern, werden wir in Zukunft ein großartiges Land sein, auch wenn wir bereits jetzt großartig sind. Wir machen aus Priština ein zweites New York."

Intext-Fotos: Xhoni Depo bar - ausgesprochen 'Johnny Deppo' - hat illegal unter dem Fußballstadion eröffnet und erfreut sich großer Beliebtheit unter den Prištinali; Miss Albania wannabe eröffnete die Modeakademie in Pristina, nachdem der Direktor des Mailänder Instituts sie dazu ermutigt hatte; Dhurata Lipovica wurde in New York von dem Kosovo-Albaner und Fotografen Fadil Berisha ausgebildet (Nabeelah Shabbir)

Danke an Flora Loshi

Translated from 'Prishtinali': urban faces in a raw capital