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Zukunftspartei Partido X: Demokratie und Punkt in Spanien

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GesellschaftPolitik

Seit dem 17. Dezember ist das spanische Parteienregister um eine Partei reicher. Die Partei X hat Anfang Januar mit einem Video auf YouTube die virtuelle Bildfläche betreten und seitdem viele Fragen aufgeworfen. In Form einer fiktiven Pressekonferenz, erzählt aus der Perspektive der Zukunft, sagt sie geldgesteuerten Politikern den Kampf an. Ihr Programm?

Referendum, eine sogenannte Wiki-Regierung, permanentes Stimmrecht und Transparenz, kurz „Demokratie und Punkt“. Ein utopischer Witz? Nein, ein Versprechen.

Auf der Puerta del Sol in Madrid pulsiert das Leben zu jeder Tages- und Nachtzeit. Touristen und Einheimische schlängeln sich an schwebenden Mönchen und anderen Straßenkünstlern vorbei oder genießen tagsüber das erste Sonnenbad des Jahres. „Sol“, wie der Platz umgangssprachlich genannt wird, ist mittlerweile auch das politische Symbol einer Bewegung, deren Geschichte genau hier begann: die Bürgerbewegung des 15-M, benannt nach dem ersten Tag der friedlichen Proteste, dem 15. Mai 2011. „Echte Demokratie jetzt“ (Democracia Real Ya) forderte damals auch der Spanier Rafa. Er demonstrierte und campierte wochenlang auf „Sol“, gemeinsam mit tausend anderen Indignados (Empörten). Noch heute engagiert er sich für 15-M, aber auch für eine neue Partei, die jene Protestwelle politisch kanalisiert: die Zukunftspartei Partido X. Partido del Futuro

Derzeit weiß niemand, wer genau sich hinter X verbirgt. Nur dem spanischen Parteienregister sind konkrete Personen zu entnehmen. Darunter drei Spanier im Ruhestand wie die Ehrenpräsidentin Greer Margaret Thurlow Sanders, die auf Anfrage zu keinem Gespräch bereit ist. Eine Parteisprecherin versichert am Telefon – ihren Namen nennt sie nicht –, dass es sich um eine Arbeitsgruppe von 90 Personen handelt, die spanienweit per Internet, gelegentlich auch persönlich kommuniziert. Politischen Personenkult lehnen sie ab, weshalb sie vorerst keine Mitgliedernamen veröffentlichen. Diese Unpersönlichkeit, in der Kritiker die größte Schwäche sehen, finden Anhänger wie Rafa besonders gut: „Ich glaube, dass man sich weniger auf Personen und mehr auf die Tiefgründigkeit und Wahrhaftigkeit ihrer Ideen verlassen sollte.“

„Partido X“ - mehr als eine politische Partei

Es scheint, als müssten wir uns von bisherigen Politikvorstellungen verabschieden, um die Zukunftspartei zu verstehen, denn X ist Partei und Instrument zugleich. Als Instrument gleicht sie einem Wiki, einem interaktiven System, das für alle Bürger zugänglich ist und das die aktuelle Politik reformieren soll. Derzeit sind dies die verschiedenen Webseiten zur gemeinsamen Erarbeitung des Parteiprogramms „Demokratie und Punkt“, bestehend aus den vier Punkten Referendum, Wiki-Regierung, permanentes Stimmrecht und Transparenz.

X als politische Partei befindet sich im „Winterschlaf“. Dieser Teil wird erst zu den nächsten Wahlen aktiviert, wenn die Bürger dies ausdrücklich fordern und die etablierten Parteien die vier Prinzipien bis dahin nicht selbst umsetzen. Bisher haben sie nicht direkt auf die von X versandten Anschreiben mit der Bitte um Kooperation reagiert. „Doch die Stimme der Zukunftspartei wird erhört“, versichert Student Rafa. Der 32-Jährige hat soeben seine letzte Prüfung hinter sich gebracht und schlürft entspannt an einer Tasse Tee. Ein Kommilitone hatte ihn auf X aufmerksam gemacht. Er selbst dachte seit Längerem über ein ähnliches Projekt nach und beteiligte sich sofort. Mittlerweile hätten mehr als 6.000 E-Mails die Partei erreicht, 300 Vorschläge seien über ihre Internetseite eingegangen, bestätigt die anonyme Sprecherin. Noch im März soll eine endgültige Fassung des Programms veröffentlicht und anschließend dem Ministerrat vorgelegt werden. 

Zum Beispiel "Inviernos @Sol"

Tatsächlich ist auch die Sprache der traditionellen Politik in Spanien derzeit stärker von Transparenz und Partizipation geprägt. Das Gesetz für Transparenz, Zugang zu Informationen und gutes Regierungshandeln wird intensiver debattiert. Neben den vielen Korruptionsfällen liege das auch am Druck der Bürger und an X, ist sich Rafa sicher. Bislang gibt es aber nur einen Entwurf, weshalb Spanien noch immer eines der wenigen EU-Länder ist, das nicht über ein solches Gesetz verfügt. 

„Wir sind Kinder einer historischen Epoche“

X behauptet weder, etwas Neues zu schaffen noch die Partei des 15-M zu sein. „Das ist utopisch, denn wir könnten diese Bewegung nie in ihrer Ganzheit repräsentieren“, erklärt die Sprecherin. „Wir sind Kinder einer historischen Epoche, der des Internets und des 15-M“, sagt sie. X verstehe sich als Katalysator von Mechanismen, die in anderen Gesellschaften bereits funktionieren. Ein Beispiel gelebter Transparenz und funktionierender Wiki-Regierung sei Island, wo schon Wikileaks Geschichte schrieb und sich auch die Server der Partei befinden.

Das isländische Mediengesetz schütze diese besser als das spanische. Projekte wie Better Reykjavik und Better Iceland zeigten, wie Bürger dank neuester Informationstechnologien permanent an Politik beteiligt werden. Auf speziellen Plattformen können die Isländer Ideen einreichen, Gesetzesentwürfe bewerten, priorisieren und mit Abgeordneten des isländischen Parlaments kommunizieren. Rafa begeistert diese Idee: „Aktuell sprechen Politiker nur in Wahlkampfzeiten direkt mit den Bürgern. Sobald sie gewählt sind, bauen sie für vier Jahre eine Mauer auf, halten ab und zu einen Zettel hoch, auf dem sie über bereits getroffene Entscheidungen informieren.“ Dabei müssten die Menschen dauerhaft sehen und mitbestimmen können, was hinter der Mauer passiert.

Zukunftspartei – alles wiki oder was?

Ob sich Wiki-Konzepte eines kleinen Inselstaates auf Spanien übertragen lassen, wird sich zeigen. In flächenmäßig großen Ländern wie Brasilien haben sich direkt demokratische Elemente wie der Bürgerhaushalt und seine technische Weiterentwicklung, das Gabinete Digital, inzwischen etabliert. Rafa ist trotz leichter Skepsis zuversichtlich für das spanische Projekt: „Ich glaube durchaus, dass X Zukunft hat“, sagt er. Trotz der Euphorie, die X vor allem bei Facebook-Nutzern ausgelöst hat, wird nur die Zukunft zeigen, ob sie es schafft, Politik in Spanien offener und interaktiver zu gestalten.

Illustrationen: Teaserbild (cc)offizielle Facebook-Seite der Partido X; Im Text: ©JP; Video (cc)ElPartidoDelFuturo/YouTube