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Wikileaks über Afghanistan: Heikle Details und neue Transparenz

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Die Internetplattform Wikileaks hat am Sonntag geheime Berichte über den Krieg in Afghanistan veröffentlicht, in Zusammenarbeit mit drei großen Medien. Sie geben ein ungeschöntes Bild der Lage im Land und haben weltweit große Aufregung verursacht. Europas Presse ist gespalten über die neue Transparenz.

Der Standard: „Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen“; Österreich

Nach der Veröffentlichung von mehr als 90.000 offensichtlich kompromittierenden Dokumenten erklärt die linksliberale Tageszeitung Der Standard den Afghanistankrieg für gescheitert: "Was auch immer sich die Strategen in den USA, Brüssel und Kabul nun einfallen lassen: Die Glaubwürdigkeit ist dahin. Wie will man im Nachhinein erklären, dass eine Spezialeinheit seit Jahren offenbar erfolglos Jagd auf die Taliban macht? Wie will man rechtfertigen, dass die Zusammenarbeit mit pakistanischen Behörden offiziell gelobt wird, dann aber bekannt wird, dass der pakistanische Geheimdienst der 'vermutlich wichtigste außerafghanische Helfer der Taliban' ist? [...] Die Kritik an dem riskanten Einsatz wird in allen beteiligten Ländern zunehmen. Für die Nato, die nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Rolle in einer Art Weltpolizei sah, stellt sich damit auch die Legitimitätsfrage. Selbst wenn offiziell Durchhalteparolen verbreitet werden, so ist doch längst klar: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen. Es werden Parallelen zum Vietnamkrieg deutlich: 1971 hat ein US-Gericht die Veröffentlichung geheimer Dokumente über die Lage in Vietnam erzwungen, inzwischen sorgt das Internet für Transparenz." (Artikel vom 27.07.2010)

The Sun: „Die Moral der Männer und Frauen an der Front untergraben“; Großbritannien

Die Veröffentlichung von mehr als 90.000 meist geheimen Dokumenten über den Afghanistan-Krieg verurteilt die Boulevardzeitung The Sun scharf: "Die Publikation von Geheimdienstberichten durch linke Medien in Großbritannien, Deutschland und den USA kann nur einen Effekt haben - die Moral der Männer und Frauen an der Front zu untergraben, die bereit sind, ihr Leben für unsere Freiheit zu geben. Militärchefs warnen davor, dass die gestrigen Enthüllungen das Leben von noch mehr britischen und US-amerikanischen Soldaten in Gefahr bringen. Und es wird das Vertrauen zwischen den Koalitionspartnern untergraben, die in Afghanistan kämpfen, und die öffentliche Angst schüren. Der Clown, der die Dokumente veröffentlicht hat, sagte, dass sie 'Beweise für Kriegsverbrechen' zu zeigen scheinen. Aber es sollte der Mann angeklagt werden, der sie an erster Stelle verriet. Und zwar schnell. Er hat genug Schaden angerichtet." (Artikel vom 27.07.2010)

The Sun: "Der Clown, der die Dokumente veröffentlicht hat, sagte, dass sie 'Beweise für Kriegsverbrechen' zu zeigen scheinen."

Neue Zürcher Zeitung: „Die Wirkung von Wikileaks lässt sich nicht bestreiten“; Schweiz

Wikileaks findet mit seinen Dokumenten zum Afghanistankrieg ein großes Medienecho. Dabei haben renommierte Zeitungen dieselben Fakten schon vor Jahren recherchiert und darüber berichtet, meint die konservative Neue Zürcher Zeitung. Ihre Erklärung dafür lautet: "Der Masochismus eines Berufsstandes, der auf seine eigenen Leistungen nicht viel gibt, und die einseitige Wahrnehmung der Öffentlichkeit erhalten durch Wikileaks eine neue Dimension. Seit je haben Mitarbeiter aus Rachsucht, Profitstreben oder echter Empörung über einen Missstand vertrauliche Dokumente ihres Arbeitgebers einer Zeitung zugespielt. Ohne diese 'Whistleblowers' wäre investigativer Journalismus nicht denkbar. Wikileaks potenziert nun dieses Phänomen. Die Plattform behauptet, sie habe in drei Jahren 1,2 Millionen Dokumente veröffentlicht - dies bedeutet, Wikileaks hätte jeden Tag mehr als 1000 Berichte erhalten, geprüft und publiziert. Man kann Zweifel haben, ob diese Zahlen stimmen, die Wirkung der Plattform lässt sich nicht bestreiten. Sie kehrt die mediale Rangordnung um: Nicht New York Times und Spiegel betreiben investigativen Journalismus, sondern sie drucken die investigativen Produkte Dritter."

(Artikel vom 27.07.2010)

Delfi: „Kollektive Verantwortung für die Tötung von Zivilisten?“; Estland

Die Enthüllungen über Militäreinsätze in Afghanistan sollten nach Ansicht des Nachrichtenportals Delfi in Estland zu einem Umdenken führen: "Bislang hat das offizielle Estland vor allem von den Rechten und Pflichten eines Nato-Mitglieds gesprochen, und dazu gehöre auch unsere Teilnahme an der Afghanistan-Mission. Jetzt aber sind wir mit einer viel komplizierteren Situation konfrontiert. Wenn die Nato das Recht auf Schutz bietet und die Pflicht einer Teilnahme an gemeinsamen Einsätzen vorsieht, gibt es dann auch eine kollektive Verantwortung für die Tötung von Zivilisten? Estnische Soldaten werden in den veröffentlichten Dokumenten nicht direkt erwähnt, aber wir sind Verbündete der US-Amerikaner, der Briten und anderer Nato-Partner, denen vorgeworfen wird, Zivilisten und darunter auch Kinder erschossen zu haben. Solange es um den zivilen Wiederaufbau ging, haben wir die Lorbeeren immer gerne in Empfang genommen. Wie aber sieht es jetzt aus, wo es um die Verteilung der Lasten geht?"

(Artikel vom 27.07.2010) 

28 Länder - 300 Medien - 1 Presseschau. Die euro|topics-Presseschau zeigt, welche Themen Europa bewegen und spiegelt die Vielfalt an Meinungen, Ideen und Stimmungen wider.

Fotos: ©Truthout.org/flickr; Julian Assange ©New Media Days/flickr

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