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Wieder mal Regierungskrise: Macht Belgien noch Sinn?

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Politik

Nach einem Sprachenstreit zwischen den Flamen und Wallonen ist am Donnerstag das Fünf-Parteien-Bündnis des belgischen Premiers Yves Leterme zerbrochen. Kommentatoren werfen den beiden Sprachgruppen mangelnde Kompromissbereitschaft vor und fragen angesichts der erneuten Regierungskrise nach der Existenzberechtigung Belgiens.

Le Soir: „Macht dieses Land noch Sinn?“; Belgien

Angesichts des fest gefahrenen Konflikts zwischen Flamen und Wallonen fragt sich die Tageszeitung Le Soir, ob der Staat Belgien überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat: "Macht es überhaupt noch Sinn, einen Staat zu erhalten, von dem niemand weiß, ob die nächsten Wahlen dort rechtmäßig sein werden? Macht es noch Sinn, einen Staat zu erhalten, in dem es keine Männer und Frauen oder Systeme mehr gibt, die keinerlei Kompromisse mehr herstellen können, die für den Fortbestand Belgiens unabdingbar sind? Heute Morgen werden die Flamen sagen, dass das alles die Schuld der Wallonen ist, die niemals von ihrer Position abrücken wollen. [...] Die Wallonen werden sagen, dass die Flamen schuld sind, die die französischsprachige Bevölkerung aus Flandern vertreiben wollen. Macht dieses Land noch Sinn? Wir stimmen seiner Existenz immer noch zu. Aber diese Meinung ist nur etwas wert, wenn genügend Menschen ihr Glauben schenken, sich für sie einsetzen und sie am Leben erhalten." (Artikel vom 23.04.2010)

Il Sole 24 Ore: „Verdammt zur ewigen Suche nach Kompromissen“; Italien

Der scheinbar unüberwindbare Sprachenstreit ist der Grund für das schwierige Zusammenleben von Flamen und französischsprachigen Wallonen, schreibt die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Traditionsgemäß beginnen Regierungskrisen in Belgien rasch und enden langsam. Der [flämisch-französische] Sprachknoten ist keine Folklore. Er ist Ausdruck von Machtkonflikten, gesellschaftlich-wirtschaftlichem Revanchismus, mangelndem kulturellen Verständnis und einem Unbehagen beim Zusammenleben, für das es jedoch in der globalen Welt und in einem auseinander brechenden Europa keine überzeugende Alternative gibt. Das wissen Flamen und Wallonen. So wie sie auch wissen, dass sie zur ewigen Suche nach Kompromissen verdammt sind." (Artikel vom 23.04.2010) 

Auf der Karte steht jeweils in drei Sprachen: "Drei Sprachen, eine Seele, ein Belgien"

De Volkskrant: „Politische Krisen gehören zu Belgien wie Streit zu einer langjährigen Ehe“; Niederlande

Die flämischen Liberalen, die aus dem Regierungsbündnis ausgeschieden sind, möchten eine Abstimmung über die Teilung des zweisprachigen Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV) erzwingen. Die linksliberale Tageszeitung De Volkskrant zweifelt am politischen Geschick der neuen Politikergeneration: "Für [Ministerpräsident Yves] Leterme, der einmal sagte, dass nur 'fünf Minuten politischer Mut' nötig sind, um das Problem BHV aus der Welt zu schaffen, ist diese neue politische Krise eine persönliche Schlappe nach der Rehabilitierung, die ihm im vergangenen Jahr zuteil wurde. Aber noch schlimmer ist für Belgien die Enttäuschung, die ein Altgedienter wie [der ehemalige Ministerpräsident Jean-Luc] Dehaene über seine gescheiterte Vermittlung zeigte. [...] Politische Krisen gehören zu Belgien wie Streit zu einer langjährigen Ehe [...]. Die Stärke der Politiker der älteren Generation war, dass sie am Ende immer wieder eine Lösung fanden. Wenn diese Generation anfängt, ihren Glauben zu verlieren, [...] dann ist Belgien tatsächlich in Not."

(Artikel vom 23.04.2010)

Der Standard: „Das Scheitern der Regierung hat vor allem einen Namen: Yves Leterme“; Österreich

Belgien steht eigentlich gar nicht so schlecht da, meint Der Standard, das Problem ist das fehlende Vermittlungsgeschick von Premier Yves Leterme: "Nach einem langen, zähen Sanierungskurs ist es etwa beim Budget im guten EU-Mittelfeld, trotz hoher Schulden. Gesellschaftspolitisch erweist es sich seit Jahren als Vorreiter, von Homo-Ehe bis zur Amnestie für Einwanderer. Nur der Kulturkampf zwischen Flamen und Wallonen, der scheint unauflöslich. Man sollte dieses Problem aber nicht überschätzen. Vieles daran ist Säbelgerassel. Das Scheitern der Regierung hat vor allem einen Namen: Yves Leterme. Ihm fehlt die Fähigkeit der Vermittlung. Der König sollte den Liberalen Guy Verhofstadt zurückholen, der kann es."

(Artikel vom 23.04.2010)

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Fotos: ©seigneurdeguerre/flickr; ©pentaprism_/flickr

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