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Von einem anderen Planeten

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Default profile picture roberto foa

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Default profile picture johannes reiss

Ist Großbritannien tatsächlich im Begriff, mit an die Spitze eines neuen „Europas der zwei Geschwindigkeiten“ zu gelangen? Wie bei der britischen Beteiligung an der europäischen Mars-Mission ist ein Scheitern schon bei der Ankunft zu erwarten.

Großbritannien steigt nun also auch in den „Schnellzug“ dieses neuen Europas. Das war zumindest die Botschaft eines Interviews mit Außenminister Jack Straw in Le Figaro. Darin verkündete er, dass „Großbritannien jetzt, wo sich die Zahl der EU-Mitgliedsstaaten von 15 auf 25 erhöht, logischerweise mit der deutsch-französischen Zugmaschine in Verbindung gebracht werden wird“.

Auf dem Weg nach Europa

Denjenigen, die über das britische „Engagement“ beim europäischen Integrationsprozess Bescheid wissen, ist klar, wie viel Erfolg diesem Vorhaben nun in einem sich im Aufbruch befindlichen Europa beschieden sein wird. Ungefähr so wenig wie vor kurzem der Marssonde, und das Ganze ist auch ebenso weit hergeholt. Der EU Observer, der unter dem Titel „Großbritannien schließt sich deutsch-französischer Zugmaschine an“ über den Kommentar berichtete, muss wirklich auf einem anderen Planeten leben.

In der Tat machen Politiker bei Interviews mit ausländischen Zeitungen nicht selten irreführende Bemerkungen, wobei sie sich in Sicherheit darüber wiegen, dass diese nicht zu den Lesern in der Heimat vordringen werden. Schließlich können solche Kommentare manchmal äußert aufschlussreich in Bezug auf die wahren Ansichten der Politiker sein. Für die britische Regierung wäre es schlichtweg unmöglich, sich in Richtung einer pro-europäischen Haltung zu bewegen, da in dieser Frage von Seiten der Öffentlichkeit mit großem Widerstand zu rechnen ist und die Regierung selbst nicht die nötige Durchsetzungskraft besitzt.

Auf dem Schleudersitz

Erinnern wir uns: Die im Dezember geführten Verhandlungen über eine europäische Verfassung scheiterten. Die Zukunft Europas bleibt weiter offen: Entweder wird die Verfassung später in diesem Jahr auf andere Weise noch einmal zu neuem Leben erweckt, oder aber Frankreich und Deutschland wenden „Plan B“ an. Es wird eine Zahl von Staaten festgelegt, die zusammen den „Kern“ Europas bilden und die alle Zweifler und Unruhestifter außen vor lassen. Im Verlauf von nur einem Monat hat sich der Umriss der Zukunft Europas verändert. Er ist nun nicht mehr klar ausgearbeitet, seine Grenzen sind gänzlich offen.

Der Vorzug beim Prozess des Verfassungsvertrages lag darin, dass sich jedes Land behutsam von seinen eigenen nationalen Vorbehalten distanzieren und an Bord eines gemeinsamen „Legislativschiffes“ gehen konnte. Die unverhoffte Ruhe, die nach dem Abschluss der Verhandlungen herrschte, ist nun vorbei: Jedes Land hat Zeit, sein tatsächliches Verhältnis zu Europa zu beleuchten und seine Position zu überdenken. Einflussreiche Länder wie Frankreich zögern, ob sie aus dem Vernetzungsprozess der Regierungen, bei dem sie so viel Einfluss haben, aussteigen sollen. Und Großbritannien, welches der Verfassung anfangs ablehnend gegenüberstand, sie dann aber als „reinigende Maßnahme“ (so die Regierung wörtlich) unterstützte, beginnt sich zu fragen, ob sie tatsächlich irgendetwas reinigen wird.

So ist nun die britische Unterstützung für die Idee der zwei Geschwindigkeiten eher zynisch zu sehen. Befürworter der Idee, unter ihnen Frankreich, glauben, dass sich der schnellere „Kern“ Europas wie ein massiger Planet verhalten würde, der alles mit der Macht seiner Anziehungskraft an sich bindet. Das ist auch exakt das Ergebnis, vor dem sich Großbritannien fürchtet. Aber es gibt diesbezüglich noch einen Ansichtspunkt: Skeptiker gehen davon aus, dass durch eine Kern-Konstellation widerstrebende Mitglieder für immer an die Außengrenzen verbannt würden.

Großbritanniens Haltung ist es, die Idee der zwei Geschwindigkeiten zu unterstützen, jedoch unter der Annahme der Skeptiker, dass es die Völker Europas eher trennen als vereinen wird.

Was bedeutet ein Europa der zwei Geschwindigkeiten überhaupt? In Wahrheit ist es nur eine Fortsetzung des Status quo. Wir haben bereits im Bezug auf wirtschaftliche Integration (der Euro) und Grenzpolitik (das Schengener Abkommen) ein System der „variablen Geometrie“. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten wird dieses Prinzip der Einfachheit halber auch auf andere Fälle wie die Außenpolitik, das Steuersystem oder die Verteidigung anwenden. Und mit Ausnahme des letzten würde sich Großbritannien gewiss in allen anderen Punkten dagegen entscheiden.

Trägheit der Masse

Deshalb wird ein derartiges Europa viele der Probleme, die überhaupt erst zur Aufstellung des Verfassungsvertrages führten, ungelöst lassen: Das demokratische Defizit bestünde weiterhin, die Institutionen wären weiterhin in geheimnisvolles Dunkel gehüllt, und Europas launischen Charakterzüge, wie die alle sechs Monate wechselnde Ratspräsidentschaft, würden einfach fortgesetzt. Jedoch verspricht es einer ausgewählten Reihe von Staaten eine schnelle Integration in die Europäische Gemeinschaft mit der gleichzeitigen Möglichkeit des Ausstiegs für diejenigen, die nicht bereit sind, sich für die Schaffung eines einzigen europäischen Super-Staats aufzugeben. Europa ist somit vor die Wahl gestellt, entweder den Verfassungsprozess voranzubringen und klare politische Strukturen anzustreben, oder seinen gegenwärtigen Kurs in Richtung einer engeren Wirtschafts- und Sozialunion aus eigenem Antrieb beizubehalten.

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