Umstrittene Studie zu Muslimen
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Eine vom deutschen Innenministerium in Auftrag gegebene Studie hat die Einstellung von Muslimen zur Religion, Demokratie und Gewalt untersucht. Die Ergebnisse sind auf den ersten Blick erschreckend. Doch weisen Kritiker zu Recht darauf hin, dass die Zustimmung zur demokratischen Grundordnung unter Deutschen kaum höher liegt.
Vierzig Prozent der Muslime in Deutschland hängen einer strengen Auslegung des Islam an, glauben an eine Belohnung Gottes für Glaubenskämpfer und befürworten Gewalt zur Verteidigung des Islams – so das Ergebnis einer vom deutschen Innenministerium in Auftrag gegebenen Studie zur Einstellung von Muslimen zu Religion, Demokratie und Gewalt. Es habe sich ein ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotential entwickelt und es müsse in Zukunft verstärkt mit einem „hausgemachten Terrorismus“ gerechnet werden, folgerte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bei der Vorstellung der Studie am 18. Dezember und schlug Alarm.
Der Protest ließ nicht lange auf sich warten: Er stelle alle Muslime unter Generalverdacht, kritisierten Vertreter der Muslime, Oppositionspolitiker und Migrationsforscher. Der ganze Ansatz der Studie sei falsch. Am Tag nach Präsentation der Untersuchung war Schäuble gezwungen, einen Rückzieher zu machen. Er betonte, die überwiegende Mehrheit der Muslime sei friedlich und gut integriert. Tatsächlich ist das Bild, das die Untersuchung von den deutschen Muslimen zeichnet, weitaus differenzierter, als dies Schäuble darstellt. Doch so berechtigt die Kritik an seiner Darstellung sowie an einzelnen Aspekten der Studie ist, lohnen ihre Ergebnisse näher betrachtet zu werden.
Differenziertes Bild, Interpretation offen
In der Studie wurden 970 muslimische Erwachsene, sowie 500 muslimische Schülern befragt. Die Teilnehmer sollten einerseits über ihre persönliche Integrationserfahrung Auskunft geben, andererseits über ihre Einstellung zur Religion, sowie ihre Haltung gegenüber der Demokratie und zur Gewalt. Die Ergebnisse wurden in Beziehung zu ihrer sozialen Situation und ihrem Bildungshintergrund gesetzt. Daraus ergibt sich ein differenziertes Bild der Muslime in Deutschland, dessen Interpretation jedoch keineswegs eindeutig ist, zumal wenn man die Ergebnisse mit den Resultaten ähnlicher Umfragen unter Deutschen vergleicht. Darauf weisen auch die Autoren der Studie nachdrücklich hin.
Mehr als die Hälfte der Befragten identifiziert sich stärker mit ihrem Heimatland als mit Deutschland. Mit 40 Prozent ist der Anteil derer hoch, der nur selten oder nie im Freundeskreis Deutsch spricht. Dies gilt auch für muslimische Schüler, die aber öfter als Ältere Deutsch sprechen und deutsche Medien nutzen. Insgesamt sind die sozialen Kontakte mit Deutschen gering. Dennoch fühlt sich die überwiegende Mehrheit hier wohl. Auch was die Ausübung der Religion anbelangt, kommt wenig Kritik. Allerdings hat jeder zweite kürzlich Diskriminierung erfahren und fühlt sich als Muslim ausgegrenzt. Kritik an der islamfeindlichen Stimmung und dem verbreiteten Terrorismusverdacht ist weit verbreitet.
Hohe Bedeutung der Religion
Insgesamt definiert sich die überwiegende Mehrheit als religiös und mehr als die Hälfte besucht regelmäßig eine Moschee. Dies gilt in noch stärkerem Maße für Jugendliche. Gegenüber ihren nichtmuslimischen Altergenossen messen sie der Religion eine deutlich größere Rolle zu.
Die Studie unterscheidet in Bezug auf ihre Einstellung zur Religion vier verschiedene Gruppen. Erstens die Fundamentalen, die mit 40 Prozent die größte Gruppe darstellen. Sie messen den Geboten des Islam im Alltag eine hohe Bedeutung zu und grenzen die Muslime scharf von anderen Gemeinschaften ab, die als weniger moralisch abgewertet werden. Auffallend ist, dass der Anteil dieser Gruppe unter Jugendlichen mit 44 Prozent noch höher liegt als unter den Muslimen allgemein. Zweitens die Orthodoxen, die knapp 22 Prozent der Befragten betragen. Sie zeichnen sich durch eine tiefe Frömmigkeit aus, werten jedoch andere Religionen nicht so ab. Ihr Anteil liegt unter Jugendlichen bei 26 Prozent.
Drittens die Traditionalisten, die bei 19 Prozent liegen. Hier werden die kulturellen Aspekte und die äußeren Rituale des Islam stärker betont, wohingegen die individuelle Gläubigkeit eine geringere Rolle spielt. Ihr Anteil ist unter Schülern geringer, was auf eine bewusstere Einstellung zur Religion schließen lässt. Viertens schließlich die gering Religiösen, die mit knapp 19 Prozent die kleinste Gruppe bilden. Sie definieren sich zwar als Muslime, doch in der Praxis wird den Geboten des Islam eine geringere Bedeutung beigemessen. Allgemein gilt, dass umso weniger die befragten Muslime in der deutschen Gesellschaft integriert sind, desto größer ist die Bedeutung der Religion und desto strenger wird der Islam ausgelegt.
Problematische Einstellungen
In Bezug auf die Einstellung zur Demokratie ergibt die Studie, dass 10 Prozent ihr distanziert gegenüberstehen. Unter Jugendlichen sind dies sogar 19 Prozent. Die Zustimmung zur demokratischen Grundordnung steht in umgekehrtem Verhältnis zur Bedeutung der Religion. Zugleich gilt, dass die Ablehnung von Demokratie umso größer ist, desto geringer die Bildung und desto schlechter die soziale Lage ist. Eine wichtige Rolle spielt hier auch die Erfahrung von individuell erfahrener oder kollektiv wahrgenommener Ausgrenzung. Ähnliches gilt auch für die Befürwortung von Gewalt zur Verteidigung der Religion.
Hier erschreckt insbesondere die Zustimmung zur Anwendung von Gewalt, um den Islam gegen eine Bedrohung durch den Westen zu verteidigen. Denn 40 Prozent halten dies für gerechtfertigt – ebenso viele wie glauben, dass Gotteskämpfern eine göttliche Belohnung winkt. Die Studie weist aber daraufhin, dass hier wahrscheinlich nur eine verbreitete Vorstellung wiedergegeben wird. Zugleich lehnen 90 Prozent der Befragten Selbstmordattentate ab. Die Studie identifiziert letztlich nur knapp 6 Prozent als wirklich zur Gewalt neigend. Unter Jugendlichen liegt dieser Anteil bei 11 Prozent.
Nicht der Islam ist das Problem
Insgesamt sind die Ergebnisse der Studie durchaus bedenklich. Allerdings werden sie teilweise erklärt durch die Ergebnisse einer parallelen Befragung deutscher Jugendliche: Diese ergab, dass knapp 14 Prozent deutscher Schüler ausländerfeindlich sind und besonders gegenüber dem Islam und Muslimen starke Vorurteile hegen. Muslime gelten allgemein als intolerant und gewalttätig. Die geringe Integration der Muslime erklärt sich daher auch aus der stark ablehnenden Haltung der Deutschen gegenüber Ausländern im Allgemeinen und Muslimen im Besonderen.
Die Ergebnisse der Studie werden weiter relativiert, wenn man bedenkt, dass der Anteil muslimischer Jugendlicher und Erwachsener, die zu einer strengen Auslegung des Islam und einer ablehnenden Haltung zur Demokratie neigen, kaum höher liegt als unter nichtmuslimischen Migranten, wo ebenfalls 18 Prozent ähnliche Einstellungen vertreten. Die Religion spielt hier offensichtlich keine wesentliche Rolle, die soziale Situation und der Bildungshintergrund hingegen schon. Ebenso können muslimische Jugendliche nicht als stärker gewaltbereit oder intolerant gelten als Nichtmuslime. Im Gegenteil: Berücksichtigt man den Bildungshintergrund sind sie sogar offener gegenüber anderen.
Auch ist jenen Kritikern zuzustimmen, die bemerken, dass einige der Fragen wenig eindeutig sind. So muss sich die Befürwortung von Gewalt zur Verteidigung des Islams gegen die Bedrohung des Westens keineswegs auf Deutschland selbst beziehen. Es ist sogar anzunehmen, dass die Befragten dabei weniger an die Kölner Moscheedebatte als an die israelische Besatzungspolitik dachten. Auch ist kritisch anzumerken, dass die Studie, indem sie einen Gegensatz zwischen Islam und Demokratie impliziert, letztlich von den Muslimen verlangt, den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Dabei zeigt die Studie sehr deutlich, dass der ständige Verdacht gegen Muslime den Rückzug aus der deutschen Gesellschaft befördert und eine kritische Haltung gegenüber ihrer Grundordnung stärkt.