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Shlomo: "Beatboxen ist mehr als Selbstdarstellung"

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Der britische Human-Beatbox-Künstler mit israelischen, irakischen und deutschen Vorfahren spricht über aufgeblasene VIPs, das Ende der Plattenfirmen und seine Zusammenarbeit mit Björk.

Hampstead Heath ist nun wirklich keine typische Hip-Hop-Hochburg. Zunächst erscheint der Treffpunkt mit dem 25-jährigen Beatboxer Shlomo daher ein wenig befremdlich. Der Fotograf blickt schon unzufrieden auf die Wiesen und Bäume um uns herum. Doch Shlo - wie sich Simon Shlomo Kahn auch gerne nennt - wischt die Assoziation von Urbanität in Windeseile beiseite. „Wahrscheinlich habt ihr euch schon gedacht, dass ich kein typischer Hip-Hopper bin.“ Shlo verfügt über eine klassische Ausbildung und begann zu beatboxen, weil es ihm gefiel, Leute zu beeindrucken. Doch angesichts seiner Auftritte in Glastonbury, Latitude und Womad wirkt das aktuelle Konzert bei Sweden on Stage trotz des Veranstalters Benny Andersson nicht besonders prestigeträchtig. Doch für Shlo zählt einzig und allein der Auftritt auf der Bühne.

Die Freiheiten eines Beatboxers sind schier grenzenlos

„Die Freiheit, die man als Beatboxer hat, ist einfach großartig. Sie ist erlösend!“ erklärt Shlomo. „Man kann zu jedem Zeitpunkt genau das Instrument sein, das man gerade spielen möchte. Ich fühle mich wie ein Magier, der im Zentrum steht und alles kontrolliert“, sagt der Mann, den einst Tim Westwood, den DJ des britischen Senders Radio One, als den „Harry Potter des Hip Hop“ bezeichnete. Als Artist-in-Residence des Londoner „Southbank Centre” (einem Bühnenkomplex am Ufer der Themse; A.d.R.) ist der junge Mann aus Buckinghamshire frei, „so wenig oder so viel wie möglich zu tun“, ohne offizielle Verpflichtungen und sogar ohne ein Mindestpensum an Auftritten. „Es hat ewig gedauert, bis ich begriffen habe, dass nichts arrangiert war. Als ich es kapiert hatte, habe ich den Verantwortlichen einfach eine lange Liste mit all den Projekten gegeben, die ich schon immer umsetzen wollte.“ Jetzt ist Shlos Terminplan für die nächsten anderthalb Jahre randvoll mit Projekten. „Es scheint für alle zu funktionieren“, freut er sich. „Ich lade zum Beispiel ein neues Publim in die traditionelle Umgebung der Royal Festival Hall (eine der Bühnen am Themse-Südufer; A.d.R.) ein. Das gibt mir sehr viel. Ich finde das einfach toll!”

©David Tett/ davidtett.com/ davidtett.blogspot.com

Zurzeit verfolgt Shlo drei Hauptprojekte: So arbeitet sein Vocal Orchestra, eine Gruppe von Beatboxern und Sängern aus England, zu der auch die weibliche Beatbox-Weltmeisterin Bellatrix gehört, an einem Theaterprojekt. „Das ist in etwa so wie Stomp (eine Musicalperformance; A.d.R.), aber für Sänger.“ Zweitens wird seine Truppe sich im Februar 2010 bei einem gemeinsamen Auftritt der Komponistin Anna Meredith anschließen, die akustische und elektronische Musik macht. „Da bin ich wirklich gespannt drauf, denn es wird sich um ein klassisches Stück handeln,“ sagt Shlo. „Wir werden es live aufführen und ich werde mit meinem Zylinder ganz vorne stehen.” Für dieses zweite Projekt entwickelt er unter anderem eine Beatbox-Notation. Meredith hilft ihm bei der Entwicklung der Umformung der Basstrommel-Notation in phonetischen Klang.

Nachhaltiges Beatboxen

©David Tett/ davidtett.com/ davidtett.blogspot.comShlos Herzensprojekt ist aber vermutlich die Beatbox Academy, die gerade in ihr drittes Semester geht. Hier laufen viele Stränge zusammen: Die Dozenten (Shlo und die beiden Orchestermitglieder Jez und MC Zanim; A.d.R.), besuchen schwerpunktmäßig Schulen in sozialen Brennpunkten und bemühen sich, mittels Workshops und Jugendtreffs Jugendlichen für Musik zu begeistern. „Sobald sie nicht mehr mit der ewigen Anwesenheitspflicht genervt werden, ist die Motivation der Kids viel größer.“ Shlomo plant außerdem den Aufbau eines „nachhaltigen Beatbox-Systems“, dessen Grundlage die Arbeit der Academy und eine exakte Notation sind. Als Inspiration nennt er das in Venezuela beheimatete Simon Bolivar Orchestra. „So will ich auch arbeiten”, sagt er über das seit 34 Jahren bestehende Jugendorchester. „Die Kids sollen hier einfach dabei sein, ohne mit Messern aufeinander loszugehen. Wer damit klarkommt, kann Fortgeschrittenenkurse besuchen und schließlich anfangen, selbst zu unterrichten.“ Bei aller Begeisterung birgt diese Art von Projekt in der Realität aber die meisten Probleme. Shlo hofft, seine Academy über ganz London, ja sogar in andere Städte ausweiten zu können. Schwierigkeiten bereiten bisher nur die Finanzierung und die Bürokratie.

Ein Ausweg aus dem Dilemma sind seine gemeinschaftlich organisierten Benefizkonzerte, die er Music Through Unconventional Means (Musik durch ungewöhnliche Mittel; A.d.R.) getauft hat. Sie beleuchten die Rolle der Musik im Kampf gegen Messerstechereien in England. Sein Orchester hat im Rahmen dieses Projekts mit so unterschiedlichen Künstlern wie Jarvis Cocker und Ex-Sugarbabe Mutya Buena zusammen gearbeitet. Ebenfalls auftreten sollen die besten Kids aus der Academy, deren extreme Lebensgeschichten die Vorlage für die Handlung bilden. Die großen Namen locken dabei ein breites Publikum und die Medien an. „Das wiederum gibt den Jugendlichen die Chance, ihr Ding zu machen.“

Shlomo boykottiert das traditionelle Hip-Hopper-Ideal

Auch wenn Shlo die VIP-Bereiche bei Festivals als Zonen für „aufgeblasene Leute, die gar nicht so wichtig sind“ schmäht, so ist doch die Liste seiner Promi-Freunde scheinbar unendlich. 2004 bat ihn die isländische Sängerin Björk „völlig unerwartet” darum, auf ihrem Album Medulla zu beatboxen. Im gleichen Jahr traten sie gemeinsam bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Athen auf. „Das war ein guter Anfang, weil sich daraus so viel entwickelt hat“, erzählt Shlo. „Bis dahin habe ich beatboxen nicht als eine Art Musik gesehen. Ich war der Meinung, dass ich die Leute nur beeindrucke und sie nicht zu etwas ansporne. Mir ist dadurch erst klar geworden, dass Beatboxen eine Möglichkeit bietet, künstlerische Zusammenarbeit und musikalische Experimente zu fördern.“

Ich stelle Musik auf meine Website und biete mp3s zum kostenlosen Download an.

Shlomo erreichen aber nicht nur Anfragen vom Publikum oder von anderen Künstlern. Auch Plattenfirmen möchten mitmischen, doch bisher hat er alle Angebote zurückgewiesen. „Das ist sowieso ein veraltetes Konzept, denn mit den Plattenfirmen ist es aus. Ich stelle Musik auf meine Website und biete mp3s zum kostenlosen Download an. Meine Arbeit am Themseufer ist so spannend wie der tollste Plattenvertrag! Ich bin kein Künstler fürs Studio, ich mache meine Musik nur live. Das ist der ultimative Deal für Auftritte!“ Trotz Shlos träger Sprechweise springt der Funke über: Fast alles ist für ihn „awesome“ und „fantastic“ und spricht er davon, „eine ganze Armee talentierter Beatboxer aufzustellen“, bin ich fast überzeugt.

Zu hören sind Shlomo und das Vocal Orchestra am 19. und 20. Februar 2010 in der Queen Elizabeth Hall in London.

Translated from Shlomo: ‘I used to think beatboxing was a way of impressing people’