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Sevillas Bioprodukte zieht es ins Ausland

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Default profile picture Birke Gerold

Sevilla exportiert seine Bioprodukte nach ganz Europa und macht Spanien damit zum führenden europäischen Hersteller im biologischen Landbau. Der spanische Bioexport stellt aber nicht nur eine Chance für die Zukunft des alternden Primärsektors dar, sondern wird von Verfechtern des Lokalkonsums zunehmend in Frage gestellt.

„Der CAAE bietet seinen Mitgliedern die Stärke des führenden europäischen Ökolabels“, leiert die Stimme der Kampagne herunter, die auf einem Plasmabildschirm im Warteraum gezeigt wird. Wir befinden uns im Hauptsitz des andalusischen Verbands für ökologischen Landbau CAAE (Comité Andaluz de Agricultura Ecologica) in Sevilla – einer Stadt, in der laut der Tageszeitung El diario de Sevilla seit 2007 täglich vier Firmen geschlossen haben.

„Paco“, Rekordhalter der Hungerstreiks

An der Spitze des CAAE steht Francisco Casero Rodríguez, ein charismatischer Mann, der energisch seinen Ackerboden verteidigt. So steht in seinem Lebenslauf: „Ich mache seit mehr als 40 Jahren Hungerstreiks, um für die Sache der Bauern und der Umwelt zu kämpfen.“ Doch Rodríguez, kurz „Paco“ genannt, ist nicht nur ein ganz Harter, er ist auch ein Visionär. Um gegen die Entwaldung zu kämpfen, hat er den Plan Forestal Andaluz sowie die Kampagne „Ein Andalusier, ein Baum“ („Un andaluz, un árbol“) gegründet – 26 Jahre, bevor die UNO das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr des Waldes erklärte.

Und Paco fügt hinzu: „Die CAAE hat als Erste auf die negativen Folgen der intensiven Landwirtschaft aufmerksam gemacht.“ In den 1990er Jahren waren Pestizide ein riesiger Erfolg. Heute hingegen sind viele Landwirte krank, Pestizide sind Unser tägliches Gift (Name eines Dokumentarfilms von Marie-Monique Robin über die gesundheitlichen Gefahren von Pestiziden) – und Paco, als Leiter der Organisation, die die meisten Biolabels in Europa ausstellt, steht das zwanzigste Jahr in Folge um sechs Uhr morgens auf. Seine grünen Visionen tragen Früchte: Die Fläche zertifizierten Lands ist von 1 672 Hektar im Jahr 1991 auf heute 829 839 gestiegen. Immer mehr Hersteller stellen auf Bio um (plus 2 689 Produzenten innerhalb von vier Jahren).

Entweder Bio oder nicht

Warum schwenken so viele Hersteller denn nun tatsächlich auf Bio um? Muntse Ligero, eine pausbäckige und quietschfidele junge Frau, widmet sich sowohl der Zucht von 150 Freilandhühnern und mehreren Hektar Gemüsefeldern, beide zertifiziert Bio, als auch der Lieferung von Bio-Fertiggerichten und -Desserts. Ligero wurde mit Bio groß, da sie der Arbeitergarten ihrer Familie lange von Supermärkten fernhielt. Die Zertifizierung ihrer Produktion war ein einfacher Behördengang. „Das Biolabel öffnet dir Türen“, sagt Ligero – eine Aussage, die gut zum Werbespot der CAAE über die „Stärke des europäischen Marktführers“ passt. Für diese „Stärke“ zahlt Ligero jährlich 900 Euro, das ist alles.

Den Rest ihres Erfolgs hat sie ihren Händen und vor allem ihrem Kopf zu verdanken. „Bio ist der Zukunftssektor der Landwirtschaft“, sagt sie. „Eine Familie kann gut von zwei Hektar vielseitigem biologischem Anbau leben. Dafür braucht man nicht mehr Tag und Nacht arbeiten. Man muss die ausgetretenen Pfade verlassen und Neues vorschlagen.“ Eine Entwicklung, die viele ängstigt: „Die Landwirte haben Angst vorm Biomarkt, da er auf lokaler Ebene kaum gewinnbringend ist. Vor allem aber denken sie, dass ihre Kulturen ohne Pestizide erkranken. Mir ist das jedoch noch nie passiert.“

Der Biozyklus – von der Fütterung der Tiere bis hin zur Konservierung ihres Fleisches – ist zwar langsamer, aber dafür gesünder als der konventionelle

Warum Bioprodukte exportieren?

Der Export von Bioprodukten, eine Generationenfrage? Ja, aber nicht nur. Er ist auch eine Frage der Sensibilisierung. Denn obwohl der CAAE unzählige Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen organisiert, etwa die Biologische Woche, ist der Zugang der Einwohner Sevillas zu Bioprodukten laut Muntse eingeschränkt: „Die meisten der Veranstaltungen des CAAE beziehen sich auf den Export. Sie könnten sich ruhig ein bisschen mehr um den lokalen Markt kümmern.“ Pepe, der Inhaber des Bioladens Gaïa und eines gleichnamigen Restaurants ist ebenso wenig von CAAE überzeugt wie Muntse. Er ist ein glühender Verfechter der Slow Food-Bewegung, die auf den Konsum von Produkten aus lokaler Landwirtschaft setzt. Pepe hat die für die CAAE-Zertifizierung erforderlichen 400 Euro pro Jahr nicht gezahlt – denn, so führt er an, „alle Produkte, die ich verkaufe, haben schon ein Label.“ Ist das der einzige Grund? In dem Raum, in dem seine Frau Kurse in chinesischer Medizin gibt, gibt er zu, außerdem nicht völlig mit der Mission des CAAE einverstanden zu sein: „Seit seiner Gründung ist der spanische Biomarkt dem Export verschrieben.“

Diese Produkte sind, anders als die exportierten, vor Ort zu konsumieren Bio produzieren und exportieren – das sind zwei Konzepte, die an sich unvereinbar sind. Doch der CAAE, dessen Produktion zu etwa 80 % exportiert wird, verteidigt sich mit dem Hinweis, dass die Anerkennung des Labels außerhalb der andalusischen Grenzen ermöglicht, die spanischen Bioprodukte bekannt zu machen – und dadurch den Ackerboden und dessen Landwirte zu retten. Um die Bekanntheit der Produkte zu steigern, setzt die Branche vor allem auf Biomessen, von denen die wichtigste – die Biofach – jedes Jahr in Nürnberg stattfindet. Offenheit und Dynamik sind auch die besten Mittel, um den Primärsektor der jungen Generation schmackhaft zu machen. Um das zu erreichen, „muss man die Arbeitsstellen in diesem Sektor wieder sicher machen“, meint Paco. Eine dringliche Angelegenheit zu einer Stunde, in der „nur 4 % der spanischen Landwirte jünger als 35 Jahre sind“ und die Landwirtschaft der Sektor ist, der am stärksten von Arbeitslosigkeit geprägt ist.

Produzieren ohne Überschuss, „von der Wiege bis zur Wiege“

Mit seinen 41 Jahren ist José Joaquín Suárez Tejeiro einer dieser wenigen „Jungen“ des Biosektors. Der liebenswürdige Firmenchef hat keine Angst, das Umweltkonzept mit dem Export zu verbinden. Und er verzeichnet mittlerweile Profite. Unter seinen etwa zwanzig Unternehmen findet man deshalb ebenso die Bioaufzucht wie die Unterstützung von Lidl bei der Ansiedlung seines neuen Supermarkts. „Was mir aber am meisten gibt, ist der Ackerboden“, gibt der ehemalige BWL-Student zu. Und er lügt nicht. Seine Weiden in der Nähe der andalusischen Stadt Huelva kennt er wie seine Westentasche. Mit seinem Audi Quatttro besucht er gerne die Schweine dort, die später einmal den wertvollen Schinken „jamon de bellotas“ geben werden. Hier wird nichts verschwendet, alles wird weiterentwickelt – die konkrete Umsetzung der Idee „Cradle to Cradle“ (wörtlich „von der Wiege bis zur Wiege“, Titel des Bestsellers von William McDonough und Michael Braungart, der dazu anregt, unsere derzeitige Produktionsweise mit Blick auf den Naturkreislauf zu überdenken).

Nur ein Beispiel hierfür: Aus den Eichen, deren Eicheln die Schweine ernähren, stellt man Korken für Biowein her, aber auch alle möglichen Arten von Möbeln, Schirmen usw. Doch auf die Frage, wohin all diese Bioprodukte gehen, heißt es: „Nach Nordspanien, nach Deutschland, nach Skandinavien… Der Unterschied zwischen biologischen und konventionellem Landbau ist dort logischerweise viel größer als hier. In Andalusien sehen die Leute nur einen einzigen Unterschied zwischen den beiden, nämlich den Preis.“ Genau hier spielen für Muntse und Pepe die kleinen Hersteller eine Rolle – damit Sevillas Bioprodukte in ihrem Lebenszyklus „von der Wiege bis zur Wiege“ ein bisschen mehr durch die andalusischen Mägen und ein bisschen weniger durch die Laderäume von Flugzeugen gehen.

 Die Kühe verbrauchen, was sie Erde produziert – ohne Pestizide oder gentechnisch veränderte Organismen (GVO)

Danke an das cafebabel.com-Team in Sevilla: Clara, Elina und Silvia.

Dieser Artikel ist Teil unserer Reportagereihe Green Europe on the Ground 2010-2011.

Fotos: Homepage (cc)nothing to hide/flickr; Im Text: ©Emmanuel Haddad

Translated from A Séville, le bio sauve l’agriculture mais s’exporte trop