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Schwulenfreundliche Party in einem homophoben Land?

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Die Eurovision-Fans in aller Welt - unter denen bekanntlich viele Homosexuelle sind - fiebern dem Megaevent in Belgrad entgegen. Aus ihrer Halbillegalität herauszutreten, das hofft die schwule und lesbische Community in der Balkanmetropole.

So viele freundlich gesinnte Ausländer wie in diesen Tagen konnten die Serben nur selten in ihrer Hauptstadt begrüßen. Die Hotels in der Millionen-Metropole sind trotz des Preisaufschlags - mitunter gleich um mehrere hundert Prozent - brechend voll. Grand-Prix-Besucher, selbst wenn sie sich nicht um die Souvenir- und Postkartenstände in der Belgrader Fußgängerzone, der Knez Mihailova, scharen, erkennt das einheimische Auge sofort: Geschulterte Rücksäcke sind ein modisches Accessoire, das man in Serbien kaum trägt. Amüsiert haben sich die Leser der Boulevardtageszeitung Blic über den irischen Sänger, der Belgrad in völliger Ermangelung geographischer Kenntnisse irgendwo nahe Russland angesiedelt und sich mit warmer Kleidung eingedeckt haben soll.

Während nach den Parlaments- und Bürgermeisterwahlen vom vorletzten Sonntag die ultranationalistischen Kräfte mit den pro-europäischen um den entscheidenden politischen Kurs des Landes ringen, zeigt das offizielle Belgrad den Touristen seine Schokoladenseite: Anti-westliche Graffiti in der Nähe des Veranstaltungsortes werden eifrig übertüncht und marode Bürgersteige im Zentrum erneuert. Auch die kleinen Straßenhändler, die Kleidung und Gegenstände des täglichen Bedarfs neben dem großen Markt im idyllischen Stadtteil Zemun verkaufen, werden verbannt: "Während des Wettbewerbs will man uns hier nicht haben", klagt Marko, der mit dem Feilbieten von Körben, Honig und kleinerem Geschirr seinen Unterhalt verdient. Doch ob für oder gegen den Song-Contest, da sind sich alle einig: Der Frühjahrsputz hat der Hauptstadt gut getan. 

Neu-Belgrad

©ESC 2008Austragungsort des Song-Contests vom 20. bis 24. Mai ist die Belgrad Arena, die fünftgrößte Halle Europas. Auf einer Fläche von 48.000 Quadratmetern finden über 20.000 Zuschauer einen Sitzplatz. Die derzeit freundlich beflaggte Halle liegt in dem von Hochhäusern geprägten Stadtteil Neu-Belgrad, direkt an der Autobahn Zagreb-Nis. Jeder, der irgendwann einmal auf dem berüchtigten „autoput“ in Richtung Türkei oder Griechenland unterwegs war, fuhr durch diese grauen Wohnriesen Spalier. In den letzten Jahren entsteht in Neu-Belgrad ein Hochglanz-Geschäftsviertel.

Für die jungen Leute, von denen ein Großteil das westliche Ausland nur vom Fernsehen und aus Büchern kennt, bietet der Eurovision Song Contest 2008 die Gelegenheit zur direkten Tuchfühlung mit Gleichaltrigen aus anderen Nationen. "Ich freue mich wirklich, dass Serbien endlich mal nicht wegen des Krieges in der Weltöffentlichkeit steht", sagt Jasna. Die 20-Jährige aus dem südserbischen Jagodina hat letzten Herbst ihr Deutschstudium begonnen. Eigentlich habe sie mit dieser Musikrichtung nicht so viel am Hut, aber dass das Ganze diesmal in ihrer Heimat stattfinde, mache sie stolz und deshalb werde sie sich die Übertragung zu Hause mit ihrer Familie ansehen. Groß angelegte Eurovision-Partys wie in Deutschland kennt man in Serbien nicht. Ihr gleichaltriger Kommilitone Dario kann sich nicht für die Veranstaltung erwärmen: "Echt prima, dass auf den Straßen so viel los ist, aber mir ist das alles hier langsam ein wenig zu schwul!" So was wie dort, gemeint ist das selbstverständliche öffentliche Auftreten der Lesben und Schwulen in Deutschland, gebe es hier nicht, meint er. 

Das alte Lied der Homophobie

Boban Stojanovic kann ein Lied von der Homophobie in seinem Land singen. "Als Journalist konnte ich in der ostserbischen Provinz nicht mehr weiterarbeiten, deshalb habe ich mich in die Anonymität Belgrads zurückgezogen“. Hier engagiert sich der 30-Jährige seit Herbst 2000 in der kleinen, zehnköpfigen Gaygruppe QUEERIA. Bereits im März 2001 seien 50 rechte Schläger, provoziert vom Engagement der Gruppe für die Homo-Ehe, in ihr Büro eingedrungen und hätten alles - einschließlich der darin befindlichen Aktivisten - kurz und klein geschlagen. Die Strafen von zwei bis drei Monaten seien kaum der Rede wert gewesen, so Boban. Auch die anderen Belgrader Gruppen, wie Labris, Gayten, Gay Straight Alliance oder Transgay zählen nicht viele Mitstreiter. "Die Leute haben einfach Angst", weiß er. Homosexuelles Leben wie in Berlin kenne man in Belgrad nicht. In der Regel trifft man sich daheim, seltener in der einzigen bekannten Szene-Kneipe.

Den Song-Contest sieht er als Möglichkeit, Kontakte zu anderen Organisationen zu knüpfen und Lobbyarbeit zu betreiben. Doch die größte Chance, nämlich eine prominente Fürsprecherin für gleich zwei Minderheiten zu bekommen, bedauert Boban, sei im vergangenen Jahr verpasst worden. "Mit dem Sieg von Marija Serifovic, Lesbe mit Roma-Herkunft, bekam man im Ausland den falschen Eindruck, dass Serbien tolerant wäre gegenüber Minderheiten", erklärt er. Tatsächlich aber engagiere sich die Vorjahressiegerin weder für die einen, noch für die anderen. "Sie hat sich eine Wohnung gekauft, ein Auto und sich für die Radikalen eingesetzt", so Boban weiter. Für die Roma wie für die Homosexuellen sei dies eine große Enttäuschung.

Schon länger gegen gleichgeschlechtliche Liebe hetzt die "vaterländische Bewegung" Obraz ('Ehre'). "Diese Bewegung wird sich auch künftig dafür engagieren, dass Belgrad eine freie, christliche Stadt bleibt", heißt es jetzt auf ihrer Webseite. Die Verbreitung des Bösen, wie zum Beispiel eine Gay-Parade, werde sie nicht dulden. Patrouillen würden durch die Straßen geschickt.

Sicherheitsgarantien für alle Gäste haben Präsident Boris Tadic und die Veranstalter der Eurovision 2008 abgegeben. Schon im Vorfeld des Megaevents durchkämmen deshalb nicht nur Ausländer in großen Mengen sowie ultranationale Aktivisten die Stadt. Auch die Anzahl der Polizisten ist momentan so groß, wie mancher es sich während der Angriffe auf die ausländischen Botschaften im Februar dieses Jahres gewünscht hätte. Mit nagelneuen, gelben Leuchtwesten und einer Kelle mit der Aufschrift "policija" versehen, flanieren sie durch die Straßen.

Auf Feindseligkeiten gegenüber Homosexuellen weist auch die serbische Rechtsanwaltsvereinigung für Menschenrechte (YUCOM) in einer aktuellen Sonderausgabe ihres wöchentlichen Newsletters hin. Die von der serbischen Gay Straight Alliance beim Meinungsforschungsinstitut CeSID (Zentrum für freie Wahlen und Demokratie) in Auftrag gegebene und im Februar und März 2008 in Serbien durchgeführte repräsentative Umfrage zeigt: Von 100 Befragten halten 70 Homosexualität für eine Krankheit. 50 Prozent erachten Homosexualität als gefährlich für die Gesellschaft. Gegen gleichgeschlechtliche Ehen sprechen sich 77 Prozent aus und dass Lesben und Schwule die „gleichen Menschen wie wir sind“, bejahen lediglich 38 Prozent.

Boban richtet seine dringende Empfehlung gleichermaßen an Homo - und Heterosexuelle - nämlich nicht mit den Flaggen der Länder herumzuwedeln, die das Kosovo anerkannt haben.

Die Autorin ist Mitglied des Korrespondenten-Netzes n-ost