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Schwedens Einwanderungspolitik: Ebbe oder Flut?

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Obwohl die irakische Flüchtlingsproblematik ein globales Problem darstellt, haben bisher lediglich 4 Prozent der Asylsuchenden in Europa ihr Glück versucht – hauptsächlich in Schweden.

Es ist das erste Mal innerhalb von fünf Jahren, dass die Anzahl der Flüchtlinge weltweit wieder gestiegen ist, stellt Antonio Guterres, UN-Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen und ehemaliger Präsident von Portugal in einem am Weltflüchtlingstag veröffentlichten Bericht klar. Experten schätzen, dass sich die Anzahl der in Europa Schutz Suchenden für das Jahr 2007 auf ungefähr 40.000 verdoppeln könnte.

Für diesen Anstieg ist vor allem der 2003 ausgebrochene Irakkrieg verantwortlich. Der Einmarsch der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und die im Anschluss daran entbrannten feindlichen Auseinandersetzungen haben ungefähr 4 Millionen Iraker dazu veranlasst, ihre Heimat zu verlassen. Die Hälfte von ihnen (1,8 Millionen) befindet sich aber noch im Land, während der Konflikt droht, sich zu einem Bürgerkrieg auszuweiten. Weitere 1,2 Millionen Iraker sind bereits in die Nachbarländer Jordanien und Syrien geflüchtet.

Direktflug vom Krieg in den Frieden

Weltweit an dritter Stelle, stellen die Iraker mittlerweile die größte Gruppe Asylsuchender in Europa dar. Zwischen 2005 und 2006 war die Zahl rapide gestiegen. Währenddessen öffnet die EU-Kommission wieder einmal die Büchse der Pandora und versucht sich an einer europaweit einheitlichen und für alle 27 Mitglieder verbindlichen Asylgesetzgebung. Für Asylsuchende ist das Timing in Europa daher momentan denkbar schlecht. Malta beispielsweise - EU-Staat im äußersten Süden Europas - weigert sich die "Flut" an Einwanderer-"Pateras" (Flüchtlingsboote) aufzunehmen. Menschenrechtsorganisationen verurteilen eine solche Politik, die noch mehr tragische Todesfälle zur Folge habe.

Tägliche Direktflüge von Erbil (im Norden Iraks) ermöglichten Irak-Flüchtlingen ab 2005 die Zuflucht in das liberale Schweden. Zunächst war Schweden Europas erste Anlaufstelle für die Verfolgten des Saddam-Regimes zwischen 1997 und 2003. Die meisten Ankömmlinge konnten dort von einer großzügigen Aufnahme- und Integrationspolitik ausgehen. Andere kamen bei ihren Familien unter. Sie fanden sich schnell in den bereits in Schweden etablierten irakischen Gemeinden zurecht, in Södertälje (südlich von Stockholm) oder Malmö, einer südwestlich gelegenen Hafenstadt. Nach den Finnen stellen die Iraker nun die zweitgrößte Minderheit unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft dar.

Die Bürde teilen

Die Europäische Presse sieht das Problem eher in Südeuropa, eine Tatsache, die den kürzlich geäußerten Beschwerden des friedfertigen Schwedens zusätzliches Gewicht verleiht. Fürchtet Stockholm doch, dass die ständig weiter anwachsende Zahl von Flüchtlingen aus dem Irak bald Probleme mit sich bringen könnte. Über 18.000 Iraker haben seit 2006 in Schweden Asyl beantragt – ein europaweiter Rekord. "Man möchte schließlich nicht gerade ein zweites Nordmalta werden", flachst André Nilen von der schwedischen Migrationsbehörde. Im Februar 2007 rief Astrid Thors, finnisch-schwedische Ministerin für Migration und EU-Angelegenheiten, andere EU-Länder dazu auf, Schweden zu entlasten. Damit hatte sie schlussendlich genauso viel Erfolg wie Malta, wie der EU-Justizkommissar Franco Frattini am 6. Juni 2007 bemerkte.

Bisher (bis einschließlich 6. Juni) hat die schwedische Regierung außerdem noch eine zweite Lösung im Visier: Das Land plant weniger Flüchtlinge aufzunehmen. Die schwedische Einwanderungsbehörde hat daher verkündet, dass nur Bewerber, die konkreten Bedrohungen ausgesetzt sind, einen Anspruch auf Asyl haben. In Anbetracht der Protestflut seitens der Flüchtlinge und deren Anwälten ist allerdings noch ungewiss, inwieweit diese Lösung umsetzbar erscheint.

Neue Ideen: Ebbe oder Flut?

"Wir waren 200 Jahre nicht im Krieg", bemerkt Nilen. "Unser einziger Berührungspunkt mit dem Krieg ist, dass wir Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen." Schweden hofft auf mehr Flexibilität und Kreativität, um weiterhin Flüchtlinge aus dem Irak willkommen heißen zu können. Sich wie in Brüssel lediglich über die Flüchtlingsproblematik zu beschweren, ist weder innovativ noch erfolgversprechend. "Natürlich möchten wir - so oft es geht - auf das Problem hinweisen, aber ebenso sehr sind wir bereit, unseren Teil zur Problemlösung beizusteuern", so Nilen. Fänden sich interessante Lösungsansätze, beispielsweise in Bezug auf die Ansiedlung der Flüchtlinge in Schweden, würden die Abschiebungen in andere Länder und Regionen seltener. Die Kommunenbildung irakischer Familien in Södertälje oder Malmö hat häufig Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit zur Folge. Diese zwei Gründe werden oft angeführt, wenn es darum geht, die Anzahl der Flüchtlingsfamilien zu verringern oder aber die den Flüchtlingen zustehenden Sozialleistungen zu kürzen.

Ginge es nach einigen Hardlinern, würde der Gesetzgeber über die Aufenthaltsberechtigung der Flüchtlinge bestimmen. Dabei wäre es nicht von Nachteil auch finanzielle Anreize zu schaffen: "Studien haben gezeigt, dass Balkanflüchtlinge, die sich für kleinere Wohnporte wie Malmö entschieden hatten, viel eher Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen konnten", so Nilen.

Demonstrationen gegen eine Verschärfung des Asylgesetzes

Friede und nicht Gewalt – Ja zur Liebe!, so lauteten am 30. Juni 2007 die Slogans christlicher, in Schweden ansässiger Iraker, die im Rahmen friedlich verlaufender Demonstrationen in mehreren Städten protestierten; zum Beispiel in der zweitgrößten schwedischen Stadt Göteborg und im südlich gelegenen Linköping. Die Protestaktionen sollen die schwedische Regierung zu einer großzügigeren Asylpolitik bewegen: die schwedische Einwanderungsbehörde hatte erklärt, Asyl würde nur Irakern aus dem Süden oder aus der Gegend um Bagdad gewehrt. Und nur im Fall konkreter Bedrohung oder Gewaltanwendung.

‚Wenn Christen sich weigern, zum Islam überzutreten, werden sie des Landes verwiesen’, teilte Suham Dawood – der der ostassyrischen Kirche angehört – der schwedischen Tageszeitung Östgöta Correspondenten mit. Hans Linde, der für die Linke Partei im Parlament sitzt, führte in seiner Göteborger Rede an, dass die Gewalt mittlerweile Ausmaße erreicht hätte, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von ethnischen Säuberungen zu reden. Das ganze Ausmaß kann ich als Schwede nur mit Mühe erfassen.’

Die Einwanderungsbehörde dagegen behauptet weiterhin, es gäbe momentan keine bewaffneten Konflikte im Irak. Damit ‚gelinde gesagt’ im Widerspruch steht allerdings die Begründung der Behörde, warum sie selbst gerne darauf verzichtet, Mitarbeiter nach Bagdad reisen zu lassen, damit diese sich vor Ort ein möglichst wahrheitsgetreues Bild machen können: Laut einer Meldung der Dagens Nyheter, einer Stockholmer Tageszeitung vom 13. Juli 2007, befürchtet man nämlich, die Sicherheit dieser Mitarbeiter könne dort nicht garantiert werden. Anstatt zu handeln, weicht man lieber nach Jordanien aus und beurteilt die Lage im Irak eben von dort.

Autor: Waldemar Ingdahl

Translated from 'Not another Nordic Malta - yet'