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Salamitaktik: Die Kunst des ‘Wulffens’

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Katha Kloss

Turm zu BabelGesellschaft

Was kommt nach der Salamitaktik Herr Präsident? Europäische Ideen für Christian Wulff, um sich aus der Korruptionsaffäre zu wursten.

Man muss 71M Tim auf dem Salamitaktik-Twitter schon irgendwie beipflichten, wenn er sagt: „Ich kann keinen Journalisten ernst nehmen, der das Wort #Salamitaktik verwendet. Sorry.“ Es stimmt. In letzter Zeit war in der deutschen Presse im Kontext um die Korruptionsaffäre rund um Präsident Christian Wulff vielleicht ein bisschen zu häufig die Rede von der ursprünglich aus Ungarn stammenden politischen szalámitaktika. Der Begriff wurde in den 1940er Jahren vom ungarischen Chef der Kleinlandwirtepartei Zoltán Pfeiffer geprägt und bezeichnete eigentlich die scheibchenweise Machtübernahme der Kommunisten unter Anwendung fieser Tricks. Stück für Stück verschluckte die Kommunistische Partei kleinere Parteien oder machte ihnen den Gar aus. Mit dem Insistieren Mátyás Rákosis, dem ungarischen Generalsekretär der KP, sprach sich die Taktik daraufhin auch in Europa herum, von der tactique du salami in Frankreich, der salami strategy in Großbritannien, der tattica del salame in Italien oder der taktyka salami in Polen.

In Deutschland um den Jahreswechsel 2011/12 ist es Bundespräsident Wulff, der den Medien die Wahrheit um seinen überaus günstigen Immobilienkredit von 500.000 Euro Salamischeibe um Salamischeibe serviert. Erst wenn die Presse heikle neue Details ans Licht bringt, rückt auch der Herr Präsident mit dem Eingestehen des ein oder anderen Fehlers nach und versucht sich somit aus der Affäre zu wursten.

Nichts einfacher als das. Der ehemalige Verteidigungsminister hatte 2011 ja bereits vorgemacht wie’s geht. In der Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit wandte auch Karl-Theodor zu Guttenberg den recht ähnlichen drip, drip, drip approach [Tropfen-Taktik] an, den er wahrscheinlich in amerikanischen Marketingbüchern gelernt hatte - und stand mit dieser Strategie am Ende im Regen.

Im Gegensatz dazu hält sich Bundespräsident Christian Wulff mit seiner Durchhalte-Salamitaktik weiterhin tapfer über Wasser. Vielleicht ist Wulff jetzt neuerdings Anhänger der full-bladder-technique [Technik der vollen Blase] des britischen Premiers David Cameron, der den letzten EU-Gipfel in Brüssel trotz übermäßigem Kaffeegenuss tapfer ausgesessen hatte – um keine Sekunde der Diskussionen um die europäische Fiskalunion zu verpassen. Resultat: ein britisches Veto und wütende EU-Stimmen zum Alleingang der Insulaner. Dann doch lieber die tactique de l’artichaut [Artischockentaktik]? Eine Taktik, von der die Franzosen manchmal sprechen, wenn Diktatoren mit einer gehörigen Portion Populismus versuchen bis zu den Artischockenherzen ihres Volkes durchzudringen…

Doch Wulff braucht gar nicht so weit in die Ferne zu schweifen. Seine scheibchenweise Kommunikationsstrategie hat mittlerweile bereits ein neues Verb - wulffen - zum Vorschein gebracht. Wer „wulfft“ versucht einerseits die Presse einzuschüchtern, damit diese nicht mit kompromittierenden Neuigkeiten an die Öffentlichkeit geht. Beliebte Methode: Das Vollquasseln des Anrufbeantworters eines Chefredakteurs. Andererseits bedeutet 'wulffen' nicht so ganz mit der Wahrheit rausrücken zu wollen, aber auch nicht wirklich zu lügen. Bleibt zu hoffen, dass sich nicht allzu viele europäische Staatsoberhäupter die Taktik des „Wulffens“ abschauen.

Illustration: ©Henning Studte/ http://www.studte-cartoon.de/; Im Text (cc)EP/flickr

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