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Robin Hood: Ridley Scotts muskelfuchtelnde Charakterstudie

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Zwei alten, großen Helden des Kinos gebührt die Ehre, am 12. Mai das 63. Filmfestival von Cannes eröffnen zu dürfen: Sir Ridley Scott verfilmt einen der beliebtesten Stoffe der Filmgeschichte, Robin Hood. Wie schlagen sich Scott und sein Lieblingsschauspieler Russel Crowe auf diesem weithin erschlossenen Feld?

Ridley Scott macht es einem beileibe nicht einfach. Sein Werk vereint formalen Konservatismus und gewagtes Experiment, reaktionäres Muskelgefuchtel und clevere Charakterstudie, Größenwahn und Detailbeobachtung. Kurzum: Genie und Stumpfsinn. Immer wieder bläht der britische Historien-Regisseur Inhalt und Form soweit auf, dass seine Figuren wie Ballons über der Welt zu schweben scheinen, larger than life eben.

Sir Ridley musste der Zeremonie aufgrund von Krankheit leider fern bleibenJüngstes Beispiel: Robin Hood. Prinzipiell scheint hier alles an Ort und Stelle zu sein: der übergroße, übermännliche, doppelte Held, Mythos und Star, sagenhafter Robin Hood, steckt im gestählten Körper Russell Crowes. Die Sets: rau, realistisch (aufgrund des Autorenstreiks verzögerten sich die Dreharbeiten um Jahre, die Sets wucherten zu); klassisches Hollywoodmittelalter, Holz und Stein.

Die Schlachten sind hart, schnell, sehr körperlich und ausgestattet mit den typischen Attraktionsbildern, die man spätestens seit Braveheart (1995) kennt. Die Geschichte: Eine korrupte Herrscherschicht vermiest der armen Bevölkerung im Allgemeinen und unserem Held im Besonderen das Leben. Kämpft er für sich, kämpft er für alle. All das ist wirklich da, nimmt viel Raum ein im Erlebnis des Filmes, ist seine Außenhaut. Aber Ridley Scott setzt dagegen Akzente, die verwirren.

Verwirrende Lady Marian am Steigbügel

Beispielsweise Cate Blanchett als Lady Marian. Die sieht erstmal so aus, wie alle Lady Marians vor ihr, weil man im Mittelalter als Frau des niederen Adels wohl so aussah: züchtige Gewänder, lange, wogende Locken, ein ehrliches Gesicht. Aber diese Marian ist beseelt von einer tiefen, ernsthaften Stärke, sie ist wirklich aufmüpfig. Zuerst erscheint es, als sei ihre Stärke nur die Reaktion auf die Abwesenheit des Mannes und die Härten der Zeit, eine pragmatische, aber unweibliche Verlegenheitslösung. So ergibt sie sich nach einigem Gezicke dann auch dem Charme und der Kraft Robins, der die Geschäfte in die Hand nimmt, kaum ist er da. Dann blüht das zarte weiblich-passive Wesen auf, und sie lässt sich vom Manne in den Steigbügel helfen, auch wenn sie zuvor zigmal ohne ihn auf Pferderücken geklettert ist. Aber auch das ist nur Zwischenstation, wird unterwandert. Bei der letzten Schlacht an den Klippen Südenglands reitet sie auf in voller Montur, wirft sich ins Gemetzel, wird schwer verwundet.

Nach einigem Gezicke erliegt sie dem Charme von Crowe im Kettenhemd

Den ganzen Film über bewegen wir uns auf typischem Ridley Scott-Territorium, der Brite entwickelt sein Farbspiel aus Kontrasten zwischen erdigen, fleischigen Gesichtsfarben und blau-grünlichen Flächen auf einer reduzierten Skala, was als Paradebeispiel für den Look des State-of-the-art Blockbuster angesehen werden kann. Gesichter stehen im Vordergrund, der Mensch gegen die Härte der Welt.

Wer über diese Palette und ihre Effekte näheres erfahren möchte, dem sei das wunderbare Tutorial Stu Maschwitzs, des Effektdesigners von Sin City, ans Herz gelegt.

Zum Schluss des Filmes knallt jedoch die Titelsequenz mit geradezu expressionistischen Flächen aus satten Farben und abstrakten Verläufen ganz gehörig auf die entwöhnten Augen, der düstere Kinosaal flackert in einem Bombardement aus Primärfarben. Es ließen sich mehr Beispiele finden, wie die auf den ersten Blick geradezu schmerzhaft vorurteilsbeladene Darstellung der Franzosen, die komödiantischen Momente zwischen Hood und seinen Merry Men oder die eigenartig ungreifbare Figur des Königs John.

Doch wie brachial er auch da und dort scheiterte: Sir Ridley ist immer noch einer der ganz Großen, und das nicht, weil er vor langer Zeit einmal Alien (1979), Blade Runner (1982) oder Thelma und Luise (1991) gedreht hat. Im Gegenteil schafft er es, so gut wie allen seinen Filmen kleine Widerhaken, versteckte Fußnoten zu verleihen, die das oberflächliche Geschehen in verwirrender Weise konterkarieren, dem Übergroßen das Detail entgegen setzen, bis man im besten Falle gar nicht mehr weiß, wohin man eigentlich denken soll. Durch all diese kleinen Öffnungen und Nähte wird der Blick frei auf eine gehaltvollere Substanz, als man oberflächlich vermuten würde.

Dieser Artikel wurde von Nino Klingler verfasst.

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