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Prager Hyde Park: Der Club der toten Redner

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Katha Kloss

Weil Extremisten den ersten Speaker's Corner außerhalb von Großbritannien als Aufmarschplatz missbraucht haben, will Prag das Projekt eines jungen Briten aus dem Stadtzentrum verbannen.

"Ich bin keiner von denen", verneint Radek (30), ein junger Tscheche, der sich gerade von einer Freundin verabschiedet, kopfschüttelnd. Er steht am Palackého námestí - unweit der Moldau - vor dem graugrünen Monument des tschechischen Historikers und Politikers František Palacký. Am so genannten Prager Hyde Park, wie der öffentliche Platz, an dem Busse und alte Straßenbahnen im Minutentakt vorbeirauschen im Prager Volksmund genannt wird, wurde 2004 der erste Speaker's Corner außerhalb Großbritanniens eingeweiht. Hier sollten Aktivisten, Ideenmacher und Ausgeflippte ihre Meinung jederzeit frei äußern und kundtun dürfen, um Passanten zwischen Metrostation und Sonntags-Gassi gehen ihre Weltuntergangstheorien und politischen Überzeugungen mitzuteilen. Doch schon bald entwickelte sich der Platz zum Treffpunkt für extremistische Aufmärsche, wurden fremdenfeindliche Parolen in den Wind gebrüllt. Das missfiel. "Nein, zu denen zählt er sich wirklich nicht", winkt Radek ab.

Hyde Park in die Vorstadtwüste schicken

Nun soll er weg, der Prager Hyde Park, der gar kein Park ist. Jana Cernochová (34), seit 2006 Bürgermeisterin des zweiten Prager Bezirks, in dem sich der Platz befindet, hatte den Prager Magistrat am 21. Dezember 2007 gebeten, den Speaker's Corner-Export aufzulösen. "Am Anfang war er eine echte Herausforderung, aber nun habe ich die Befürchtung, dass die ursprüngliche Idee einer freien Gesprächsplattform missbraucht werden könnte", bemängelt Cernochová. "Nachbarn beschwerten sich über den Lautstärkepegel, Verkehrschaos und Vandalismus." 2008 ist Stille auf dem Prager Speaker's Corner eingekehrt. Der Platz ist neben vorbeihetzenden Passanten und Studenten, die auf die Tram zur nahe liegenden Uni warten, heute gähnend leer.

Londoner Park-Tradition auf tschechischem Kopfsteinpflaster

Dabei hatte der Prager Hyde Park einen fulminanten Start hingelegt. Zur Eröffnung 2004 versammelten sich nahezu 1000 Menschen auf dem Palacký-Platz und lauschten geladenen Gästen wie dem britischen Minister für Europaangelegenheiten Denis MacShane, der seine schwingende Rede auf der traditionellen Holzkiste hielt. Der 17. November markierte den 15. Geburtstag der 'Samtenen Revolution', die zum Sturz des kommunistischen Regimes geführt hatte. Ein historisches Datum, das die Geburtsstunde des Prager Hyde Parks bestimmen sollte. So die Vision der Stadtverwaltung. Die Prager Bevölkerung sollte von nun an in die Fußstapfen großer Londoner Redner wie George Orwell, Karl Marx oder William Morris treten.

Genauso hatte sich Euan Edworthy (39) die Zukunft des kleinen Bruders des Londoner Hyde Parks vorgestellt. Der gebürtige Brite kam 1994 als Investmentberater der tschechischen Regierung nach Prag, verliebte sich in die Stadt und seine serbische Frau. Heute ist er hier zu Hause, schlägt sich gut mit "Nahkampf-Tschechisch". "Die Idee des Speaker's Corner wurde 2003 geboren", erklärt Edworthy stolz im Büro seiner Firma Best Communications in der Innenstadt. "Ich habe die Entwicklung des Landes aus nächster Nähe mitverfolgt und Speaker's Corner schien mir eine Möglichkeit, etwas beizutragen, das hoffentlich ein grundlegender Teil des demokratischen Lebens in der Tschechischen Republik sein sollte. Als Kind besuchte ich häufig den Londoner Speaker's Corner. Als Brite war ich fast besessen von der Idee, sich einfach hinstellen und sagen zu können, was man möchte. Deshalb habe ich mich Hals über Kopf an den Bürgermeister von Prag (Pavel Bém, A.d.Red.) gewandt. Zu meiner Verwunderung sagte er, dies sei eine großartige Idee."

Der Londoner Speaker's Corner hat Tradition: hier standen früher die Tyburn-Galgen und die zum Tode Verurteilten duften sich ein letztes Mal an die Öffentlichkeit wenden (Foto: ©Tom T/flickr)

Unterstützung erhielt der junge Brite auch von der Britischen Botschaft in Prag. "In dieser Sache hatten wir das Gefühl, das Richtige zu tun, etwas zu unterstützen, für das ganz offensichtlich eine Notwendigkeit bestand", beschreibt Simon Martin (44), stellvertretender britischer Botschafter in der Tschechischen Republik. "Interessanter Weise und obwohl das Bedürfnis, sich frei äußern zu können hier stark verbreitet ist, gibt es noch immer Überbleibsel alter Kontrollmechanismen in Tschechien. Damit Speaker's Corner ins Leben gerufen werden konnte, musste man beispielsweise das tschechische Versammlungsrecht lockern."

Auf der Suche nach der verlorenen Rednerecke

Denn am Palackého námestí dürfen seit der Lockerung des Gesetzes unangemeldete Demonstrationen stattfinden. Im vergangenen Januar hatten beispielsweise Rechtsradikale aus Pilsen Unfrieden gestiftet. Peter Uhl ist wütend. Der ehemalige Dissident, tschechische Publizist und Menschenrechtler ist noch nie bei einem Meeting oder einer Demo am Prager Speaker's Corner gewesen. "Sich am Palacký-Platz zu versammeln und zu brüllen 'Nieder mit den Juden' ist absolut nicht tolerierbar", schlägt Uhl die Hände über dem Kopf zusammen. Seine Stimme wird dabei laut.

"Man kann doch überall einen Stuhl aufstellen und erklären, dass man die Welt retten will. Warum also einen rechtslosen Ort schaffen? Das sind - pardon - Postkommunisten, die die Regeln des Rechtsstaates nicht begriffen haben", befindet er. "Das ist wieder ein Plan von unseren werten Bürgermeistern, die sich äußerst liberal geben wollen. Aber sie erreichen damit das komplette Gegenteil!"

Mein rechter, rechter Platz ist leer

Es braucht Zeit 'wie ein englischer Rasen', um den Speaker's Corner in der Öffentlichkeit zu etablieren. Edworthy weiß, dass der Prager Hyde Park noch "sehr jung" ist. In Zukunft will er Rahmen- und Begleitprogramme konzipieren, um die Sache wieder ins Rollen zu bringen. Inzwischen hat er bereits die Speaker's Corner Trust gegründet und hat Pläne für weitere Rednertribünen in ganz Europa

In Prag hat Rudolf Blažek, stellvertretender Bürgermeister, die Bezirksbürgermeister zusammengetrommelt, um einen neuen Ort der Redefreiheit zu bestimmen. "Natürlich wollen wir den Speaker's Corner und das damit verbundene Recht auf freie Rede nicht liquidieren. Aber wir müssen einen passenden Platz dafür finden. Der Stadtrat kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass der Prager Hyde Park nicht abgeschafft wird."

Viele Vorschläge - wie den Speaker's Corner auf die Letná Ebene zu verlegen - wurden aufgrund aktueller Bauprojekte direkt abgelehnt. Zdenek Lochman (Prag 3) schlug den abgelegenen Parukárka-Park im 35 Bahnminuten entfernten Vorort Žižkov vor, was den Tod der Rednerbühne bedeuten würde. Edworthy plädiert für das Stadtzentrum: der Wenzelsplatz wäre ideal.

Renata Horvátová geht am Palacký-Platz mit ihrem Hund spazieren. "Die Regierung kann mich mal", sagt sie empört. "Die Diskotheken und Fährschiffe stören hier viel mehr. Die hört man die ganze Nacht. Dagegen ist der Speaker's Corner eine Erholung. Er gehört hierher. Und zumindest rütteln die Redner das lahme Ministerium (das sich auch am Platz befindet, A.d.R.) ordentlich wach!"

Vielen Dank an Jirka Cermák.

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