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Pierre Schellekens: "In der EU gibt es kein Gesetz des Stärkeren"

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Default profile picture Guy Dammann

Translation by:

Barbara Canton

Politik

Mit seinen 2,09 Metern ist der 37-Jährige eine imposante Figur. Seit seiner Studentenzeit in den 1990ern in Göteborg politisch aktiv, wurde er im Februar zum Vorsitzenden der schwedischen EU-Delegation ernannt. Zu Hause in seiner Wohnung in dem ruhigen, begrünten Viertel um die Odengatan in Stockholm spricht er über die EU-Ratspräsidentschaft, die Schweden von Juli bis Dezember 2009 innehat.

Zum letzten Mal hatte Schweden die EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2001 inne, noch vor den Anschlägen vom 11. September in New York. Wie haben sich Schweden und Europa in den vergangenen Jahren verändert?

Die Zusammenartbei der EU im Bereich von Justiz und Innenpolitik ist seit 2001 viel intensiver geworden. Der Vertrag von Lissabon, sofern er in Kraft tritt, wird ein entscheidender Schritt hin zu einer stärkeren communautorisation [auf Deutsch „gemeinschaftliche Beschlussgewalt“; A.d.R.] in solchen Angelegenheiten sein. Ich glaube aber nicht, dass die Anschläge vom 11. September, so tragisch sie auch gewesen sind, einen Wendepunkt in der Geschichte der Europäischen Union darstellen.

Die EU hat in vielen Bereichen große Fortschritte gemacht. Wir haben international die Führungsrolle im Klimaschutz übernommen, unsere gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gestärkt, die wirtschaftliche Integration weiter vorangetrieben und die Basis für eine gemeinsame Energiepolitik geschaffen. Ohne Zweifel hängen einige dieser Maßnahmen mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammen. Aber in erster Linie sind sie das Resultat der Überzeugung, dass eine engere Zusammenarbeit in der EU sowohl politisch als auch wirtschaftlich gut für Europa ist.

Schweden wird oft als leuchtendes Beispiel für ein Wirtschaftssystem genannt, das in einem ausgewogenen Verhältnis zur Umwelt steht. Wie kann Schweden während seiner Ratspräsidentschaft nun, da Umwelt von einem Rand- zu einem Hauptthema der europäischen und internationalen Politik geworden ist, der EU die Führungsrolle in Umweltfragen einräumen?

Umweltpolitik steht jetzt ganz oben auf der Tagesordnung der Europäischen Union. Das Klima- und Energiepaket, das im Dezember 2008 verabschiedet wurde, ist nur ein Vorgeschmack für die Konferenz in Kopenhagen im kommenden Dezember, die folgendes Ziel erreichen muss: die Verringerung der Schadstoffemissionen, die uns auf den Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft führen. Schweden übernimmt nun die Ratspräsidentschaft und wird in Zusammenarbeit mit der Kommission die Richtung der Position der EU bei internationalen Klimaverhandlungen vorgeben. Eine EU-Klimapolitik ist nur dann wirklich effektiv, wenn EU-weit dieselben Gesetze gelten. Aber darüber hinaus gibt es konkrete Fälle, in denen ein Mitgliedsstaat durch praktische Lösungen als gutes Beispiel vorangehen kann. Solch ein Beispiel ist Schwedens Fernwärmesystem. Das ist für andere Mitgliedsländer, ebenso wie die Fortschritte, die bei der Isolierung von Häusern und bei der Entwicklung von Passivhäusern gemacht wurden, ein vielversprechendes Modell.

Schweden ist ein kleines Land. Warum sollten seine europäischen Partner seiner Führung folgen?

In der EU herrscht ein partnerschaftliches Prinzip zwischen den Mitgliedsstaaten, nicht das Gesetz des Stärkeren. Die Geschichte der europäischen Integration hat immer wieder gezeigt, dass ein Land oder eine Institution, die eine konstruktive Idee hat, auch Unterstützung dafür gewinnen kann. Wenn man eine klare Strategie hat, kann man auch die Tagesordnung bestimmen und weitreichende Initiativen ergreifen. Die kleinen Länder sind in einer besseren Position, wenn es darum geht, das Potential gemeinsamer EU-Institutionen zu demonstrieren. 

(Image: ©8 July 2009 Crown copyright/ Downing Street/ Flickr)

Schweden hat, um ein Beispiel zu geben, dazu beigetragen, auf Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit gefährlichen Chemikalien aufmerksam zu machen. Zusammen mit einer Gruppe von Mitgliedsstaaten hat es eine wichtige Rolle bei den Bemühungen gespielt, neue Gesetze einzuführen, die zu der Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) geführt haben. Diese hat die Art und Weise, wie Chemikalien in Europa bewertet und getestet werden, revolutioniert. Es gibt viele Gebiete, in denen diese einfache und effektive, gemeinsame Anwendung bewährter Methoden ebenso zum Erfolg führen kann.

Die Ratspräsidentschaft von Schweden kann für die EU in vielen wichtigen politischen Fragen wegbereitend sein. Was haben die EU und ihre Prozesse der politischen und wirtschaftlichen Integration Schweden zu bieten?

Die EU ist eine politische Struktur, um gemeinsam Probleme zu lösen, und hat in diesem Bereich eindrucksvolle Erfolge zu verzeichnen. Die wichtigsten Punkte der schwedischen Ratspräsidentschaft - beispielsweise der Klimawandel, die Finanzkrise, die Migrationspolitik und der Ostseeraum - können nur auf EU-Ebene sinnvoll angegangen werden. Für Schweden gilt wie für andere Mitgliedsstaaten, dass wir niemals ohne eine effektive Zusammenarbeit der EU Fortschritte in den Fragen machen werden, die unseren Bürgern am Herzen liegen. Die schwedische Ratspräsidentschaft hält eine Menge Herausforderungen bereit, nicht zuletzt in Bezug auf institutionelle Angelegenheiten. Die schwedische Regierung ist aber gut gerüstet und bereit, durch eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft ihre Unterstützung für eine stärkere EU deutlich zu machen.

Pierre Schellekens auf einen Blick:

Aufgewachsen in Antwerpen in Belgien und Göteborg in Schweden. 

Studierte Sozialwissenschaft an der Universität Göteborg und machte einen Master am College of Europe in Brügge.

Trat 1996 der EU-Kommission bei.

Erfahrung im Bereich der Umweltpolitik: hat im Bereich der Maritimen Angelegenheiten gearbeitet und war Vizevorsitzender im Kabinett von Stavros Dimas (EU-Umweltkommissar 2994-2008) und Margot Wallström (Vizepräsidentin der EU-Kommission, unterstützte ihn bei der Bewerbung um seine jetzige Position im Rahmen der Ratspräsidentschaft).

Verheiratet, zwei Kinder.

Spricht vier Sprachen.

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Translated from Pierre Schellekens: ‘EU is partnership of member states, not rule of the strongest'