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Pariser Poeten aus aller Herren Länder

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Katha Kloss

ORIENT EXPRESS REPORTER tripled

(Foto: (cc)Chiara Cremaschi/flickr) Jeden Samstag um 17 Uhr wird das Obergeschoss des Pariser Kult-Buchladens Shakespeare and Company zum Treffpunkt für alle Schriftsteller-Nomaden der Stadt. Eingerahmt von Bücherregalen, die mit den stummen Schwergewichten der Literaturgeschiche gefüllt sind, formiert sich ein ziemlich fröhlicher Haufen von Enthusiasten: die Other Writers’ Group.

Artikel von Petra Novak

Seit sieben Jahren steht dieser Schreibworkshop und offene Zirkel für kreatives Denken im Mittelpunkt der Gemeinde ausländischer Schriftsteller in Paris. Der Other Writers’ Group–Workshop, von Autor David Barnes als offenes Forum für Lesungen und Diskussionen über Literatur konzipiert, ist heute ebenso Anlaufstelle für Neugierige als kreative Community. “Shakespeare & Company [eine berühmte englischsprachige Buchhandlung in Paris; A.d.R.] hat eine historische Bedeutung für englischsprachige Schriftsteller. Aber es ist auch immer ein logistischer Stützpunkt für aus dem Ausland stammende Autoren und Bohémiens gewesen“, erklärt Alberto Rigettini, ein italienischer, Englisch schreibender Dichter und einer der „Coaches“ der Other Writers’ Group.

„Viele junge Autoren, die nach Paris kommen, um kreativ tätig zu sein, leben hier auf Zeit und lernen die Szene kennen. Zum Beispiel hatte David nach seinem Umzug nach Paris die Idee, Schriftsteller und Literatur im Sinne des Gemeinschaftsprinzips koordiniert zusammenzubringen und die Arbeit mit anderen Leuten in der gleichen Lage zu teilen.“

Alberto behauptet, dass sich in der jahrhundertealten Pariser Literaturszene seit den Anfängen der Other Writers’ Group und den Spoken Word-Lesungen vieles verändert habe. „Es ist ein fantastisches Netzwerk entstanden“, sagt auch Helen Cusack O’Keeffe, nordirische Romanautorin und regelmäßige Teilnehmerin an den Workshops und Lesungen. „All die Leute, die aus den verschiedensten Ländern nach Paris kamen, sind aus ähnlichen Gründen hier. Es ist bereichernd, mit diesen Menschen und ihrer Arbeit in Berührung zu kommen.“

Mythos und Infrastruktur

Paris, ein fast mythischer Ort für englischsprachige Schriftsteller seit der Lost Generation, hat noch immer nicht an Reiz verloren. Bruce Sherfield, der die Other Writers’ Group alle zwei Wochen leitet, schätzt die Zahl der dauerhaft in Paris arbeitenden, englischsprachigen Schriftsteller auf 250. Zusätzlich geht er von mindestens weiteren tausend Autoren „auf Durchreise“ aus. Dass Autoren sich dazu entscheiden, zum kreativen Arbeiten in die französische Hauptstadt zu kommen, liegt nicht zuletzt an der Präsenz der Geister großer Schriftsteller sowie an der symbolischen Fruchtbarkeit der Pariser Geschichte und Pop-Kultur.

Hollywood hat den Pariser Mythos schon immer ausgelebt Hollywood hat den Pariser Mythos schon immer ausgelebt | Before Sunset (2004) und Midnight in Paris (2011)

Auf ihrer Suche nach Inspiration schauen die meisten englischsprachigen Autoren im Buchladen Shakespeare & Company vorbei, während eine größere Zahl bleibt, um an der Lesung teilzunehmen. „Paris liefert sowohl den Mythos als auch die Infrastruktur“, sagt Bruce. „Viele Schriftsteller kommen hierher, um über die Stadt zu schreiben. Sehr häufig aber funktioniert das letzten Endes nicht. Vielleicht besuchen sie unsere Workshops und Treffen, weil sie erkennen, dass Paris ihnen nicht die Inspiration gebracht hat, nach der sie zunächst gesucht haben. Schließlich muss gelungene Literatur ja redigiert und überarbeitet werden; und das passiert eher in einer Arbeitsgemeinschaft als in einem Fantasiereich.“

Strangers in Paris

In einem kleinen, stickigen Raum mit Blick auf Notre Dame halten Schreibende aus aller Herren Länder Ausdrucke ihrer Texte in feuchten Händen und warten leicht ungeduldig darauf zu hören, was die anderen vorbereitet haben. Die vortragende Zuhörerschaft interessiert sich für alle möglichen Genres. Also präsentieren hier Profis und Amateure in einer zweistündigen Sitzung ihre Gedichte, Romanauszüge und Theaterakte, die dann später überarbeitet werden. Unter dem inoffiziellen Motto „Jeder darf teilzunehmen, jeder darf etwas beitragen“, schafft die Gruppe namens Strangers in Paris* eine familiäre Atmosphäre.

„In Paris fühle ich mich sehr frei“, sagt Helen. „Die meisten von uns fühlen sich hier als Ausländer. Aber es spielt keine Rolle, wo du herkommst. In Paris zu schreiben ist irgendwie, als trüge man eine Hasenpfote als Glücksbringer in seiner Tasche. Hier ist etwas greifbar, von dem du weißt, dass es schon andere Leute inspiriert hat. Du steckst mitten in einem Projekt, das bekannt dafür ist, interessante Ergebnisse hervorzubringen.“

 Warum ist Paris noch immer der Ort für so viele anglophone Autoren auf „literarischer Pilgerreise“? „Paris ist nicht nur Hauptstadt Frankreichs, sondern auch eine Welthauptstadt“, sagt Alberto. „Die Literaturgeschichte hallt noch nach, aber über diese Stadt ist schon zu viel geschrieben worden. Dieser ganze Paris-Mythos ist ein einziger großer Schwindel oder zumindest ein Klischee. Hier in Paris sitzt die Bohème – es ist eine sehr teure Stadt, und sie richtet ihr Augenmerk in erster Linie auf die Vergangenheit, nicht auf die Zukunft.

Schriftsteller müssen hart arbeiten, um enorme Mieten für winzige Wohnungen zu zahlen. “Was an dieser Stadt inspirierend sein könnte, ist die Tatsache, dass diese ernüchternde und harte Erfahrung, für die Kunst zu leben, zusammenschweißt. Ein Fremder zu sein lässt dich den Kontakt zu anderen suchen. Doch viele kommen in diese Stadt, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen Inspiration versprochen wird.“

Selbst wenn Paris seine Versprechen nicht immer einhält, so ist die Other Writers’ Group doch eine Art Hoffnungsschimmer für weit angereiste Literaturfreaks. Schließlich ist dieses offene, freie Forum für Gedankenaustausch und kreatives Schaffen auch nach sieben Jahren noch präsent.

Other Writers’ Group, jeden Samstag um 17 Uhr *Strangers in Paris ist der Titel einer Lyrik- und Prosa-Anthologie über Paris, herausgegeben von David Barnes und Megan Fernandes. Darin lassen sich unter Anderem Texte von Helen Cusack O’Keeffe, Alberto Rigettini und David Barnes finden.

Dieser Artikel ist Teil des Reportageprojekts Orient Express Reporter Tripled, unterstützt vom deutsch-französischen Jugendwerk DFJW.

[Autorin: Petra Novak; Übersetzung ins Deutsche: Jaleh Ojan; Illustrationen: Teaserbild (cc)Chiara Cremaschi/glossom.com/chiaracremaschi;  Screenhots (cc)Before Sunset und Midnight in Paris imdb; Paar an der Seine (cc)wakingphotolife/flickr/commutingstories.tumblr.com; Vido: Other Writers Group (cc)sheetfetish/YouTube]

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