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Ossis und Wessis: Der lange Gang zur deutschen Einheit

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Am 3. Oktober 2010 jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 20. Mal. Viele sind vom Einigungsprozess zwischen Ost und West enttäuscht, schreibt die europäische Presse und kritisiert, dass Ostdeutsche in der Elite des Landes noch immer unterrepräsentiert sind.

Pražský deník: „Es gab keinen Plan B“; Tschechien

Als sich die Deutschen vor 20 Jahren wiedervereinigten, ahnten sie nicht, wie unterschiedlich sie waren, bemerkt die liberale Tageszeitung Pražský deník: "Das wurde ihnen klarer, je größer ihre gegenseitigen Aversionen wurden. Den Ostdeutschen schienen die aus dem Westen arrogant und aufgeblasen zu sein. Die Westler wiederum warfen den Ostdeutschen Faulheit vor und klagten, dass sie für die Wiedervereinigung mit der Stagnation ihres Lebensniveaus bezahlen mussten. Gemeinsame Nationalität und Sprache konnten die unterschiedlichen Lebenserfahrungen nicht auslöschen, die sie in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gemacht hatten. Das Positive der Wiedervereinigung überwiegt dennoch und so feiern die Deutschen sie denn auch. Zumal es für die Vereinigung der künstlich geteilten Völker auch keinen 'Plan B' gab." (Artikel vom 01.10.2010)

The Guardian: „Wachsendes Selbstvertrauen unter Ostdeutschen“; Großbritannien

Laut einer Studie der Universität Bielefeld stellen Ostdeutsche nur fünf Prozent der Elite in Politik, Geschäftswelt, Wissenschaft und Medien, obwohl sie 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Dies liegt am mangelnden Selbstvertrauen, schreibt die Ostdeutsche Sabine Rennefanz in der linksliberalen Tageszeitung The Guardian: "Keine der 30 führenden Firmen im deutschen Aktienindex hat einen ostdeutschen Chef. 95 Prozent der Professoren der Soziologie oder politischen Wissenschaft kommen aus dem Westen, selbst an ostdeutschen Universitäten wie Leipzig oder Dresden. Das Gleiche gilt für die Medien. Die Chefredakteure der großen Zeitungen stammen alle aus dem Westen. [...] Vielleicht sind wir teilweise selbst daran schuld. Viele von uns haben vermieden Verantwortung zu übernehmen, nachdem sie den Zusammenbruch einer Gesellschaft durchlebt hatten. Aber es gibt ein wachsendes Selbstvertrauen unter Ostdeutschen, speziell bei der jüngeren Generation. Sie kann ihren Frieden mit der Vergangenheit schließen, ohne nostalgisch zu sein." (Artikel vom 01.10.2010)

Il Sole 24 Ore: „Deutsche und europäische Einheit sind Teil desselben historischen Prozesses“; Italien

Die deutsche Wiedervereinigung ist Teil eines schwierigen historischen Prozesses, den Deutschland auf europäischer Ebene nicht mittragen will, meint die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Während der Mauerfall in sich die Antithese zur Errichtung eines Monuments war, hat sich der Einigungsprozess als Leugnung der Grenzöffnung erwiesen. [...] Die Wiedervereinigung hat mit dem einseitigen Fluss finanzieller Mittel von West nach Ost Ungleichheiten in der deutschen Gesellschaft geschaffen. Diese Ungleichheit ist mit dem Migrantenstrom aus dem Osten noch gewachsen. [...] Die asymmetrische Verteilung der Opfer innerhalb der Eurozone [während der Eurokrise] hat bei den Deutschen eine Aversion gegen ihre Rolle als 'offizielle Zahlmeister' ausgelöst. [...] Sowohl die deutsche als auch die europäische Einheit sind Teil ein und desselben historischen Prozesses. Nun, da die deutsche Einheit vollbracht ist, bleibt das Schicksal der europäischen Einheit ungewiss." (Artikel vom 01.10.2010)

Sme: „Diebstahl des Jahrhunderts“; Slowakei

Nicht alle Deutschen haben das Gefühl, von der Wiedervereinigung vor 20 Jahren profitiert zu haben, konstatiert die liberale Tageszeitung Sme: "Nur 40 Prozent der mittleren und älteren Generation im Osten genießen die Einheit. Ein Drittel der Ostdeutschen bekennt, enttäuscht zu sein. Die Wiedervereinigung verband sich mit der Vision eines Wirtschaftswunders, ein Traum, der sich für viele nicht erfüllte. Allein bis 1991 verloren 2,5 Millionen Menschen ihre Arbeit. Die Privatisierung vieler Firmen bezeichnen die Deutschen bis heute offen als Diebstahl des Jahrhunderts. Auch die Club-Cola der DDR verschwand und kehrte erst 1992 wieder auf den Markt zurück. Trotzig nannte sie sich 'anti-imperialistische Limonade'. Die Jungen, vor allem die, die in den Westen gingen, erfreuen sich am 20. Jahrestag der Wiedervereinigung und sind an den Geschmack von Coca Cola gewöhnt. [...] Die Club-Cola steht nur auf ostdeutschen Küchentischen und erwärmt die Herzen der Nostalgiker. Wer weiß schon, dass die Rechte an dem sozialistischen Getränk seit langem einer Westfirma in Hessen gehören."

(Artikel vom 01.10.2010)

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Fotos: (cc)fiahless + Robert in Toronto/flickr; (cc)Steadyjohn/flickr

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