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Okkupiert von rechts

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Wien

Wenn Burschenschafter im öffentlichen Raum Coleur tragen, führt das zu Diskussionen und Konflikten – wie etwa jeden Mittwoch an der Universität Wien.

Jeden Mittwoch gegen 12 Uhr mittags treffen sich die Mitglieder verschiedener Korporationen, Burschenschaften und Verbindungen, darunter auch Mitglieder des Wiener Korporationsrings, auf der Unirampe der Universität Wien, schön uniformiert und mit den klassischen Kapperln. Wöchentlich sind nun zweierlei Uniformierte an der Universität – „Burschis“ und die Polizei – denn es gibt neuerdings Widerstand gegen erstere.

Rechtes Tanzbeinschwingen einmal jährlich

In den Schlagzeilen landete der Wiener Korporationsring bis 2012 regelmäßig durch den in der Wiener Hofburg stattfindenden WKR-Ball, einem Schaulaufen rechter und rechtsextremer Burschenschaften und Politiker aus ganz Europa. 2013 wurde besagter Ball umbenannt in „Wiener Akademikerball“. Die Namensänderung ergab sich nach den Protesten von 2012. Damals fiel der Ball, der traditionell immer am letzten Freitag im Januar stattfindet, auf den 27. Januar, den Gedenktat der Holocaustopfer. Der Protest gewann so an Breite und Öffentlichkeit und wurde spätestens von da an auch von Holocaust-Überlebenden und der Israelitischen Kultusgemeinde unterstützt.

Doch bis auf den Namen änderte sich nichts: Nach wie vor kommt es jedes Jahr zu Protesten vonseiten der Zivilgesellschaft und verschiedenster NGOs. Dass die Hofburg als einer der prestigeträchtigsten Bauten Österreichs für einen Ball von Rechten und Rechtsextremen in Anspruch genommen wird, scheint der Wiener Bevölkerung nicht ganz aufzugehen. 2014 sperrte die Polizei die gesamte Innenstadt ab – ein Gebiet größer als jenes, das abgesperrt worden war, als George W. Bush nach Wien gekommen war. Ein Vermummungsverbot wurde erlassen – wohlgemerkt: im Januar!

Der WKR wird indessen vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als Kontakt rechtsextremer Organisationen, etwa der Österreichischen Landsmannschaft angegeben. Die ÖLM ist Mitglied im WKR und wird vom DÖW als rechtsextrem eingestuft.

Wöchentliche Treffen

Nun sind die wöchentlichen Treffen der Mitglieder von WKR und anderen Verbindungen und Korporationen auf der Rampe vor der Universität Wien oder in deren Innenhof keineswegs neu. Nur stoßen sie seit Kurzem auf Protest vonseiten der Studierenden und der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Letztere will das Coleurtragen, also das Tragen der traditionellen Schlaufe und des Kapperls, auf Unigelände verbieten lassen. „Bestürzt“ zeigt sich darüber der Österreichische Cartellverband und weist darauf hin, dass das Recht, Verbindungsfarben zu tragen, vor über hundert Jahren an den damals „meist nationalliberal geprägten“ Universitäten „erkämpft“ worden war. Außerdem: „Zuletzt war es das nationalsozialistische Regime, das den Studenten 1938 das Farbetragen und die Verbindungen an sich verboten hat.“ Allein dieser – wenn auch sehr subtil angedeutete – Vergleich ist eine nahezu höhnische Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und zeugt von einem problematischen Umgang mit der Vergangenheit.

Der Siegfriedskopf

Nun muss klar sein, dass der Beschluss der Österreichischen HochschülerInnenschaft der Universität Wien, sich für ein Coleurverbot einzusetzen, ein drastischer ist – über den auch gern diskutiert werden kann. Dabei ist die erste Frage, was Burschenschafter dazu bringt, ihre Treffen direkt an der Universität Wien abzuhalten, wo sie doch eigene Buden haben. Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte:

1923 wurde in der Aula der Universität Wien von der klar antisemitischen und antidemokratischen „Deutschen Studentenschaft“ ein Denkmal zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen Studenten und Lehrer errichtet – der deutschen, der männlichen, versteht sich – der sogenannte Siegfriedskopf, der symbolisch auf die Nibelungensage, aber auch auf die sogenannte Dolchstoßlegende verweist. Die Dolchstoßlegende ist ein in der Nachkriegszeit entstandener Mythos, demzufolge Deutschland und Österreich den Ersten Weltkrieg aufgrund einer Verschwörung von Sozialisten und Juden verloren hätten. Der Siegfriedskopf wurde in 90er Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen, bis er 2006 im Arkadenhof in einem Glaskasten mit erklärenden Texten versehen und so kontextualisiert wurde. Auch wenn Vertreter der Burschenschaften es bestreiten, so scheint es doch offensichtlich – und Sprecher/innen der Universität Wien bestätigen das –, dass der Siegfriedskopf nach wie vor Pilger anzieht.

Wem gehört der öffentliche Raum?

Das klassische Argument gegen das Verbot des Coleurtragens ist natürlich die Freiheit – Meinungsfreiheit, die Freiheit, sich zu kleiden wie man/frau will und so weiter. Nun hört diese Freiheit in dem Augenblick auf, in dem ich die Freiheit anderer beschneide bzw. klar definierte Regeln verletze. Die Satzung der Universität Wien schreibt Folgendes vor:

§13 (3): Insbesondere ist zu unterlassen: […] 14. jede (partei)politische Betätigung, ausgenommen der im Hochschülerschaftsgesetz, im Bundespersonalvertretungsgesetz und Arbeitsverfassungsgesetz eingeräumten Rechte.

Die Frage ist nun, ob Burschenschaften, Korporationen, Mitglieder der im WKR vertretenen Verbindungen sich durch ihr Treffen (partei)politisch betätigen. Sowohl der Cartellverband als auch der Großteil der anderen Korporationen streiten direkte Beziehungen in die Politik ab – obwohl der ehemals als WKR-Ball bezeichnete Tanzabend in der Hofburg immer schon von der FPÖ Wien veranstaltet wurde und es auch unter der Bezeichnung Akademikerball immer noch tut. Gleichzeitig rekrutieren sich zahlreiche führende Politiker/innen aus Studentenverbindungen.

Des Weiteren sind Universitäten der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Religionen verpflichtet – zumindest in der Theorie. Gleichzeitig ein Treffen von Organisationen auf dem Gelände zu dulden, das Frauen* und Nichtkatholik/innen zu einem großen Teil (nicht zur Gänze; bzw. gibt es auch Mädchenverbindungen) per Geschlecht bzw. Religion ausschließt, erscheint widersprüchlich. Nicht zuletzt sind diese beiden Tatsachen zutiefst politische Entscheidungen einer Organisation über sich selbst. Ob zudem uniformiertes Auftreten, das Zugehörigkeit suggerieren soll, als politisch erachtet werden kann, sei dahingestellt.

Nein, bestimmt sind nicht alle Burschenschaften, Korporationen und Verbindungen rechtsextrem. Differenzierte Betrachtungsweisen sind wichtig – doch es kann und darf nicht Sinn und Zweck einer solchen Betrachtung sein, sich in Terminologien zu verlieren. Die Frage ist, von wem öffentlicher Raum – und ich würde die öffentliche Universität als Zentrum von Wissenschaft und Gesellschaft vielleicht sogar noch als höher einstufen – genutzt werden darf. Die Frage ist, inwieweit dieser Raum von exklusiven, elitären Gruppen genutzt werden darf. Und inwieweit der Widerstand, der sich in letzter Zeit gegen diese Art der Nutzung entwickelt hat, gerechtfertigt oder sogar noch zu schwach ist. Dies gilt für die Universität, dies gilt für die Hofburg, wenn dort am 30. Januar 2015 wieder das (rechte) Tanzbein geschwungen wird, dies gilt für den gesamten öffentlichen Raum.

Der österreichische Standard veröffentlicht derzeit eine sechsteilige Recherchereihe über den Österreichischen Cartellverband, auf ndr lebte ein Reporter eine Woche lang in der Bude einer Studentenverbindung. 2009 veröffentlichte die Österreichische HochschülerInnenschaft der Universität Wien ein 220 Seiten starkes Werk unter dem Titel „Völkische Verbindungen. Beiträge zum deutschnationalen Korporationsunwesen in Österreich“, in dem unter anderem auf den Siegfriedskopf eingegangen wird, 2013 erschien die Neuauflage von „Konservatismus. Elitarismus. Männerbündelei. Der Österreichische Cartellverband Dachverband katholischer Studentenverbindungen“. Stoff für Diskussionen gibt es also genug.