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Michel Herbillon, PR-Stratege

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Europa besser erklären? In einem Bericht, der dem französischen Premierminister im Juni vorgelegt wurde, schlägt der französische Abgeordnete Michel Herbillon 40 Maßnahmen vor, um das Unwissen der Franzosen zu bekämpfen. Eine kleine PR-Lehrstunde.

Paris, Nationalversammlung, an einem kalten Novembermorgen: Metalldetektoren, Pariser Gendarmeriekorps, der Dienstausweis ist Pflicht. „Das ist wie in Fort Knox. Gerade ist Plenarsitzung zur Abstimmung über den Haushalt“ flüstert mir Michel Herbillon zu, als er mich in die getäfelten Labyrinthgänge dieses Tempels der Demokratie hineinzieht. Der 54-Jährige mit dem stahlblauen Blick ist Bürgermeister von Maisons-Alfort in der Pariser Banlieue und Mitglied des rechten Mehrheitsflügels der konservativen Partei UMP (Union pour un Mouvement Populaire). Der „Hausherr“ veranstaltet für mich eine Führung durch das Gebäude.

Schön ist sie, die Republik

Der Mann liebt die schönen Dinge des Lebens: Als Mitglied des Verwaltungsrates des Kunst- und Kulturzentrums Centre national d’art et de culture Georges Pompidou hat er viele Jahre lang das Kunstzentrum „Artcurial“ geleitet, dessen Ziel es ist, „die Kunst einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Unsere Schritte gleiten, gedämpft durch den dicken Teppichboden, der die Gänge des Parlaments ausfüllt. Während des auf Watte gebetteten Rundgangs weist Herbillon mit einem Grinsen auf den Abgeordneten-Friseursalon, bevor er mir schließlich die Bibliothek der Nationalversammlung zeigt: Ein Hafen der Ruhe, wo in goldbraunen Reihen im Inneren der samtigen Holztäfelung alte Werke schlummern. „Die Decken hat Delacroix bemalt“, murmelt mein Gegenüber.

Zurück in die „Abgeordneten-Bar“: Fresken aus Sèvres-Keramik, Zierleisten und ein Garten am Seine-Ufer. „Ich liebe die Kultur“, gesteht der Ästhet. „Italienische Opern, deutsche Literatur… Das, was Europa ausmacht, sind seine eigenen kulturellen Werte, unsere Schriftsteller, unsere Komponisten, unsere Maler... Wir können problemlos Freunde der Amerikaner sein, ohne jedoch die Hegemonie ihrer Sitten und Bräuche anerkennen zu müssen.“

Beim Tagesgericht, zu dem ich Herbillon einlade, erzählt er von seiner Kindheit zwischen Frankreich, Algerien und Deutschland, und der Abhängigkeit von seinem Vater, der beim Militär war. Die deutsche Kultur fasziniert ihn, er geht an die berühmte Pariser Elite-Uni Sciences-Po und studiert Jura, bevor er Karriere als Manager bei Christian Dior, McKinsey und Vivendi macht. Mit 38 Jahren dann macht es Klick: Die Politik soll’s sein. Und nichts anderes. „Ich habe gemerkt, dass mir etwas fehlt. Schon lange hatte ich mir gewünscht, mich um andere Menschen zu kümmern, für das Allgemeinwohl zu arbeiten“, erklärt er. „Nach einem langen Reifeprozess fühlte ich mich schließlich bereit, mit den Risiken und Unwägbarkeiten des Politikerdaseins zu leben.“

Nachdem er als Bürgermeister von Maisons-Alfort zwei mal wieder gewählt worden ist, betritt er 1997 schließlich die Arena der französischen Nationalversammlung. Und auch wenn er weiß, dass die Franzosen gerne gegen ihre Volksvertreter rebellieren, und er sich der weltweiten Vertrauenskrise in die herrschende Elite vollkommen bewusst ist, möchte er die Situation nicht dramatisieren: „Auch wenn die Politiker bei den Menschen allgemein gesehen nicht hoch im Kurs stehen, ist das Bürgermeisteramt doch ein Mandat mit Bürgernähe: Die Amtsausübung kann ganz einfach anhand der tatsächlich geleisteten Taten beurteilt werden“, betont Herbillon. „Und was europäische Fragestellungen anbelangt, so dürstet es die Leute geradezu nach Wissen. Doch damit werden sie alleine gelassen.“

Unwissen bedeutet Ablehnung

Im Juni hat Herbillon Premierminister Dominique de Villepin einen Bericht übergeben, in dem einer der Gründe für das „Nein“ der Franzosen beim Referendum über den EU-Verfassungsvertrag analysiert wird: Es hat keine wirklich wirksame Kommunikation über den europäischen „Apparat“ stattgefunden, wie der europaskeptische französische Präsident General de Gaulle seinerzeit die europäischen Institutionen hätte bezeichnen können. In diesem Bericht, der den Titel „Der Bruch mit Europa“, trägt, fällt Herbillon ein scharfsinniges und niederschmetterndes Urteil: in ihrem alltäglichen Leben können die Menschen nichts über Europa lernen. „Es ist unerlässlich, vom institutionellen und bürgerfernen Europa wegzukommen und Europa den Leuten auf der Straße näherzubringen“ fordert Herbillon. Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Terminologie made in Brussels. „Warum muss unbedingt weiter im EU-Jargon gesprochen werden, der in der Öffentlichkeit nur auf Unverständnis stößt? Wer weiß schon, was die Lissabon-Strategie ist?“

„Das Verhältnis zwischen Europa und der Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Europa ist nur eine natürliche Folge mangelnder Begegnung“, so Herbillon weiter. Zwar haben die Osterweiterung und die Arbeit der Konvention zur Ausarbeitung des EU-Verfassungsvertrags noch ein wenig Emotionen bei den Franzosen geweckt. Die bittere Pille der Euro-Einführung wurde dagegen eher problemlos geschluckt, dank einer bis dahin unbekannten Mobilisierung der gesamten Öffentlichkeit.

Doch Herbillon meint, „man kann nicht 50 Jahre Schweigen über Europa durch eine dreimonatige Kampagne wettmachen. Die Akteure der Gesellschaft versagen: Die Politiker nutzen die EU als Sündenbock; die Medien behaupten, das EU-Geschehen bringe keine Auflage; das Bildungswesen verweigert jedwede Ausbildung über die Gemeinschaft, da dies mit Propaganda gleichgesetzt werden könnte“ so Herbillon. „Die Zeit der Beschwörungsversuche ist abgelaufen. Wir müssen handeln, damit die europäische Integration wieder zu einem Projekt der Bürger und Bürgerinnen wird.“

Ein Euro-Freudenfest oder „Wer wird Millionär?“

Die mangelnde Berichterstattung in den Medien hat Herbillon veranlasst, 40 konkrete Ideen zur besseren Aufklärung der Franzosen vorzulegen. Und natürlich auch aller anderen. Denn das fehlende Wissen über europäische Angelegenheiten ist keine französische Ausnahmeerscheinung im Sinne einer „exception française“. „Man braucht sich nur die sinkende Wahlbeteiligung bei den Europawahlen anzusehen.“ Zu den einfachen und auch nicht teuren Vorschlägen gehören etwa die Umstrukturierung des Amtes des Ministers für Europaangelegenheiten und die Europäisierung der Ministerialkabinette durch Abteilungen, die für eine europäische Profilgebung zuständig sind, oder die Stärkung der EU durch Veranstaltungen oder Veröffentlichungen mit fiktionalem oder Unterhaltungscharakter. „Warum“ so Herbillon „produziert man nicht mal ein ‘ Wer wird Millionär’ nur mit Fragen zu Europa?“ „Der Erfolg eines Films wie ‚l’Auberge Espagnole’ hat mehr für das Erasmus-Programm getan als jede Promotion-Kampagne“ gibt er zu bedenken. Man könne auch „die elektronische Partnerschaft zwischen europäischen Schulen weiter ausbauen und europäische Brieffreundschaften einrichten. Außerdem sollte man auf der Präsenz von europäischen Symbolen bestehen“ – die guten Ideen sprudeln pausenlos aus dem hervorragenden Strategen heraus. Eine doppelte Beflaggungspflicht von öffentlichen Gebäuden, eine europäische Briefmarke oder aber statt der rein protokollarisch festgelegten Prozedur am 9. Mai ein Euro-Freudenfest für alle Bürgerinnen und Bürger mit einem Festival mit kulturellen und künstlerischen Veranstaltungen über Europa… dies sind nur einige weitere Vorschläge. Auf dass Europa auch in der „Prime time“ zwischen 17 Uhr und 20 Uhr 15 zum Leben erwache.

Translated from Michel Herbillon, expert ès communication