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Menschenrechte im Sinkflug

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Die Affäre um die CIA-Flüge über europäische Länder überschattet die Europa-Reise von US-Außenministerin Rice. Doch nicht nur die USA haben einen Ruf zu verlieren, sondern auch die EU.

US-Außenministerin Condoleezza Rice weilt derzeit in Europa. Überall sieht sie sich unangenehmen Fragen ausgesetzt: Die CIA soll in den letzten Jahren von europäischen Flughäfen aus Terrorverdächtige in heimliche Gefangenenlager geflogen haben, in denen auch gefoltert wird. "Human Rights Watch" zufolge stehen zwei dieser Gefangenenlager in Rumänien und Polen.

300 oder 437 Flüge?

Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, steht nicht nur der Ruf der CIA auf dem Spiel, sondern auch der EU ein hausgemachter Skandal bevor. Bis jetzt hat die amerikanische Regierung die Berichte nicht offiziell bestätigt, aber auch nicht dementiert.

Während Rumänien und Polen dementiert haben, dass es US-Geheimgefängnisse auf ihrem Boden gebe, gibt es inzwischen über die Zahl der CIA-Flüge genauere Angaben: Dem "Guardian" zufolge sollen es insgesamt 300 Flüge sein, der Großteil davon über Deutschland und Großbritannien. Der "Spiegel" spricht sogar von 437 Flügen. Der amerikanische TV-Sender ABC meldete, die US-Regierung habe die Gefangenenlager aufgrund der Medienberichte inzwischen geschlossen.

Verlust an Glaubwürdigkeit

Die EU, in der Großbritannien derzeit den Ratsvorsitz innehält, hat reagiert: Der britische Außenminister Jack Straw hat der amerikanischen Regierung einen Brief geschrieben. Darin forderte er in vorsichtigem, aber bestimmten Ton eine Erklärung für die Berichte.

Ob das allein ausreicht, die USA zu einem Politikwechsel zu bewegen, ist fraglich. In Washington ist man felsenfest davon überzeugt, dass man sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im Kriegszustand befindet – und da gelten andere Spielregeln. Die EU hat dem Kampf gegen den Terrorismus nie die gleiche Bedeutung zugemessen. Und dies, obwohl London und Madrid ebenfalls von Terroranschlägen getroffen wurden. Doch die EU-Staaten konnten sich seit dem Irak-Krieg nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt in Sachen Terrorbekämpfung einigen.

Nun aber muss die EU mehr denn je aufpassen, ihre Handlungsfähigkeit auf internationalem Parkett nicht vollständig zu verlieren. Denn offensichtlich haben die Amerikaner wie auch die betroffenen Mitgliedsstaaten der EU die CIA-Flüge ohne Wissen und ohne Gutheißen der Gemeinschaft durchgewunken. Keine guten Noten für die EU-Staaten, die doch das Wort "Menschenrechte" in ihrer Verfassung groß schreiben wollten.

Trotzdem: Für ihre Verhältnisse hat die EU zügig reagiert. Der Brief Jack Straws ist eine ungewohnt bestimmte Reaktion. Auch wurde unter Führung des EU-Justizkommissars Frattini eine Untersuchung angeordnet und den CIA-Helferstaaten sogar mit Stimmrechtsentzug im Ministerrat gedroht, sollten Menschenrechte verletzt worden sein. Und auch der Europarat hat eine Untersuchung der Affäre angekündigt. Der Druck scheint zu wirken: Condoleezza Rice betonte am Mittwoch in Kiew, dass das Folterverbot auch für US-Bedienstete gelte, "wo immer sie sind, egal ob in den Vereinigten Staaten oder außerhalb der Vereinigten Staaten".

Auf einem ganz anderen Blatt steht jedoch, ob die betroffenen Mitgliedsstaaten der EU an einer kompletten Aufklärung der Vorwürfe interessiert sind und mit der Untersuchungskommission der EU zusammenarbeiten werden. Auch bleibt abzuwarten, ob die EU die angekündigten Sanktionen wirklich in die Tat umsetzt, sollte es hart auf hart kommen. Es wäre für die Union eine gute Gelegenheit zu beweisen, dass sie kein zahnloser Papiertiger ist. Andernfalls hätte die CIA-Affäre die Glaubwürdigkeit der EU weiter untergraben.