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Memento Park und Haus des Terrors in Budapest: Das Schweigen der Symbole

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Politik

Budapests Memento Park wurde kurz nach dem Fall des Kommunismus eingeweiht und bewahrt das optische Angedenken an die Ikonografie jener vier Jahrzehnte, in denen sich die ungarische Hauptstadt unter kommunistischer Herrschaft befand. In scharfem Kontrast hierzu birst das ‚Haus des Terrors’ schier vor Leben.

Wäre die aktuelle Situation in Ungarn anders, wenn das Land 1989 eine Revolution erlebt hätte?

Schäfchenwolken ziehen langsam über einen windigen Hügel vor den Toren Budapests. Hier draußen dünnt die städtische Besiedlung aus. Dominiert wird die Szene von einem roten Backsteintor, von dem aus Marx und Lenin in Bronze die neugierigen Besucher grüßen. Gegenüber dem Eingang zu Budapests Memento Park befindet sich eine 4 Meter hohe Tribüne mit einem Paar übergroßer Eisenstiefel, die einst zu einer Riesenstatue von Josef Stalin gehörten. „Wollen Sie da wirklich hin?“ fragt ein Einheimischer. „Da draußen ist doch nichts, so weit von der Innenstadt entfernt.“

Memento Park: Auf den Spuren der glücklichsten Baracke des Ostens

Hinter den gemauerten Toren des Memento-Parks stehen die Statuen verstreut umher und sind weder nach Themen noch nach Stilepochen geordnet. Der 1993 eingerichtete Park ist heruntergekommen, so als wäre er in jener Epoche errichtet worden, die er darstellen soll, nur um dann im Lauf der Jahre zu verfallen. Ohne genaue Beschilderung verraten einem die Statuen nicht viel, man muss schon die 1.200 Forint [umgerechnet 4 Euro] für eine Privatführung bezahlen. Träge schlendert eine Gruppe finnischer Politikstudenten umher. „Wir sind hierher gekommen, um mehr über den Kommunismus zu erfahren. Er war schlecht und hat nicht funktioniert“, so ihr lakonischer Kommentar.

Nach dem Fall der lokalen Nazi-Regierung im Zweiten Weltkrieg verbrachte Ungarn vierzig Jahre unter dem Kommunismus. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit waren diese zumeist von der stalinistischen Unterdrückung in den 1950ern geprägt. Als die 25 Meter hohe Kolossalstatue des Sowjetführers 1956 mit Sägen von den Stiefeln geholt wurde, schien das System mit ihr gestürzt zu sein. Doch es gab eine brutale sowjetische Vergeltungsmaßnahme. In den Jahrzehnten ab 1960 erlebte das Land eine gemäßigte und lang währende Version der kommunistischen Herrschaft. Sie beruhte auf einer stumpfsinnigen gesellschaftlichen Zufriedenheit und machte aus Ungarn ironisch gesprochen „die glücklichste Baracke des Ostblocks“.

Nach 1989 wurde im Land über die Entfernung kommunistischer Bildwerke aus dem öffentlichen Raum debattiert. Die Standbilder in einem vorstädtischen Themenpark aufzustellen schien damals die perfekte Lösung zu sein. Im Zuge des Geschichtsrevisionismus war dies neben der Umbenennung von Straßen eine weitverbreitete Praxis in den post-kommunistischen Gesellschaften. Während die Aufnahmen der ikonoklastischen Umstürze von Führerstatuen (Lenin, Saddam Hussein, Gaddafi) zu einer Art Läuterungsmotiv für alle Stürze von Diktatoren wurden, erlebte Ungarn 1989 eine gewaltfreie, fast stille Transformation. Das kommunistische System betrieb den eigenen Rückbau, ohne dass Schüsse fielen und beinahe ohne Vandalismus. „Dunkle Flecken in der Geschichte bleiben einem, sie leben im Unterbewussten weiter,“ behauptet Tamás Álmos, ein 26-jähriger Soziologe. „Die ungarische Gesellschaft musste sich nie den ungelösten Fragen der eigenen Vergangenheit stellen. Unsere Beteiligung am Holocaust wurde ausradiert. Nach 1989 haben wir nie zurückgeblickt. Diese Passivität und diese Art, den Dingen ihren Lauf lassen, blieb sogar der jüngeren Generation erhalten. Das lässt den Bewegungen der extremen Rechten den Raum, um mit ihren schnellen und einfachen Antworten auf komplexe Fragen die Vorstellungswelt von Jugendlichen zu vereinnahmen.“

In Inneren des Terrors

Die Andrássy út ist eine breite, vierspurige Prachtstraße und eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt. Einst lag hier ein berüchtigtes Vernehmungszentrum und Gefängnis, das erst die Nazis, dann die Kommunisten nutzten. Jetzt prunken auf der Straße reihenweise Audis und BMWs vor leuchtenden Louis-Vuitton-Schaufenstern. Früher war die Straße bei jedem Budapester bekannt und gefürchtet. Ihr Name weckte schmerzvolle Erinnerungen an diejenigen, die im Innern festgehalten, befragt, gefoltert und getötet worden waren. Vor zehn Jahren wurde das Gebäude in ein beeindruckendes und doch ein wenig umstrittenes 'Haus des Terrors' umgewandelt.

Auf beeindruckende Weise präsentiert das von dem bekannten Architekten und Bühnenbildner Attila Kovacs gestaltete Museum die fesselnde Kraft totalitärer Ikonografie. „Die Idee bestand darin, Geschichte ohne verbalen Ausdruck zu verstehen, wie in einem Stummfilm, der künstlerische Installationen als Sprache nutzt,“ erklärt Kovacs. Im Keller erinnern uns Gefängniszellen daran, wie sich die Gefangenen gefühlt haben müssen. Als käme man aus einem Film von David Lynch oder wie bei einer Laibach-Performance, geht es bei Kovacs’ Installation ausschließlich um die dunkle Seite.

Kritikern zufolge ist dies weltweit das einzige Museum, dass den Verbrechen von Nazismus und Stalinismus gerecht wird. Das 'Haus des Terrors' ist ein provokatives, künstlerisches Meisterwerk. Doch aus politischer Perspektive erscheint diese öffentliche Institution, die im Jahr 2002, während der ersten Amtszeit des derzeitigen ungarischen Premierministers Viktor Orban, gegründet wurde, fragwürdig. Nach zwei sozialistischen Amtsträgern ist Orban im Jahr 2010 an die Macht zurückgekehrt. Er ist ein Liberaler, der sich als Rechtskonservativer neu erfunden hat. Vielfach wird behauptet, die von Orban angenommene, massiv antikommunistische Rhetorik sei ein weiteres Mittel, um seinen Klammergriff um die Macht zu stärken und seine sozialistischen Gegner aus dem lokalen politischen Umfeld abzuqualifizieren. Auf vielfältige Weise ist die Auseinandersetzung um das politische Gedenken in Ungarn zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem um den Einfluss auf aktuelle politische Debatten gekämpft wird.

Das Schweigen der Symbole

Ein ganz anderes Überbleibsel der kommunistischen Ära findet sich am Freiheitsplatz (Szabadság tér). Das Denkmal für die gefallenen Rotarmisten, die 1945 bei der Befreiung der Stadt von den Nazis starben, ist von einem schützenden Metallzaun umgeben. Eine Reihe von dahinter stehenden Bäumen verdeckt den Sockel des Denkmals. Frei von allem Kitsch des sozialistischen Realismus ragt der marmorne Obelisk noch immer groß und stolz empor, und wirkt doch nichtssagend und gewöhnlich. Gegenüber findet sich eine frei stehende, vertraute Figur, die von Touristen umgeben ist. Mit ausgestreckten Händen, die Füße fest auf den Boden gesetzt, macht sie einen Schritt auf das sowjetische Ehrenmal zu. „Dies ist eine Statue des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan, die vor etwa neun Monaten aufgestellt wurde“, erläutert ein einheimischer Fremdenführer. „Er hat dabei geholfen, den Kommunismus zu beenden. Das ungarische Volk wollte ihn für deine Taten ehren.“ Als würde er zuhören, glänzt ein Lächeln auf dem Gesicht des Präsidenten auf.

Einst schrieb der österreichische Schriftsteller Robert Musil, Monumente seien ‚unsichtbar’: Obwohl wir alle Tage an ihnen vorüberschreiten, werden wir eher durch leuchtende Reklametafeln beeinflusst als durch tote Brocken von Marmor oder Metall. Musil hat sich geirrt. Es ist exakt jenes Schweigen des politischen Symbolismus, das ihn in unserem Alltagsleben beständig sichtbar werden lässt, und dies umso mehr, je ‚unbemerkter’ die Symbole im öffentlichen Raum anwesend sind. Ein paar Schritte weiter treffe ich auf ein vertrautes Gesicht. Ich kenne es von den Dokumentaraufnahmen im ‚Haus des Terrors’, die belegen, mit welcher Ruhe er den stalinistischen Verfolgern vor seinem Tode entgegentrat. In Bronze gegossen lehnt er nun gegen eine kleine Metallbrücke und wendet Reagan wie auch der Roten Armee den Rücken zu. Ganz ohne Getue, ja entspannt, wirkt der frühere Premierminister Imre Nagy, wie er zu dem ungarischen Parlament am Ufer der Donau hinüberblickt. Dieser eigentümlich aufgeregte ungarische Diskurs zwischen politischen Geistern, metallenen Statuen und Marmorsockeln ist noch lange nicht vorüber.

Memento Park, 22. Bezirk (südliches Buda), an der Ecke Balatoni út/Szabadkai utca, geöffnet von 10 Uhr bis zur Dämmerung.

Museum of Terror, 1062 Budapest, Andrássy út 60, Öffnungszeiten: täglich (außer montags) von 10-18 Uhr

Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe Orient Express Reporter II, ein von der Europäischen Kommission und der Allianz Kulturstiftung finanziertes Projekt. Ein herzlicher Dank an das Team von cafebabel.com Budapest.

Fotos: ©Vuksa Velickovic für Orient Express Reporter II, Budapest 2012; ‚Der Siegestisch’ im Haus des Terrors ©Johann Sebastian Hanel, mit frdl. Genehmigung von Attila Kovacs

Translated from Silence of statues in Budapest's Memento Park, House of Terror