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Märtyrer Assange? Umstrittene Verhaftung des WikiLeaks-Gründers

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Politik

WikiLeaks-Chef Julian Assange ist am Dienstag in London wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet worden. Kommentatoren vermuten dahinter den Druck der USA, die Assange wegen der Veröffentlichung geheimer US-Dokumente abstrafen wollen.

Público: „Assange ist wohl nicht Drogenschmuggler, korrupt oder Nazi genug, um das berühmte Schweizer Bankgeheimnis wert zu sein“; Spanien

Der Haftbefehl gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist zwar wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ausgestellt worden. Doch die linke Tageszeitung Público vermutet dahinter vor allem Druck aus den USA, ihn für die Veröffentlichung der Botschafts-Depeschen zu bestrafen: "Zwei Tatsachen beweisen die Gefahr für die wirtschaftliche und politische Macht der größten Supermacht, die von Assange ausgeht. Erstens: Eine Schweizer Bank hat das Konto eingefroren, auf dem WikiLeaks die Spenden für seine Verteidigung sammelte, angeblich weil Assange nicht in der Schweiz wohnt. Und wie wir ja alle wissen, dürfen nur Bürger aus diesem Steuerparadies dort Konten eröffnen (ha, ha, ha). Assange ist wohl nicht Drogenschmuggler, korrupt oder Nazi genug, um das berühmte Schweizer Bankgeheimnis wert zu sein. Zweitens: Die britische Polizei hat ihn wegen eines wirren Falls einer mutmaßlichen Vergewaltigung in Schweden festgenommen, der seit August anhängt, aber merkwürdigerweise erst in den letzten zehn Tagen zur Priorität für Interpol wurde." (Artikel vom 08.12.2010)

Neue Zürcher Zeitung: WikiLeaks: Guerilla der elektronischen Welt; Schweiz

Die Festnahme des WikiLeaks-Gründers Julian Assange in London stellt den vorläufigen Höhepunkt eines neuartigen Guerillakriegs zwischen den USA und der Enthüllungsplattform dar, schreibt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: "Auf der einen Seite steht die amerikanische Regierung, also eine klassische Staatsmacht, die sich den Frontalangriff auf ihre Geheimnisse nicht gefallen lässt; auf der anderen Seite operiert die schwer greifbare Internetorganisation WikiLeaks, die quasi als Guerilla der elektronischen Welt das große Amerika mit ihren Nadelstichen in Rage versetzt. Wie eine traditionelle Guerilla haben die namenlosen Fußsoldaten von WikiLeaks den Vorteil, dass sie das Kampfterrain, die Sphäre der Computernetzwerke, mit all seinen Schlupfwinkeln bestens kennen. [...] In nächster Zeit wird sich zeigen, inwieweit die Gruppierung ohne ihre autoritäre Führerfigur handlungsfähig bleiben wird. Zugleich erhalten die USA nun Zeit, um ihr eigenes Strafverfahren voranzutreiben und gegebenenfalls selber ein Auslieferungsbegehren zu stellen. [...] Erfolgversprechender scheint es, wenn die USA [...] wesentlich mehr in die Sicherheit ihrer Regierungsdatenbanken investieren."

(Artikel vom 08.12.2010)

Berliner Zeitung: „Die USA verraten einen ihrer Gründungsmythen: die Freiheit der Information“; Deutschland

"Wollt Ihr ein Geheimnis wissen?"US-Verteidigungsminister Robert Gates hat sich zufrieden über die Festnahme von WikiLeaks-Gründer Julian Assange gezeigt. Sein Land will nun eine Auslieferung von Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente erreichen. Doch das schadet den USA mehr als alle bisherigen Veröffentlichungen, meint die linksliberale Berliner Zeitung: "Die USA verraten einen ihrer Gründungsmythen: die Freiheit der Information. Sie tun das in einem Moment, da sie erstmals seit dem Kalten Krieg die Herrschaft über die weltweite Information zu verlieren drohen. [...] Es ist nicht ohne Ironie, dass Hillary Clinton noch Anfang des Jahres auf einem Kongress in Washington die Doktrin des Free Flow of Information benutzte, um die Internet-Zensur in China und Ägypten zu geißeln. Sie zitierte Präsident Barack Obama, der in China die Notwendigkeit eines freien Internets so begründet hatte: Es hilft den Bürgern, ihre Regierung zur Verantwortung zu ziehen, gebiert neue Ideen und fördert Kreativität. Mit ihrem Vorgehen gegen WikiLeaks haben die USA gegenüber China und anderen nun jedes Recht verwirkt, sie wegen der Verfolgung von Internetaktivisten zur Rechenschaft zu ziehen."

(Artikel vom 08.12.2010)

The Times: „Schmutzige Angelegenheit, die überhaupt nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat“; Großbritannien

Die Verhaftung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange hat nichts mit der Einschränkung von Meinungsfreiheit zu tun, sondern mit Rechtsstaatlichkeit, meint die konservative Tageszeitung The Times: "Es mag sein, dass er völlig unschuldig ist, was die schwedischen Vorwürfe der Vergewaltigung, Belästigung und Nötigung zweier Frauen angeht. Wenn das der Fall ist, macht es mehr Sinn, sich den Anschuldigungen zu stellen und freigesprochen zu werden. Schweden ist ja keine Bananenrepublik. Assange wird bis zum 14. Dezember in Haft bleiben. Aber zu behaupten, dass ihm Gerechtigkeit verwehrt werde, ist lächerlich. Die schwedischen Behörden haben ihren Fall dargestellt. Assange muss das Rechtssystem jetzt akzeptieren. Nur dann kann er Gerechtigkeit erfahren. Er sollte im Zusammenhang mit einer schmutzigen Angelegenheit, die überhaupt nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat, nicht zu einem Märtyrer gemacht werden."

(Artikel vom 08.12.2010)

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Fotos: (cc)francesco elisei LI/flickr; Time (cc)fieldsy.org/flickr

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