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Lust auf Live: Festivals beleben die Musikindustrie

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Default profile picture Kerstin Amrouche

KulturPolitik

Die kurz aufeinanderfolgenden Insolvenzen von Virgin in Frankreich und HMV in Großbritannien sind eine weitere schlechte Nachricht für die krisengebeutelte Musikbranche.

Doch auch wenn die Verkaufszahlen von Unterhaltungsgütern und insbesondere Tonträgern zweifellos rückläufig sind, geht es der Konzertbranche derzeit besser als je zuvor: Die Künstler gehen wieder auf Tournee und ihre Auftritte sind gut besucht.

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Am 14. Januar 2013 meldete Virgin Megastore in Frankreich Insolvenz an - gefolgt nur einen Tag später von der berühmten britischen Musikhandelskette HMV. Ihr gemeinsames Schicksal spiegelt den weltweiten Einbruch der Verkaufszahlen von CDs und DVDs wider. Ein Beispiel für diese Tendenz: Innerhalb der letzten 10 Jahre wurden 70 % weniger CDs verkauft. Ganz gleich, ob sie nun Fnac, Virgin oder HMV heißen, die Anbieter von Unterhaltungsgütern leiden unter der sinkenden Bedeutung so genannter physischer Märkte (zum Beispiel CDs, DVDs, Bücher). Die starke Konkurrenz durch Onlineanbieter wie Amazon und die zunehmende Bedeutung von Streaming- und Downloadplattformen für Musik im Internet (wie Spotify, Deezer oder Grooveshark) sind die beiden Hauptursachen für dieses Phänomen. Solche Meldungen bestätigen, dass die Tonträgerindustrie Sand im Getriebe hat. Aber die Musik selbst ist immer noch ein Verkaufsschlager!

Lust auf Live

Es klingt auf den ersten Blick nicht gerade einleuchtend, doch wenn es einen Bereich gibt, der von der Krise verschont bleibt, dann ist es wohl die darstellende Kunst. In wirtschaftlichen Krisenzeiten wird nicht zwingend auch weniger Kultur konsumiert. Die Besucherzahlen französischer Kinos brachen 2011 und 2012 sogar neue Rekorde. Konzerte und vor allem Festivals erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Datenbank des französischen Musikinformationszentrums IRMA verzeichnet 1.457 Festivals für zeitgenössische Musik in Frankreich. Doch damit nicht genug, mehrere Festivals haben 2012 sogar Besucherrekorde verzeichnet. So besuchten im Jahr 2012 beispielsweise 50.000 Menschen das in Marmande stattfindende Garorock-Festival, während es im Vorjahr noch 35.000 waren. Das entspricht einer Erhöhung der Besucherzahlen von mehr als 40% ! An der letzten Auflage des Festivals Eurockéennes in Belfort nahmen etwa 100.000 Menschen teil, während es im Vorjahr noch 93.000 waren. Und selbst Kulturveranstaltungen entwickeln sich zu Publikumsmagneten. Ein Beispiel hierfür ist das 2009 ins Leben gerufene Big Festival mit 17.000 Zuschauern im Jahr 2012 (gegenüber 14.000 im Jahr 2011).

Und anderswo in Europa?

Das Festival San Miguel Primavera Sound in Barcelona bestätigt diese Tendenz mit einer seit seiner ersten Auflage stetig wachsenden Besucherzahl (von 7.700 Besuchern im Jahr 2001 auf 123.300 im Jahr 2011).

Sziget, das berühmteste Festval Ungarns, das im Jahr 2011 sogar zum besten europäischen Major Festival gekürt wurde, sah seine Besucherzahl zwischen 2010 und 2011 von 382.000 auf 400.000 ansteigen.

"Manche Festivals sind ein Muss geworden. Festivals liegen im Trend und gleichen oft regelrechten Modeschauen!"

Diese Veranstaltungen ziehen im Laufe der Jahre ein immer internationaleres Publikum an. Reisebüros bieten den Festivalteilnehmern sogar Komplettpakete an: Eintrittskarte + An- und Rückreise + Hotel. Doch auch die von vielen europäischen Festivals zur Verfügung gestellten Campingplätze sind sehr gefragt.Wenn sich Reisebüros für dieses Phänomen interessieren, liegt dies wohl daran, dass solche Festivals ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Städte und Regionen sind, in denen sie stattfinden. Ein anderer positiver Nebeneffekt für die Festivalstandorte ist die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Zudem wird deutlich mehr konsumiert, wovon insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe profitiert. Nicht zu vergessen, dass Festivals, die insbesondere junge Leute ansprechen, hervorragende Image- und Werbeträger für eine Stadt sind.

Wer sind nun die Festivalbesucher?

Anni und Natalia, beide 30 Jahre alt, sowie Adriano (32) und Jaime (27) haben bereits ihre Eintrittskarten für das Roskilde-Festival in Dänemark reserviert. Natalia erklärt: „Uns reizt vor allem, dass wir gleichzeitig reisen und an einem kulturellen Ereignis teilnehmen können. Wir besuchen jede Menge Konzerte und nutzen die restliche Zeit, um eine neue Region kennenzulernen.“ Jaime fügt hinzu: „Eine gute Möglichkeit, Städte zu entdecken, die man ohne ein Festival nicht unbedingt besucht hätte.“

Die in Barcelona lebenden Portugiesen Andreia und Ricardo, beide 26 Jahre alt, erklären den Erfolg der Festivals so : „Das Gemeinschaftsgefühl ist dort sehr stark. Es ist toll, zu einer Gruppe zu gehören und unsere Eindrücke und Emotionen mit anderen zu teilen. Außerdem sind bestimmte Festivals seit einigen Jahren ein Muss geworden. Sie sind ‚the place to be‘: Einige kommen vor allem, um sich in Szene zu setzen. Festivals liegen im Trend und gleichen oftmals regelrechten Modeschauen!“

Keine Technologie kann das einzigartige Erlebnis eines Liveauftritts ersetzen.

Fazit dieser Aussagen ist wohl, dass Musik nicht nur Teil eines als „cool“ oder sogar „hipster“ bezeichneten Lebensstils ist, sondern auch eine willkommene Gelegenheit, dem Alltagsstress zu entfliehen. Ein Festival bietet mit seiner Mischung aus Konzerten und Partystimmung die Möglichkeit, eine einzigartige Erfahrung in einem originellen und oftmals außergewöhnlichen Rahmen mit anderen zu teilen. Ein Trend, den die Ausrichter solcher Veranstaltungen und die Werbewirtschaft von heute sehr wohl verstanden haben: Das Produkt selbst reicht nicht mehr aus, um Kaufinteresse zu wecken. Die rückgängigen Verkaufszahlen für physische Unterhaltungsgüter sind Ausdruck eines mangelnden Interesses für Tonträger, während gleichzeitig die Erlebnisindustrie einen wahren Aufschwung erlebt. Im Mittelpunkt der Kampagnen der Werbeagenturen steht die Gefühlsebene. Ziel ist, uns anstelle eines Produkts oder einer Dienstleistung Emotionen zu verkaufen. Vom angeblichen Niedergang der Musik sind wir also meilenweit entfernt. Der derzeitige Erfolg von Streaming- und Downloadplattformen und der gleichzeitige Boom von Musikfestivals sind Spiegelbilder eines geänderten Konsumverhaltens. Eins steht jedenfalls fest: auch wenn inzwischen jedermann bequem per Mausklick ein Lied oder ein Album herunterladen kann, kann keine Technologie das einzigartige Erlebnis eines Liveauftritts ersetzen.

Fotos: Teaser: mit freundlicher Genehmigung der Seite ©We Love Green; im Text: Menge auf dem Eurockéenes-Festival 2008 (cc)prezz/flickr; Video: (cc)roskildefestival/YouTub

Translated from L'industrie musicale part joyeusement en live