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Libanon: Zwischen Attentaten und Aufbruchstimmung

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Nach dem Abzug der syrischen Truppen beginnt der Libanon, sich zu öffnen. Auch Journalisten profitieren von dieser Wende - und zahlen oft einen blutigen Preis für ihre Unabhängigkeit.

Beirut, 25. September 2005. May Chidiac, Moderatorin der beliebten Morgenshow Naharkom Sa’id („Guten Morgen“) verlässt am Nachmittag das Gebäude des Fernsehsenders LBCI und steigt in ihr Auto. Sie will nach Hause fahren. Wenige Augenblicke später explodiert unter ihrem Wagen eine Autobombe. Durch den Anschlag verliert sie ihr linkes Bein und ihren linken Arm.

Das Ereignis erschütterte die libanesische Öffentlichkeit. Chidiac war für ihren kritischen Fernsehjournalistin bekannt, am Tag des Anschlages ging es in ihrer Sendung um die syrischen Verwicklungen in das Attentat auf Ex-Ministerpräsident Hariri im Februar 2005.

Der Anschlag auf May Chidiac ist kein Einzelfall. Die Moderatorin gehört zu drei prominenten Journalisten, die innerhalb des letzten Jahres im Libanon schwer verletzt oder getötet wurden. Der im Land schwelende Konflikt wird vor allem über Zeitungen und Bildschirme ausgetragen - und macht Journalisten zu seinen Opfern.

Anders als im Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 stehen sich im Libanon nicht mehr Muslime und Christen gegenüber. Die Trennlinie verläuft zwischen Schiiten und Sunniten. Das sunnitische Lager kämpft für einen weltoffenen Libanon und will sich von Syrien lösen. Die Schiiten werden geführt von Gruppen wie der Hisbollah und wollen eine strategische Allianz mit Syrien fortsetzen.

Nach dem Mord an Rafiq Hariri zog Syrien auf Druck der internationalen Gemeinschaft seine Truppen aus dem Libanon ab. Seitdem orientiert sich der Libanon neu – auch in der Medienlandschaft verschieben sich die Machtordnungen. Experten und Journalisten sprechen von Fortschritten und wachsender Pressefreiheit. Doch wie der Fall Chidiac zeigt, fordert diese Entwicklung ihren Tribut.

Medienpolitik und Mordkomplotte

„Auf den ersten Blick denken viele Beobachter, die Probleme hier hätten mit Religionskonflikten zu tun. Dabei ist es der Kampf um politische Macht. Das gilt auch für die Medien“, sagt Jim Quilty. Der promovierte Nahost-Historiker kam 1998 aus Kanada nach Beirut. Seitdem schreibt er für die Politik- und Kulturressorts des „The Daily Star“ und des „The Middle East International Magazine“ – beides englischsprachige Blätter.

Jim Quilty weiß, dass im komplexen Nahostkonflikt Journalisten schnell in die Schusslinie geraten: „Die Medien sind vollkommen politisiert. Natürlich gibt es verschiedene Zeitungen und Sender. Aber alle haben eine politische Grundhaltung. Und wenn du als Journalist öffentlich eine anti-syrische Haltung annimmst, kannst du in Schwierigkeiten geraten.“

So wie Gibran Tueni. Der Herausgeber der liberalen arabischsprachigen Zeitung „Al-Nahar“ fiel am 12. Dezember 2005 einer Autobombe zum Opfer. Im Juni zuvor traf „Al-Nahar“-Kolumnist Samir Kassir das gleiche Schicksal. Tueni und Kassir waren harte Kritiker der syrischen Libanon-Politik und deren Präsenz im Land der Zedern. Die Morde an beiden Journalisten sind bis heute ungeklärt.

Aufschwung trotz Abwärtstrend

Nach Anschlägen und Übergriffen auf Journalisten rutschte der Libanon 2005 im Jahresbericht der Journalisten-Organisation „Reporter ohne Grenzen“ in der Rangliste von Platz 87 auf Platz 108 ab. Trotzdem glauben viele Journalisten, dass sich die Lage seit dem Rückzug der syrischen Truppen verbessert hat. Fernsehsender wie Future TV zeigen Castingshows nach westlichem Vorbild, der Libanon entwickelt sich abgekoppelt von Syrien zu einem multikonfessionellen Vorzeigestaat im nahen Osten.

„Was sich während des vergangenen Jahres hier entwickelt hat, ist keine Revolution aber Unabhängigkeit“, urteilt Jim Quilty. Seit dem Attentat auf Hariri setzt die libanesische Presse zunehmend auf Meinungsjournalismus und tut ihren Unmut über den großen Nachbarn Syrien kund. Quilty meint: „Die Bombenattentate auf Journalisten sind im Kontext des Konfliktes zwischen Libanon und Syrien passiert, weil sich Redakteure getraut haben, mit ihrer Meinung an die Öffentlichkeit zu gehen.“

Zerschlagung des syrischen Sicherheitsapparats

Meinungsjournalismus und freizügigere Programme - im Libanon gibt es das erst seit der Zerschlagung der General Security. Die Sonderabteilung des Innenministeriums war bis 2005 für die Medienzensur zuständig. Unter der Willkür des Sicherheitsdienstes wurden syrienkritische und sittenwidrige Veröffentlichungen verhindert, und Journalisten systematisch verfolgt.

Die libanesische Filmemacherin und Wahl-Berlinerin Myrna Maakaron vergleicht: „Die General Security kontrollierte den Libanon wie die Stasi die DDR. An der Spitze standen syrische Agenten.“ Neben der direkten Zensur setzte der Sicherheitsdienst auf Einschüchterung und Bedrohung von Journalisten. Der staatliche Terror ist nun vorbei – der ehemalige Chef der Behörde Jamil Al-Sayyed sitzt seit August wegen Planung des Harari-Attentats in Untersuchungshaft.

Auch wenn die von den USA verkündete „Zedernrevolution“ im Libanon keinen Umsturz zufolge hatte, sehen Journalisten und Filmemacher wie Myrna Maakaron positive Entwicklungen: „Der Präsident ist noch immer pro-syrisch und vieles wird zensiert. Aber es gibt immer mehr Politiker und vor allem Journalisten, die frei ihre Meinung äußern und schreiben was sie denken. Aber trotz der positiven Entwicklung begeben sie sich damit noch immer in Lebensgefahr.“

Auch May Chidiac lässt sich nicht entmutigen. Obwohl der Anschlag sie verstümmelt hat, will sie bald auf die Bildfläche zurückkehren und ihre Sendung moderieren. Für ihr Engagement im Libanon wurde Chidiac am 3. Mai von der UNESCO mit dem Guillermo Cano-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet.