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L'Humanité, kommunistisches Kultobjekt

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Translation by:

Bertram Lang

Gesellschaft

Zeitung von Jean Jaurès, dann Presseorgan der französischen KP und schließlich unabhängiges Meinungsblatt: Die L'Humanité wusste sich schon immer vom Mainstream abzuheben. Heute scheint sich die Redaktion sich zwar zunehmend in den Medienalltag einzufügen, ohne jedoch ihre kommunistischen Wurzeln zu vergessen. Reportage über eine Zeitung, "die vor allem anderen ihrem Namen gerecht wird".

Die Stimmung in der Redaktion der L'Humanité gleicht einem Schlachtfeld am Tag nach einem schweren Gefecht. Stoisch, fast meditativ wirkt das Klappern auf den Tastaturen einiger Journalisten. Ein jeder in seinem abgeschirmten Arbeitsbereich, hier und da ein geschäftiges Flüstern, das Brummen der Ventilatoren taucht den ganzen Raum in eine Atmosphäre, die nur aufgrund des für die Jahreszeit ungewöhnlich guten Wetters als warm zu bezeichnen ist. Hier im Innerren des Gebäudes schlagen sich die Wunden des Attentats vom 7. Januar zuallererst in Bildern nieder: Titelseiten, Zeichnungen und Entwürfe, die wie Familienfotos an den Wänden aufgehängt wurden. Die Toten von Charlie Hebdo waren hier gute Bekannte. Tignous und Wolinski zeichneten hier. Charb war hier angestellt.

Die Leser als Retter

So verwundert es nicht, dass die Anschläge die gesamte Redaktion der Tageszeitung im Pariser Stadtteil Saint-Denis schwer erschüttert haben. Ein ganzer, schrecklicher Monat war notwendig, um in harter Arbeit den richtigen Ton zwischen Informationen und Emotionen zu finden. Während nun, Mitte Februar, die ungeheure Solidaritätswelle allmählich wieder dem Tagesgeschäft Platz macht, scheint es auch hier an der Zeit, wieder ein wenig an die eigene Redaktion zu denken. Schon seit geraumer Zeit häufen sich in den täglichen Ausgaben der L'Humanité die Spenden- und Unterstützungsaufrufe. Um die 40 000 Exemplare werden unter der Woche verkauft, 70 000 am Sonntag. Zu wenig, um das Überleben der Zeitung ohne die zusätzliche Unterstützung seiner wichtigsten Mäzene sichern zu können: der eigenen Leser.

In entspannter Atmosphäre empfängt uns Patrick Apel-Muller im Büro der Chefredaktion. Mit einem Lächeln so breit wie sein Schnauzbart lädt uns der Leiter der "L'Huma" ein, hinter einem beeindruckenden Stapel verschiedenster Bücher Platz zu nehmen. Mit übereinander geschlagenen Beinen behält er sein Lächeln auch auf die Frage hin bei, ob es seiner Zeitung wirklich so schlecht gehe. "Die L'Humanité befindet sich in gewissen finanziellen Schwierigkeiten", nuanciert er mit seiner tiefen, ruhigen Stimme. Verglichen "mit anderen" sei die Auflage der Tageszeitung derzeit aber noch ziemlich gut. Und durch die wiederholten Spendenaufrufe habe die Zeitung im vergangenen Dezember um die 1,3 Millionen Euro eingenommen, was nicht nur die finanziellen Engpässe in den Hintergrund rücken ließ, sondern auch einmal mehr einen großen Vorteil der L'Humanité bestätigte: ihre philantropische Leserschaft.

Mit Honig und Pasteten

Schon 2012 hatte eben diese Leserschaft über 2 Millionen Euro in die Kassen der Tageszeitung gespült. Doch wer sind diese Leser? "Kleine Leute", meint Patrick Apel-Muller und kratzt sich die Hüfte, "Pensionäre, die etwas von ihren mageren Renten abgeben zum Beispiel." Und die so zu Rettern werden, ohne die der Stapel mit den Tagesausgaben auf dem Regal nebenan deutlich dünner ausfiele. Dessen ist man sich hier wohl bewusst, weshalb alles dafür getan wird, diese privilegierte Beziehung zu den Lesern aufrecht zu erhalten. "Von der Organisation intellektueller Urlaubsreisen bis zur Versorgung mit lokalen Produkten", so beschreibt unser Gesprächspartner die Palette an Entwicklungsprojekten in diesem Bereich. Reisen nach Kuba in Begleitung eines auf die Region spezialisierten Journalisten, Einladungen zur großen Jahresfeier, Honig, Pasteten...

Die L'Humanité ist somit weit mehr als nur eine Zeitung. Wie sollte sie sich auch darauf beschränken? Bei einem Verkaufspreis von 1,70 Euro kostet die Herstellung eines Exemplars um die 2 Euro. Zudem werden staatliche Subventionen gestrichen, geht das Geschäft mit Annoncen nur noch schleppend, gehen die Kioskverkäufe zurück. Wie alle anderen Tageszeitungen hat auch L'Humanité Schwierigkeiten, sich an die neuen Zeiten anzupassen.

Doch für den Chefredakteur steckt der Teufel nicht in diesen Zahlen. Das größte Problem sieht er in einem System, das der unabhängigen Presse die Luft abschneide. Sein Schlagwort: die "Einheitspresse". Anders ausgedrückt, eine neutrale, konsensorientierte und meinungsscheue Mainstream-Presse, die auf Kosten meinungsstärkerer und engagierter Alternativen reichlich mit öffentlichen Geldern versorgt werde. Geht es nach Patrick Apel-Muller, dann sei L'Humanité heute gar die einzige verbleibende Tageszeitung in Frankreich, die sich noch den wirklichen Fragen einer gesellschaftlichen Transformation widmet. "Das Anklagen von Ungerechtigkeiten, die Beschäftigung mit sozialen und politischen Kämpfen, mit Umweltfragen", präzisiert er. Allerdings befinde man sich mit einer solchen Blattlinie unterhalb des allgemeinen medialen Radars und sei zudem im Anzeigengeschäft unattraktiv. "Niemals tauchen Journalisten der L'Humanité in den großen Medien auf. Haben Sie von irgendjemanden aus unserer Redaktion etwas über Charlie gehört?", fragt er mit sichtlicher Erregung.

An der Links-Front

In Wirklichkeit war L'Humanité schon immer ein Sonderfall. Gegründet von Jean Jaurès, wurde die Zeitung "aller freien Intellektuellen" schon bald zum zentralen Sprachrohr der französischen kommunistischen Partei, die sie über 70 Jahre lang unterstützte. Heute wird sie von Patrick Le Hyaric geleitet, Mitglied des linken Parteienbündnis Front de Gauche und einziger Abgeordneter im ganzen Europaparlament, der gleichzeitig eine Zeitung besitzt. Doch die Frage nach der Unabhängigkeit der Zeitung wischt der Chefredakteur ungeduldig vom Tisch: "Diese Frage stellt sich doch erst, wenn der Inhalt einer Zeitung von externen Kräften bestimmt wird, die nichts mit seinem eigentlichen Inhalt zu tun haben."

Daher widmet sich L'Humanité mit Hingebung der griechischen Linkspartei Syriza und findet regelmäßig heftige Worte für die Untaten der Troika. "Heute wirft man es Journalisten vor, wenn sie engagiert sind", fährt Apel-Muller fort, "aber das ist doch ein Qualitätsmerkmal! Wenn alle anderen dem Einheitsdenken verfallen sind, wenn jeder dasselbe schreibt und denkt, dann gibt es doch nur noch eine Vielzahl unterschiedlicher Titelseiten mit dem gleichen Inhalt."

Um genau das zu verhindern rekrutiert die Redaktion ihre Journalisten in Gewerkschaften und überlegt sich derzeit sogar, das System der "Rabcors" wieder einzuführen, jener 'Arbeiterkorrespondenten", die früher direkt aus ihren Fabriken für die Zeitung berichteten. Bis heute ist ein gutes Drittel der Redaktion selbst politisch engagiert und folgt damit dem Chefredakteur, der vor seiner journalistischen Karriere bei der Vereinigung kommunistischer Studenten aktiv war.

Auch wenn uns Patrick Apel-Muller mit einem weiteren breiten Lächeln versichert, dass in der Redaktion vom Kommunismus nichts mehr als die Organisationsstruktur übriggeblieben sei, so ist L'Humanité jedenfalls immer noch ein Meinungsblatt, dessen linke Ausrichtung außer Frage steht. Und genau das will sie auch bleiben. Auch wenn man dafür die Leser mit ein paar Urlaubsreisen und jeder Menge Honig zufriedenstellen muss.

Story by

Matthieu Amaré

Je viens du sud de la France. J'aime les traditions. Mon père a été traumatisé par Séville 82 contre les Allemands au foot. J'ai du mal avec les Anglais au rugby. J'adore le jambon-beurre. Je n'ai jamais fait Erasmus. Autant vous dire que c'était mal barré. Et pourtant, je suis rédacteur en chef du meilleur magazine sur l'Europe du monde.

Translated from L'Huma, après tout