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Les Nuits Européennes

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Strassburg

Straßburg, 15. Oktober 2008 Zum Auftakt der Europäischen Nächte bringen Äl Jawala und Electrik G.E.M den Balkan nach Offenburg von Severine Guthier in Zusammenarbeit mit Aleksandra Lendzinska von Radio Eurodistrict

Es ist gerade 19 Uhr. In der Offenburger Reithalle laufen die letzten Vorbereitungen.

In der ehemaligen Exerzierhalle der Französischen Streitkräfte hört man durcheinander französische und deutsche Anweisungen. Man versteht sich. Alles läuft perfekt. Die Stühle stehen, Licht funktioniert und der Sound klingt viel versprechend. Wir treffen Jean-Etienne Moldo von Arcane 17, Veranstalter der 13. Nuits Européennes rund um Straßburg und Offenburg. Er scheint leicht nervös aber überaus zuversichtlich.

Zum Interview auf Radio Eurodistrict von Aleksandra Lendzinska…

„Die Idee des Festivals ‚Nuits Européennes’ ist es mit Hilfe der Musik Europa zu entdecken. Wie wollen den Menschen zeigen, dass Europa gar nichts kompliziertes ist oder gar etwas vor dem man sich fürchten muss. Vielmehr ist Europa etwas, das uns optimistisch stimmen sollte. Wir nutzen die Musik als Kommunikationsmittel, das überall auf der Welt verstanden werden kann.“

Während wir mit Moldo über das bevorstehende Programm des heutigen Eröffnungsabends aber auch der fünf folgenden sprechen, versammelt sich draußen vor der Tür langsam aber stetig das Publikum. Die meisten Offenburger wurden vom ‚Grand Ensemble Méditerranée’ angelockt in der Erwartung eines mediterranen Abends. Gemeint war damit allerdings die junge Französische Band ‚Electrik G.E.M’. Auch Gäste aus Straßburg und Mulhouse sind für den heutigen Abend angereist. „Eigentlich ist es ja gar nicht so weit“, meint ein junger Straßburger, der gesteht, viel zu selten nach Deutschland „rüber zu schauen“. Insgesamt ist das Publikum bunt gemischt. Man freut sich auf diesen Abend, geniest die entspannte und freundschaftliche Atmosphäre, auch wenn man nicht immer auf Anhieb weiß, in welcher Sprache man sich nun ansprechen soll. „Das war schließlich nicht immer so“, meint einer der Gäste. „Da ist so ein Abend einfach grandios – ergreifend im Rückblick auf die Geschichte. Wir müssen immer weiter Brücken bauen. Nachdem wir nun einfach so über die Europabrücke von Frankreich nach Deutschland laufen können, wollen wir zeigen, dass auch andere einfach so zu uns kommen können. Ich freue mich auf den heutigen Balkan-Abend!“ Ein junges Paar aus Straßburg freut sich vor allem auf die zweite Band des heutigen Abends ‚Electrik GEM’. Ihrer Meinung nach könnten solche Abend noch viel häufiger stattfinden, denn viel zu selten habe man die Gelegenheit, Musik und Bands aus anderen Ländern kennen zu lernen.

„Wir wollen Künstler aus anderen Ländern hier bekannt machen, den Leuten einen schönen und unterhaltsamen Abend bieten und dabei neue Bands entdecken und bekannt machen.“, so der Veranstalter Moldo. Das Programm der ‚Nuits Européennes’, das noch bis zum 18. Oktober dauert, ist sehr vielfältig. Nach dem deutsch-französischen Abend an diesem Samstag wird es zum Beispiel am Mittwoch, den 15. Oktober einen russischen Abend geben, der ganz im Zeichen des Friedens steht. Es gibt unter anderem Musik aus Norwegen des Künstlers BjØrn Berge, jüdische Musik des Amerikaners David Krakauer, Musik aus Slowenien von Longital und der Slowakei von Terrafolk. Insbesondere freut sich Moldo auf die Musik aus dem Osten, denn diese ist noch immer viel zu wenig bekannt. Dass sie aber gut ankommt zeigt unter anderem die Band aus Freiburg Äl Jawala. Ihre Musik verbindet die typischen Klänge und Rhythmen des Balkans mit modernem Funk, Jazz und Elektro.

jawala_krischan_steffi_bearb.jpg20 Uhr, die Menschen strömen in die Reithalle, die wirklich eine ganz besondere Atmosphäre bietet. Und die Künstler sind sehr angetan von der technischen Ausstattung. Zufällig stolpern wir über eines der Bandmitglieder der jungen französischen Band ‚Electrik G.E.M.’ – nicht schwer, denn insgesamt gibt es 14 davon. Kurzerhand treffen wir den Rest der Band noch beim Essen im ‚Pascha’, einem kleinen Lokal gleich hinter der Reithalle. Yves Beraud legt nur schnell sein Besteck zur Seite und begleitet uns nach draußen, wo er uns Frage und Antwort steht. Er spielt Akkordeon, was uns zunächst verblüfft, denn der sympathische junge Mann mit modernem Kurzhaarschnitt sieht nicht gerade wie ein typischer Akkordeonist aus – ist er auch nicht! Das ‚Electrik Grand Ensemble Méditerranée“ ist ein großes Projekt junger talentierter Musiker. Sie sehen sich als musikalische Reisende im Mittelmeerraum. Dabei ziehen sie Grenzen neu um sie am Ende zu überspringen. Den gesamten Mittelmeerraum betrachten sie als eine einzige große Metropole und so bedienen sie sich der verschiedensten Klänge und Stilrichtungen, ob Zigeunermusik, moderner Rock oder fremde Klänge aus dem Maghreb. Sie vereinen in ihrer Musik Tradition und Moderne erzeugen daraus eine neue Harmonie. Für sie ist dieses Festival „eine gute Gelegenheit, um sich auch in Deutschland bekannt zu machen“, so Yves Beraud. Denn „obwohl Deutschland ganz nah ist, gehe ich gewöhnlich nicht hin. Ich glaube in Zukunft wird sich das ändern!“

21 Uhr – Bühne frei für Äl Jawala und ihre Balkan Beats. Die Reithalle ist inzwischen gut besucht und das Publikum lauscht gespannt der Musik der jungen unbekannten Band auf der Bühne. Es dauert nicht lange, da klatschen die ersten bereits mit, wenn auch noch etwas verhalten. Aber schon beim zweiten Song verlassen einige ihre Sitzplätze um sich vor der Bühne unter die Zuschauer zu mischen, die ausgelassen mittanzen. Schließlich hält es auch die junge Dame Anfang 70 aus Cottbus nicht mehr auf ihrem Platz. Sie mischt sich unters tanzende Publikum und tanzt ebenso beschwingt mit.

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Die Musik von Äl Jawala ist mitreißend. Fröhlich, traurig, voller Emotionen. Wenn die beiden Saxophone, gespielt von Steffi Schimmer und Krischan Lukanow ihren „Kampf“ austragen, meint man verstehen zu können, was sie sagen wollen. Trotz, Wut, eine Diskussion wie die zwischen einem Kind und seiner Mutter – und am Ende gibt die Mutter mit einem Lächeln auf und der Sohn triumphiert. Ruhigere Töne klingen an. Das Digeridoo, gespielt von Daniel Pellegrini setzt ein. Nachdenkliche, traurige Klänge, doch sie steigern sich bis zur Euphorie. Der Franzose Daniel Verdier animiert das Publikum gemeinsam im Rhythmus mitzusingen und legt anschließend ein Solo mit dem Bass hin. Anschließend das Percussionduell zwischen Markus Schumacher und Daniel Pellegrini. Fünf Charactere, jeder hat seinen Freiraum, jeder spielt sein Spiel auf seinem Instrument und mit dem Publikum. Und gemeinsam machen sie eine Musik, mit „frontalen, dreckigen Gypsy- und Klezmer-Grooves und vollbiologischen Beats, die dennoch Drum´n´Bass und Ragga-Wiedererkennungseffekte liefern.“ so der Kritiker Richard Schuberth, Künstlerischer Leiter des Balkan Fever Festivals.

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Nach dem Konzert hatten wir Gelegenheit die fünf jungen Künstler zu treffen. Steffi (Sax) fand die Räumlichkeiten der Reithalle „völlig abgefahren“ und ist zufrieden mit ihrem Konzert. Für sie zählt nur, dass sie selbst auf der Bühne Spaß haben und ihr Publikum mit ihnen. „Wir spielen – alle Tanzen und haben Spaß. So soll’s sein!“ Äl Jawala bezeichnen sich nicht als Zielgruppenband. Das ist es, was sie aus macht und das ist, was wir heute Abend beobachten konnten. Die Musik voller Lebensfreude kommt bei jeder Altersgruppe gut an. Die Stile sind bunt gemischt und modern aufgepeppt.

Daniel (Bass): „Äl Jawala kommt aus dem Arabischen und bedeutet die Nomaden.“ Steffi (Sax): „Trotzdem machen wir keine arabische Musik! Aber unsere Anfänge kommen daher. Damals hatten wir noch kein Konzept im Kopf. Wir haben uns kennen gelernt, wir haben uns getroffen, wir haben mit einander gejamt. Ganz easy. Ein Freund war Halbägypter der Percussion gespielt hat. Und aus dieser Zeit stammt die Namensfindung. Damals war einfach der arabische Kontext näher als alles andere. Auch die Musik die wir damals gespielt haben war zum Teil Maghreb, oder war klassisch orientalisch, war aber auch jazzy, war Funk, war immer schon offen für vieles. Auch wenn du heute nicht mehr viel davon finden wirst – wir wissen wo wir herkommen. Und das kann man auch zeigen!“ Markus (Percussion): „Das zeigt sich schon noch in unserer Musik. In der arabischen Musikwelt zeigt sich sehr viel Vermischung von Dur und Moll, Gegensätze wie traurig und fröhlich in einem. Die Gefühle sind differenziert und man kann auch besser damit spielen.“

Arabische Herkunft, arabischer Name, arabisches Logo, aber heute ist die Verbindung zu Rumänien bei euch sehr viel mehr ausgeprägt. Woher kommt das?

Markus: Durch Zufall haben wir die rumänische Band Urma, die eine der bekanntesten Bands in Rumänien ist, kennen gelernt. Die haben nach Bands gesucht für ein Festival. Die haben uns also eingeladen und wir sind mit einem VW Bus dahin gefahren - und es war einfach unglaublich! Steffi: Wir sind also dahin – und damit war eigentlich auch alles passiert! Denn dieses Konzert bei diesen Leuten auf diesem Festival hat so dermaßen reingeschlagen, sowohl bei den Leuten als auch bei uns. Und dabei hatten wir so abartig schiss! Wir dachten, hey – jetzt kommen wir deutschnasen dahin und meinen den Rumänen auf so nem Riesenfestival so ne Musik vorsetzen zu können. Wir waren wirklich skeptisch. Das war echt hop oder top. Wir hatten keine Ahnung wie die das aufnehmen. Aber die Reaktion war mehr als positiv. Markus: „Diese Geschichte der letzten drei Jahre hat uns bis auf den größten Platz in Bukarest gebracht, wo wir vor über 5.000 Leuten spielten.“

Das aktuelle Album heißt „Lost in Manele“. Welche Bedeutung hat das?

Steffi: Manele, der Begriff, ist die absolute allgegenwärtige Mainstreammusik in Rumänien und ich denke es reicht auch noch ein bisschen in den Balkan rein. Ist oft von Roma produzierte Musik, die wurzelt irgendwie auch in dieser musikalischen Tradition, ist aber mittlerweile völlig billig. Das ist im Prinzip das was die HipHop Kultur hier macht. Also ist wirklich nur noch cheap, trashig, mit anspruchslosen Texten. Es geht um Geld, Frauen, fette Karren und Success. Und ist vom musikalischen Gehalt halt auch entsprechend low. Diese Massenmanele ist im rumänischen Kontext von den Leuten die Musik lieben oder auch ihre Tradition lieben, verhasst. Dann kommen wir da hin und spielen unsere Manele und kriegen als Feedback plötzlich völlig überglückliche Rumänen, die meinen, hey – irgendwie schafft ihrs uns unsere eigenen Wurzeln wieder nahe zu bringen. Aber auf ne Art und Weise, die unsere Tradition einfach respektiert. Die natürlich etwas total Neues mit der alten anstellt und sie komplett anders aufzieht: andere Grooves, anderer Kontext, anderes Erscheinungsbild – aber eben mit Respekt. Daher der Titel ‚Lost in Manele’.

Zur Zeit nehmen die fünf ihr erstes richtiges Studioalbum auf, das im Mai nächsten Jahres erscheinen soll. Und danach freuen sie sich schon auf die Tour. Seit ihrer Entstehung haben sich die Künstler und ihre Musik immer wieder verändert, doch an einem wollen sie unbedingt auch weiterhin festhalten. Ihnen ist die Tradition, sowohl musikalisch als auch kulturell, wichtig. Sie begegnen ihr mit Respekt, auch wenn sie mit ihr spielen, sie verändern.

Steffi: „Ich denke das schlimmste was passieren kann, ist zu vergessen wo du her kommst. Ich glaube um so näher diese Welt rückt, um so wichtiger ist für jeden Einzelnen zu wissen wo er steht und wo er her kommt.“

Am Ende des Abends sind alle zufrieden. Die Bands, das Publikum. Auch Moldo. In unserem Gespräch sagte er noch „Die Traditionen müssen bewahrt werden, aber man muss auch stets offen für Neues sein.“ Er möchte mit dem Festival Europa seine Musik zeigen und die Menschen zusammenbringen. Die unterschiedlichen Traditionen zeigen aus denen etwas Neues entstehen kann, ohne ihren Ursprung zu verletzen. Wie hätte der Auftakt besser sein können als mit zwei Bands, die selbst aus einer anderen Kultur kommen, sich mit Respekt mit zunächst fremden Traditionen beschäftigten und daraus etwas Neues entstehen ließen, das sowohl in den Ursprungsländern, als auch hier auf so viel positive Resonanz stößt.

Links: Nuits Européennes

Programm

Äl Jawala

(Fotos: Tilman Krieg)