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Ken Loach und Doug Liman: Krieg on Cannes

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Kultur

Cannes-Kurs auf den Irakkrieg: Zwei angelsächsische Regisseure stellen sich der Verantwortung ihrer Nationen und klagen an. Trotzdem könnten die Filme von Ken Loach (Route Irish) und Doug Liman (Fair Game) unterschiedlicher kaum ausfallen.

In letzter Sekunde rutschte noch einer der ganz Großen unter den europäischen Filmemachern ins offizielle Wettbewerbsprogramm von Cannes: Ken Loach, der 2006 mit seinem Epos über die irischen Befreiungskämpfe The wind that shakes the barley (in etwa "Der Wind, der durch die Gerste fuhr") die Goldene Palme mit nach Hause nehmen konnte. Und irgendwie versteht man die Hauruck-Entscheidung des Festivalkomitees: Bisher hat der offizielle Wettbewerb, wenn nicht offene Enttäuschung, so doch zumindest eher verhaltenes Presseecho hervorgerufen. Viel getraut hat sich keiner der Filme, noch gab es keinen handfesten Streit. Ken Loachs Route Irish funktioniert also 2010 als Kontrastprogramm. Denn eines spürt man von der ersten Sekunde an: Dass der 73-jährige Engländer stinkwütend ist.

Ken Loach: Route Irish

Ken Loach ist 2010 bereits zum 9. Mal bei den Filmfestspielen in Cannes eingeladenLoachs Perspektive auf die Schrecken des Irakfeldzugs stellt ein Novum in der Kinogeschichte dar: Der Regisseur widmet sich nicht den offiziellen Armeen, sondern den modernen Milizenheeren der Private Contractors, deren legaler Graustatus spätestens seit den Gemetzeln der Firma Blackwater diskutiert wird. Als Frankie (John Bishop) durch einen Anschlag auf der “gefährlichsten Straße der Welt”, der Route Irish zwischen dem Flughafen Bagdad und der Green Zone, ums Leben kommt, glaubt dessen bester Freund Fergus nicht an einen Unfall. “Wrong place, wrong time”, lautet die Erklärung der Offiziellen. Fergus macht sich zuhause in Liverpool auf die Suche nach der Wahrheit und deckt eine Vertuschungsaktion seines Arbeitgebers, der Private Contractors Haynes Inc., auf. Was folgt, ist einer der schockierendesten Rachefeldzüge der jüngeren Kinogeschichte.

Das etwas nicht stimmt mit Frankies Tod ist dem Zuschauer eigentlich von Anfang an klar. Deshalb interessieren an Fergus Suche nach Wahrheit weniger die Fakten als deren Auswirkungen auf seine traumatisierte Psyche. Loach schöpft aus den Vollen, um den Einbruch des Krieges in die europäische Gesellschaft darzustellen. Wir sehen viele Nachrichtenaufnahmen, pixelige Internetvideos, operational images von ferngesteuerten Maschinengewehren und ein grausames Handyvideo von der willkürlichen Erschießung einer ganzen Familie. All das sind Bilder und Bildträger, die unseren Alltag und unsere Kultur durchsetzen. Fergus Krieg ist unser aller Krieg, und es ist an der Zeit, sich den Hässlichkeiten zu stellen. Fergus hat alle Routinen der schmutzigen Kriegsführung verinnerlicht, die sich bei ihm auf keine andere ideologische Fundierung als der Sucht nach Geld und Nervenkitzel berufen. Wenn eine irakische Familie von einem in ihrer Heimat auf Hass und Brutalität getrimmten Mob zuhause in Liverpool brutal zusammen geschlagen wird, wenn Fergus einen ehemaligen Kollegen per Waterboarding [Foltermethode simulierten Ertränkens; A.d.R.] zum Reden zwingt, dann sind das Phänomene einer Wirklichkeit, deren Grausamkeit wir lange in den Bereich der Politik drängten. Seiner wütenden Grundhaltung entsprechend ist Route Irish ein rauer Film, ungeschliffen und disparat. Bestimmt nicht einer von Loachs besten, dafür aber äußerst schmerzhaft.

Folgendes Statement diktierte Loach einem französischen Journalisten auf dem roten Teppich: “Die Verantwortlichen des Irakkrieges müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir müssen Blair und Bush weiter verfolgen. ” Und gibt damit die Fackel weiter an seinen Kollegen Doug Liman und Fair Game.

Doug Liman: Fair Game

Liman präsentiert als einzigen amerikanischen Wettbewerbsbeitrag einen klassischen Politthriller - politisch korrektes Hollywood-Entertainment vom Feinsten. Der berufskorrekte Sean Penn darf eine der Hauptrollen in Limans Fiktionalisierung der Plame-Wilson Affäre übernehmen.

Kurze Rekapitulation: Nachdem Ex-Botschafter Joseph Wilson (Sean Penn) in einem Zeitungsartikel die Legitimität des Irakfeldzuges angegriffen hat, fliegt die geheime Identität seiner Frau, der CIA-Agentin Valerie Plame (Naomi Watts) auf. Ihre Kontakte im Mittleren und Nahen Osten sind damit größter Gefahr ausgesetzt, ihre Karriere ist hinüber, die amerikanischen Konservativen verleumden das Paar als Vaterlandsverräter, Kommunisten, Lügner. Am Ende stellt sich heraus, dass die Informationen zu Frau Plame aus dem engsten Zirkel um Vizepräsident Dick Cheney kamen.

Fair Game ist ein unheimlich einnehmender, perfekt getimter Thriller mit garantiertem Entrüstungspotential. Auf welch niederträchtige Weise die Neocons um Cheney ihre politischen Gegner schachmatt zu setzen versuchen ist widerlich. Dass da ganz schwer gemauschelt wurde vor dem Einmarsch im Irak, dass explizit gelogen worden ist, das haben wir alle viel zu schnell verdrängt und vergessen. Barack Obamas Politik der ausgestreckten Hand im Verhältnis zu den Republikanern hat eine Aufarbeitung dieser Skandaltaten auf nationaler Ebene unmöglich gemacht.

Jetzt, da “dank” der dubiosen Tea-Party-Bewegung und der Fundamentalopposition der Republikaner in Kongress und Senat die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft mindestens so schlimm ist wie zu Zeiten George W. Bushs, kommt Fair Game genau zur rechten Zeit. Wenn Hollywood noch irgendeinen Einfluss auf das politische Klima der USA hat, dann kann dieser Film dazu beitragen, die Demokraten samt ihrer Weicheipolitik aufzumischen.

Denn Fair Game zeigt vor allem den Preis des Kampfes für die eigenen Überzeugungen auf. Sean Penns Charakter ist durchaus ambivalent, seine linke Rechthaberei hat eine faschistische Rückseite. Naomi Watts alias Valerie Plame hingegen denkt mehr an Familie und deren Sicherheit. Wie das Paar an der öffentlichen Hetzkampagne nahezu zugrunde geht, lässt sich leicht auf die innerparteilichen Spannungen der Demokraten übertragen. Aber: Auch wenn der Preis hoch ist, sieht man hier ein (wahres) Beispiel, wie der Kampf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, erfolgreich verlaufen kann. Fair Game zielt dabei ganz klar auf ein amerikanisches Publikum ab, es wird viel vom Wesen der USA schwadroniert. Aber vielleicht, ein guter Film zur rechten Zeit, right place, right time…

Ein Text von Nino Klinger.

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