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Junge Griechen: Warum sie Facebook mehr vertrauen als traditionellen Medien

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RawMedienAthen

Junge Menschen in Griechenland gucken keine Nachrichten mehr und lesen keine Zeitung. Sie haben das Vertrauen in die traditionellen Medien verloren – und holen sich ihre Infos lieber über die sozialen Netzwerke. 

Ein 2017 veröffentlichter Bericht des Reuters Institute for Journalism deckte auf, dass Griechen mit nur 23 Prozent im internationalen Vergleich am wenigsten Vertrauen in die Medien haben (das größte Vertrauen haben mit 62 Prozent die Finnen). Griechenland ist außerdem das einzige europäische Land, dessen Bewohner den sozialen Medien mehr vertrauen als den traditionellen.

Darüber hinaus meidet die Hälfte der Befragten in Griechenland (57 Prozent) und der Türkei die Nachrichten, in Japan beispielsweise ist es weniger als einer von zehn (6 Prozent). Einer der Hauptgründe für dieses „Medien-Meiden“ sind die ständig präsenten „negativen“ Nachrichten – egal, ob es um Wirtschaft, Politik, Korruption, Unfälle, Krieg, blutige Konflikte oder Terrorattacken auf der ganzen Welt geht. Diese Nachrichten vergrößern nicht nur die Angst vor einer ohnehin schon unklaren Zukunft, sondern sie verstärken auch den Unmut und die Unzufriedenheit im Land. Also ziehen die Menschen es vor, nichts zu wissen und sind davon überzeugt: „Unwissenheit ist Glück“.

Die Vermeidungs-Strategie

„Ich lese nur Nachrichten, die mir auffallen”, sagt Dimitris, ein in Athen lebender 28-jähriger Mikrosystem-Techniker. „Die Medien sagen uns nicht die Wahrheit. Und es gibt da nichts Ansprechendes zu sehen. Es geht immer nur um Katastrophen, Konflikte, Krieg, Verbrechen und den ganzen Tag sprechen da Politiker.“ Viele Griechen glauben, dass die Nachrichten oft verfälscht und die Schlagezeilen reißerisch sind. Andreas, 26, lebt in Korinth und teilt diese Meinung: „Die Medien führen die Menschen in die Irre, indem sie die Nachrichte verfälschen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Die Schlagzeilen haben oft nichts mit dem zu tun, worum es in dem Bericht eigentlich geht. Und Interviews sind so zergliedert, dass es keinen Zusammenhang mehr gibt, und folglich geht die Wahrheit verloren.“ Wie in vielen anderen Ländern werden Nachrichten in Griechenland aufgebauscht, sie zitieren jemanden falsch oder drehen die Story so, dass etwas „Schockierendes“ enthüllt wird, etwas, das eine – oft negative – Auswirkung auf die Leserschaft haben wird. Das bedeutet nicht, dass alle Berichte negativ sind. Aber diejenigen, die es sind, kriegen mehr Aufmerksamkeit.

Die Welle des Pessimismus, die über junge Griechen hinwegschwappt, ist auch das Resultat ihrer Überzeugung. Sie glauben, Politiker hätten zu viel Einfluss darauf, was veröffentlicht wird. Griechenland hat einen schlechten Ruf wenn es um die Beeinflussung der Medien durch die Politik geht. „In Griechenland ist das Hauptmerkmal der Medien diese Symbiose aus Politik und Journalismus“, sagt Maria, eine 33-jährige Kommunikationsexpertin aus Athen. „Jedes Medium ist einer politischen Partei angegliedert und folgt so einer bestimmten Linie“, erklärt sie und ergänzt, dass „unabhängige Medien die Ausnahme“ seien. Abgesehen von Rizospastis, dem Sprachrohr der kommunistischen Partei, haben die anderen Medien ihre Partei-Bindungen nicht offiziell enthüllt. Allerdings ist es für Griechen, ob jung oder alt, sehr einfach, aus den Schlagzeilen und dem generellen Ton der Berichterstattung auf die politische Zugehörigkeit eines Mediums zu schließen.

Da die meisten jungen Griechen glauben, dass die Leserschaft selbst verschiedene Nachrichten miteinander abgleichen und so „Fake News“ aussortieren können, sind die Möglichkeiten für unabhängige Medien begrenzt. Dimitris findet, Menschen würden „wie Schafe behandelt. Sie kauen wieder, was ihnen die Medien füttern und tun oft so, als hätten sie keine andere Möglichkeit.“ George hingegen, ein 23-jähriger IT-Experte von der Insel Peloponnes, glaubt, dass es durchaus Verbesserungspotenzial gibt: „Die Nachrichten müssen objektiver werden und mehr verschiedene Sichtweisen zeigen, die Ereignisse recherchieren und analysieren, damit das Publikum sich seine eigene Meinung bilden kann.“

Großes Vertrauen in die sozialen Medien

Weil sie genug vom unzuverlässigen Inhalt der traditionellen Medien haben, wenden sich junge Griechen den sozialen Medien zu. Ganze 69 Prozent der Bevölkerung nutzen die sozialen Medien als Hauptnachrichtenquelle, vor allem Facebook (62 Prozent) und YouTube (32 Prozent). Griechenland ist außerdem das einzige Land weltweit, dessen Bevölkerung glaubt, dass die sozialen Medien besser darin sind, Fakten von Fiktion zu trennen, als traditionelle Nachrichtenmedien – aber das hat oft mehr mit der allgemeinen Geringschätzung der Griechen für Medien zu tun, als mit der Qualität der bereitgestellten Informationen.

Dass soziale Medien so sehr im Trend liegen kann auch damit zusammenhängen, dass Griechen gerne aktuelle Geschehnisse kommentieren und beurteilen, egal, ob es um Politik, Sport oder simplen Klatsch und Tratsch geht. Die sozialen Medien werden vor allem von jungen Griechen genutzt und gelten als schnell und direkt. Tassos Morfis, Chefredakteur und Mitgründer von AthensLive, einer gemeinnützigen Online-Plattform, sagt, dass er Online-Informationen bevorzuge, weil „das griechische Fernsehen oft eine sehr niedrige Qualität hat und gedruckte Medien viel zu teuer sind.“ Tatsächlich, so Morfis, war AthensLive das erste gemeinnützige Nachrichtenmedium, dessen Startkapital durch Crowdfunding gesammelt wurde, in der „Hoffnung, dass wir, indem wir eine glaubhafte Alternative zu traditionellen Nachrichtenkanälen bieten, einen Wandel in der sehr korrupten Medienlandschaft anregen.“

Andreas sagt, er nutze die sozialen Medien, „um ein Auge auf Entwicklungen zu haben und um die Entscheidungen unserer Politiker besser einschätzen zu können”. Allerdings haben Ereignisse wie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen und der Brexit gezeigt, dass Facebook, Twitter und Co nicht immer unbedingt für mehr Klarheit sorgen und jede Menge falsche Informationen im Umlauf sind. Die 25-jährige Vasia, Verwaltungsassistentin auf Korfu, ist sich dieser Gefahren bewusst und betont, dass es „für Online-Medien einfacher ist, die Wahrheit zu manipulieren, weil sie jedem Zugang sowie eine Stimme geben.“

Nur „Follower“ statt „Leader“

„Das Paradoxe ist, dass die sozialen Medien Informationen nicht produzieren, sondern sie nur durch die traditionellen, konventionellen Medien teilen“, sagt Stylianos Papathanassopoulos, Professor für Medienorganisationen und Medienpolitik an der Fakultät für Kommunikation und Medienwissenschaften an der National and Kapodistrian University of Athens. Unter den häufigsten Vorwürfen, die den griechischen Medien gemacht werden, findet sich die übertriebene und skandalisierte Berichterstattung sowie die Zunahme des „Meinungsjournalismus“, wo Reporter zu Kommentatoren werden und sich in die Nachrichten einschalten, die sie eigentlich nur berichten sollen. „In der Vergangenheit waren Journalisten die Hüter der Demokratie, sie hatten eine gute Kenntnis politischer Diskurse und kritisierten wann immer möglich das unangemessene Verhalten der politischen Führungskräfte“, sagt Papathanassopoulos. Heute hätten Journalisten nicht nur das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren, sondern gingen durch die Ausbreitung der sozialen Medien „die Gefahr ein, zu ‚Followern‘ statt zu ‚Leadern‘ zu werden“.

Einen konkreten Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem junge Griechen begannen, sich von den traditionellen Medien abzuwenden, ist unmöglich – aber viele sind sich darin einig, dass die Berichterstattung über das griechische Referendum am 5. Juli 2015 ein Wendepunkt war. Am 27. Juni 2015 kündigte die Regierung von Alexis Tsipras das Referendum an: Es resultierte aus dem Scheitern der Verhandlungen mit der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond. Tsipras wollte darüber abstimmen lassen, ob Griechenland die mit einer strikten Sparpolitik verbundenen finanziellen Hilfen akzeptieren sollte. Für Tassos Morfis sorgte die Medienkampagne dafür, dass „auch die vertrauensvollsten unserer Mitbürger sich von den traditionellen Medien betrogen fühlten“. Eine sehr komplexe Situation sei von den Medien simplifiziert und die Abstimmung auf ein „Ja“ oder „Nein“ zur griechischen EU-Mitgliedschaft reduziert worden.

Kann dieses Misstrauen in die Medien rückgängig gemacht werden? Die jungen Griechen glauben, dass die Dinge sich entweder nicht ändern werden, oder zumindest jetzt nicht. Dimitris Einschätzung ist pessimistisch: „Es ist das politische System als Ganzes, das sich ändern muss, denn es sind die Politiker, die den Menschen das unabhängige Urteilen genommen haben, und sie sind diejenigen, die die Fäden ziehen.“ Andreas hingegen findet, dass „mehr unabhängiger Journalismus gebraucht wird, Journalismus, der die politischen Fakten unabhängig von der Regierung betrachtet.“ Professor Papathanassopoulos betont, dass „die traditionellen Medien zu ihren anfänglichen Werten zurückkehren und Inhalte produzieren müssen, die eine neue Generation ansprechen.“ Journalist Morfis hat einen radikaleren Vorschlag: „Ohne staatliche Unterstützung könnten die traditionellen Medien sich nicht mehr finanzieren und die Journalisten sollten dann ihre eigenen kooperativen, gemeinnützigen Medien gründen, ohne Werbung und mit grundlegender Berichterstattung.“

Nachrichten? Keine Priorität

Die Finanzkrise, die Griechenland so hart getroffen hat, zwingt die jungen Menschen dort dazu, unbezahlte Überstunden zu machen, endlose Stunden zu arbeiten und gleichzeitig mehrere Jobs zu haben, um finanziell über die Runden zu kommen. Die Nachrichten zu lesen hat deshalb wenig überraschend bei ihnen keine Priorität – insbesondere, weil diese ihrer Meinung nach nur die Erbärmlichkeit heutiger Gesellschaften zeigen und ihnen immer und immer wieder die Gründe vor Augen führen, warum alles so trostlos geworden ist. 

Translated from Greek youth: When Facebook trumps traditional media