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Journalist in Montenegro sein: Punchingball, Missionare und Juckpulver

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Stephanie Hesse

Gesellschaft

Körperliche oder gerichtliche Drohungen, unsichere Gehälter und fehlende Anerkennung: In einem Land, das es 2010 nur auf Platz 104 des von den "Reportern ohne Grenzen" erstellten Index der weltweiten Pressefreiheit schaffte, hält der Beruf des Journalisten so manche Tücken bereit.

Ein Paradox unter vielen in Montenegro, denn zugleich ist der Journalist - mangels politischer Opposition - auch der einzige Vertreter des öffentlichen Interesses. Ein Treffen mit den montenegrinischen Journalisten von morgen.

"Ich habe keinerlei Gewissensbisse, wenn ich meinen Posten abtrete. Keine Angst vor einem Gerichtsverfahren". 15. Februar 1991 bis 21. Dezember 2010: Mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Milo Djukanovic schließt sich in Montenegro eine Klammer. Nach 19 Jahren.  "Alles, was ich getan habe, kann nun von der Öffentlichkeit und der Geschichte beurteilt werden", sagte der Provokateur zu seinem Amtsaustritt.

Marko Vesovic ist seinerseits so argwöhnisch wie nie zuvor. Der junge Journalist der serbischen Tageszeitung Dan, eine der drei einflussreichsten Zeitungen Montenegros und bei weitem die kritischste, kann die Chronologie der Prozesse gegen den Premierminister, die zu dessen Verurteilung hätten führen können, auswendig herbeten. Es handelt sich um Prozesse wegen Zigarettenschmuggels, den Djukanovic mit Hilfe der italienischen Mafia begangen haben soll. Djukanovic ist nach Ansicht seines Opponenten Nebojša Medojević die Symbolfigur für politische Korruption und Zigarettenschmuggel. Ob Deutschland, die Schweiz oder ganz besonders Italien - an gesetzlichen Instanzen der Nachbarländer, die sich für den Fall Djukanovic interessieren, mangelt es nicht. Aber darüber zu sprechen kann hier sehr teuer werden. Richtig teuer!

Punchingball-Journalisten

Wir warten in einer Bar gegenüber der Redaktion, wo das Bier in Strömen fließt. Es ist spät, als der Redakteur aufkreuzt: "Entschuldigen Sie die Verspätung, aber hier in Montenegro gibt es wenige Journalisten, aber viel zu sagen". Entschuldigung angenommen! Während ich ihm zuhöre, wie er in beeindruckendem Tempo und messerscharfer Präzision die Geschichte seines kleinen Landes mit 620.000 Einwohnern wiedergibt, wie er über die Wurzeln von Korruption und organisierter Kriminalität, seinem Spezialgebiet (was ihm den European Young Journalist Award 2008 einbrachte) berichtet, realisiere ich, dass mir noch kein französischer Journalist mit so großer Begeisterung von seinem Job erzählt hat.

Dieser Typ ist begeistert von dem, was er tut: "Ich denke, dass Journalisten kritisch gegenüber den Entscheidungsträgern sein und das öffentliche Interesse verteidigen müssen. Und ich wurde schon immer vom öffentlichen Interesse regiert", erzählt er, als ich ihn frage, warum er Journalist geworden ist. Es sind also nicht die 400 bis 500 Euro Monatsverdienst, die einen Journalisten hier zu seinem Job verlocken. Es sind auch nicht die Verleumdungsprozesse, die auf die Veröffentlichung kritischer Artikel gegen montenegrinische Politiker folgen. "Sobald wir damit anfingen, kritisch über die Regierung zu berichten, hat Milo Djukanovic offiziell vor allen Ministern erklärt, dass es das Beste sei, die Vijesti strafrechtlich zu verfolgen", erklärt Nedjeljko Rudovic, Leiter des Politikressorts von Vijesti, der führenden Tageszeitung von Montenegro.

"Nun ist der Gerichtshof aber unter politischer Kontrolle und wir haben eine saftige Geldstrafe in Höhe von 33.000 Euro dafür bekommen, dass wir die Meinung eines Oppositionellen zur Privatisierung der Regierung veröffentlicht haben." Trotzdem, während seiner Anfänge 1997 unterstützte die Vijesti die Politik von Djukanovic, der beschlossen hatte, sich von dem serbischen Anführer und vor dem Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermordes angeklagten Slobodan Milosevic zu entfernen und sich für die Unabhängigkeit des Landes einzusetzen. Als der Staat Montenegro 2006 schließlich gegründet war, hat das Journal seine Aufmerksamkeit auf die Antworten der Regierung bezüglich der EU-Forderungen gerichtet. "Wir sind eine Gefahr für die Regierung geworden, die alles Erdenkliche versucht hat, um uns zu disziplinieren."

Marko hat ebenfalls eine Verleumdungsklage am Hals, denn in Montenegro kann der Autor eines Artikels direkt verurteilt werden - nicht nur der Chef der Zeitung, für die er arbeitet. Herzlich willkommen in dem Land, das sich 2010 auf Rang 104 (von 178) des internationalen Pressefreiheit-Index von "Reporter ohne Grenzen" befindet! Ein Land, in dem es an Paradoxen nicht mangelt: Montenegro ist seit dem 17. Dezember 2010 offizieller EU-Beitrittskandidat, obwohl Miomir Mugoša, Bürgermeister der Hauptstadt Podgorica, im August 2009 auf offener Straße eine Waffe auf einen Journalisten der Vijesti und seinen Fotografen richtete, nachdem er sie gemeinsam mit seinem Sohn und seinem Chauffeur verprügelt hatte. Sie hatten das große Pech, auf dem illegal errichteten Parkplatz des Cafés "Art" zu ermitteln, das dem Sohnemann gehört…

Journalisten - die Missionare

Einen Tag nach dem Rücktritt von Djukanovic konnte man dort eine politisch fein saubere Biographie des werten Herren lesen. Partei-Organ, ick hör Dir trapsen… ?Sicher ist Journalismus ein schlecht bezahlter und zudem gefährlicher Beruf. Doch bleibt der Erfolg von Vijesti, die 1997 von Journalisten der unabhängigen Wochenzeitung Monitor lanciert wurde und an die Berufung aller Journalisten appellierte: "Jeder Journalismus-Student träumt davon, dort zu arbeiten", gesteht Rados in einem Café mit Lounge-Atmosphäre, das er ausgewählt hat. "In den 1990er Jahren gab es nur eine Zeitung, die Pobjeda. Vijesti und Dan haben der Medienlandschaft zu mehr Vielfalt verholfen. Denn wenn man sich nach der Pobjeda richtet, ist Montenegro ein wundervolles Land, in dem alle glücklich sind!", ergänzt Jovana, sein Kommilitone an der Journalistenschule in Podgorica. Nedjeljko Rudovic bestätigt: "In der Zeit vor Vijesti kamen 80 Prozent der Informationen aus Serbien. Heute stammen 80 Prozent von Vijesti und Dan. Diese Medien haben den Montenegrinern die Möglichkeit gegeben, sich selbst politisch zu bilden, nachdem sie sich ein Jahrhundert lang nach Belgrad richten mussten."

Journalisten - das Juckpulver

Diese Woche geht’s um Jugend und Politik: Gute Vorbereitung auf das spätere BerufslebenJournalist zu sein bedeutet für einen jungen Montenegriner, der mitreißenden Strömung der Mächtigen zu widerstehen und eine nationale, öffentliche Meinung zu konstruieren. Aber erst einmal so weit zu kommen, ist eine andere Sache. In der letzten Etage der Fakultät für Politikwissenschaften ist die Stimmung unter den Journalismus-Studenten angespannt. Die Ausbildung existiert seit vier Jahren, aber der Befund ist für die 30 Studenten des Seminars über Pressegeschichte einstimmig: zu wenig Praxis, zu viel Theorie. Um ihre Bedürfnisse vor Ort zu stillen, durchqueren Rados und zwei seiner Kameraden im Laufschritt das Stadtzentrum in Richtung Atlas TV, wo sie seit drei Monaten eine wöchentliche Sendung "von und für die Jugend" vorbereiten und präsentieren.

Diese Woche interviewen sie Jugendliche, die sich für Politik engagieren. Und die Übung trägt Früchte: "Der gaukelt uns doch wieder nur 'was vor mit seinem Gerede über die Qualität der Jugendpolitik", raunt Rados, sichtlich genervt von der Forderung des Politikers, die Fragen vor dem Interview einsehen zu dürfen. "Und er ist genervt, weil ich ihm nicht die Fragen stelle, die vorgesehen waren!" Zukünftiger Journalist, leicht einzuschüchtern, mag sich der Politiker der sozialdemokratischen Partei vielleicht gedacht haben. Pustekuchen! Wenn man Rados über Ferhat Dinosha, den Minister für Menschenrechte und Minderheiten, der verlauten ließ, dass "die Existenz von Homosexuellen eine schlechte Sache für Montenegro ist" reden hört, dann wird deutlich, dass die jungen Journalisten ihre Kritik an der politischen Korruption nach und nach auf das Verhältnis zwischen Macht und Zivilgesellschaft ausweiten können.

Dieser Artikel ist Teil unseres Balkan-Reportageprojekts 2010-2011 Orient Express Reporter!

Fotos: ©Simon Chang/www.simon.chinito.com/; Pobjeda: ©Emmanuel Haddad ; Interview: ©Simon Chang/www.simon.chinito.com/

Translated from Etre journaliste au Monténégro : punching-ball, missionnaire et poil-à-gratter