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José Manuel Barroso zur Finanzkrise: Was Europa und die Welt jetzt brauchen

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Politik

Eine Reaktion zur weltweiten Finanzkrise von Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

(Photo: murplej@ne - antibiotic resistance/ Flickr)Die Finanzkrise, die vor etwas mehr als einem Jahr in den USA ihren Anfang nahm, hat eine Geschwindigkeit und ein Ausmaß erreicht, dass rund um die Welt Schockwellen ausgelöst wurden. Niemand ist dagegen gefeit. Einige der größten Finanzinstitute stehen urplötzlich vor dem Bankrott. Für viele Haushalte und Firmen sieht die Zukunft plötzlich sehr viel düsterer aus. Für die Erforschung der Ursachen ist später noch Zeit. Jetzt kommt es darauf an, dass die politischen Entscheidungsträger das Richtige tun - um der akuten Krise zu begegnen, um die Ersparnisse der Bürger zu schützen, um für ausreichende Kredite für die Unternehmenstätigkeit zu sorgen und um ein besseres Regelungssystem für die Zukunft zu schaffen.

Seit dem vergangenen Jahr befasst sich die Europäische Union in Gestalt der Regierungen der Mitgliedstaaten, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission auf vielen Ebenen mit den Problemen des Finanzsystems. Wir verbessern die Transparenz, die Aufsicht und die Standards. Die Reaktion Europas erfolgt aber noch immer weitgehend aus nationalem Blickwinkel. In der EU gibt es mehr als 8 000 Banken, aber zwei Drittel des gesamten EU-Bankenvermögens liegen in den Händen von gerade einmal 44 grenzübergreifend tätigen Banken. Viele von ihnen arbeiten in mindestens sechs verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Das ist die Realität des Binnenmarktes, doch sind diese Banken in jedem Mitgliedstaat anderen Aufsichtssystemen unterworfen.

In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass die wichtigen Akteure zueinander finden und plötzlich auftretenden Problemen rasch und wirksam begegnen können. Unsere Fähigkeit, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, muss nun darauf ausgerichtet werden, mittelfristig ein robusteres, „europäischeres“ System auf den Weg zu bringen. Eine stärker strukturierte Kooperation ist mit Entscheidungen verbunden, die sich in der Vergangenheit als zu schwierig erwiesen haben. Es ist aber sinnvoll, den Widerspruch zwischen europaweitem Markt und nationaler Aufsicht zu beseitigen. Wenn eine grenzübergreifend tätige Bank unter Druck gerät, können zwar durch paralleles Agieren mehrerer nationaler Aufsichtsbehörden rasch Ergebnisse erzielt werden, aber das ist nicht einfach. Besser wäre es sicherlich, wenn die Kooperation bereits etabliert wäre, so dass sich alle Beteiligten schon im Voraus auf ein Verfahrensmuster verständigt haben.

Die politischen Entscheidungsträger in der EU können auf enormes Fachwissen in den Finanzministerien, Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zurückgreifen. Wir sind es unseren Bürgern schuldig, dass wir dieses Wissen bestmöglich nutzen. Die Europäische Kommission ist entschlossen, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass diese Fähigkeiten in der richtigen Weise zusammengeführt werden. Als hilfreich haben sich unsere Wettbewerbsregeln und die Vorschriften für staatliche Beihilfen erwiesen. Die letzten Tage haben gezeigt, dass sie rasch und flexibel anwendbar sind und entschlossenem, sachgerechten Handeln nicht entgegenstehen. Sie bieten jedermann die Gewähr, dass Rettungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen einzelnen Marktbeteiligten oder Ländern keine ungerechtfertigten Vorteile verschaffen.

Unser wichtigstes Ziel muss es sein, dass innerhalb des Finanzsektors wieder uneingeschränktes Vertrauen herrscht.

Unser wichtigstes Ziel muss es sein, dass innerhalb des Finanzsektors wieder uneingeschränktes Vertrauen herrscht, und zugleich das öffentliche Vertrauen in das Finanzsystem wiederherzustellen. Es ist nur schwer erkennbar, wie dies ohne stärkere Aufsicht und Kooperation auf EU-Ebene möglich sein soll. Eine angemessene Ordnung der Finanzmärkte von heute erfordert nachhaltigen Einsatz. In dieser Woche unterbreitet die Europäische Kommission Vorschläge zur Verbesserung der Qualität des Kapitals von Banken und zur Schaffung von Aufsichtskollegien für grenzübergreifend tätige Banken in der EU. In den kommenden Wochen werden wir dann ein neues Regulierungssystem für Rating-Agenturen vorschlagen. Je schneller die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament diesen Vorschlägen zustimmen, desto wirksamer tragen sie zur Wiederherstellung des Vertrauens bei.

Ich glaube aber, dass wir über die von den Finanzministern beschlossenen weitreichenden Maßnahmen und die bereits vorliegenden Vorschläge der Kommission hinaus noch mehr tun können:

- etwa auf dem Gebiet der Aufsicht über grenzübergreifend tätige Banken auf EU-Ebene, um dafür zu sorgen, dass rasch konzertierte Maßnahmen getroffen werden,

- in Bezug auf konsistentere Einlagensicherungssysteme für alle EUMitgliedstaaten

- und hinsichtlich neuer Verfahren zur Bewertung von komplexen Anlageformen, um der Volatilität der Kurse bei Marktturbulenzen vorzubeugen und dafür zu sorgen, dass EU-Banken etwa in Fragen der Rechnungslegung gleiche Bedingungen vorfinden wie andere Banken auch.

Wir werden uns auch weiter mit der Frage der Vergütung von Führungskräften befassen und dazu die bereits 2004 unterbreiteten Vorschläge der Kommission heranziehen - wären diese auf breiterer Basis aufgegriffen worden, wäre uns allen einiger Ärger erspart geblieben.

Es ist jetzt an der Zeit, über den nationalen Tellerrand hinaus zu sehen.

Es ist jetzt an der Zeit, über den nationalen Tellerrand hinaus zu sehen, denn diese Krise führt uns deutlich vor Augen, dass die internationalen Finanzmärkte inzwischen so stark integriert sind, dass nationale Grenzen keine große Bedeutung mehr haben. Wenn Banken und Finanzinstitute international sind, dann müssen auch die Regulierungsstellen und diejenigen, die die Interessen der Anleger schützen, zu raschem Handeln über Grenzen hinweg in der Lage sein.

Die EU ist schon an so vielen Herausforderungen gewachsen, dass ich zuversichtlich bin, dass wir es wieder schaffen können, wenn der politische Wille vorhanden ist. Angesichts unserer Erfahrung im Zusammenwirken von Fachwissen und politischer Aufsicht glaube ich, dass die EU viel bieten kann - innerhalb Europas selbst, aber auch in einer Welt, die nach einem besseren System zur Regelung der Finanzmärkte in der Zukunft sucht. Der Vorschlag von Präsident Sarkozy, eine internationale Konferenz zu veranstalten, ist ausgezeichnet, denn wir leben nun seit über 50 Jahren mit dem jetzigen System, aber wir sind es den von der heutigen Krise Betroffenen schuldig, dass wir uns ernsthaft damit befassen, wie Stabilität und Wohlstand in Zukunft gesichert werden können.

Translated from José Manuel Barroso on the financial crisis: 'national borders mean little'