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Ist das Boot wirklich voll?

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Die Bevölkerung Europas ergraut zunehmend, aber die Öffnung der Grenzen für osteuropäische Immigranten könnte dazu beitragen, die arbeitende Bevölkerung zu verjüngen.

Zahlen lügen nicht

Die Lebenserwartung wächst und wächst, aber die Zahl der Nachkommen pro Frau bleibt gering: Europäer leben länger, haben aber viel weniger Kinder, die sie ersetzen könnten. Die Geburtenrate liegt bereits bei weniger als 1,4 Kindern pro Frau und soll Schätzungen zufolge noch für mindestens zehn weitere Jahre sinken. In einigen Ländern, etwa in Spanien, Italien und Griechenland, ist die Rate bereits auf 1,1 bis 1,3 gefallen. Frauen verschieben ihre Mutterschaft immer länger, arbeiten an ihrer Karriere und entscheiden sich zwischen ein und zwei Kindern anstatt dreien. Unterdessen steigt das Durchschnittsalter immer weiter. In weniger als 15 Jahren wird die Zahl der Europäer zwischen 20 und 29 um 20% fallen, die Zahl derer zwischen 50 und 64 wird hingegen um 25% und die der über 80jährigen gar um 50% anwachsen. Bis 2015 wird ein Drittel der aktiven Bevölkerung 50 Jahre und älter sein.

Während also das Bevölkerungswachstum nicht durch interne Faktoren angekurbelt werden konnte, so hat die Immigration den jeweiligen Ländern dabei geholfen, sich ein wenig aus der Flaute heraus zu manövrieren. Auch wenn sich kein einziges europäisches Land selbst als Einwanderungsland sieht, sind doch in Deutschland bereits 8,9 % der Bevölkerung Immigranten, in Frankreich 8%, in Österreich 6,6% in Großbritannien 4,1% den Niederlanden 4% und in Belgien 1,3%. Und dies sind nur die offiziellen Statistiken: Würde man die illegale Immigration berücksichtigen, so lägen die Zahlen zweifellos noch weit höher.

Kosten und Nutzen

Nach dem Bericht von Eurostat über die „soziale Sicherheit im Jahr 2003“ machten Ausgaben für Renten und Pensionen im Jahr 2000 bereits 12,5 % des Bruttosozialprodukts aus. Kann verstärkte Immigration dazu beitragen, die Arbeitnehmerschaft wieder zu verstärken? Die meisten Immigranten sind üblicherweise im arbeitsfähigen Alter, was bedeutet, dass sie weniger staatliche Leistungen wie etwa das Gesundheits- und Ausbildungssystem in Anspruch nehmen, und mehr Steuern zahlen als die durchschnittliche Bevölkerung. Allerdings ist dies auch nicht immer der Fall, wie unlängst das panarabische Journal Al Hayat schrieb: Neben jungen Immigranten kommen heute auch ältere Menschen oder schwangere Frauen, die ihrerseits Hilfe benötigen. Und Familienzusammenführungen bedeuten meist höhere öffentliche Lasten, beispielsweise für Ausbildung.

Der Eiserne Vorhang öffnet sich - und schließt sich weiter östlich

Nun, da die Erweiterung der EU vor der Tür steht, werden die Vor- und Nachteile auch der Migration abgewogen. Unglücklicherweise ist die demografische Situation im „neuen“ Europa dieselbe wie im „alten“ Westen, mit sinkender Geburtenrate und einem wachsenden Anteil der älteren Bevölkerung. Der letzte OECD-Migrationsbericht macht deutlich, dass seit Anfang der 90er Jahre die Geburtenraten in osteuropäischen Ländern extrem schnell gesunken sind, auf gegenwärtig weniger als 1,5 Kinder pro Frau. Daher wird Migration aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU das Problem des Westens in keiner Weise lösen. Sie fürchten vielmehr ihrerseits die Konsequenzen stetiger Auswanderung. Das Konsortium für Europäische Integration sagt voraus, dass 0,1% der gegenwärtigen Bevölkerung der Beitrittskandidaten im Rahmen der Freizügigkeit von Ost nach West wandern werden (unter Berücksichtigung der siebenjährigen Übergangszeit) und dass die Zahl insgesamt 1,1 % der europäischen Bevölkerung erreichen könnte.

Die Auswirkungen der Migration innerhalb der EU werden möglicherweise durch einen Zustrom von Immigranten aus Drittstaaten und ihre Aufteilung nach Quoten gemindert. Was Osteuropa angeht, sagen Forscher vom Zentrum für Europäische Reform stärkere Immigration aus ärmeren Ländern an der neuen europäischen Ostgrenze voraus. Daher könnten die neuen Mitgliedsstaaten sogar Länder werden, die Immigration aus Ländern wie der Ukraine, Weißrussland, Russland der Türkei anziehen, deren ethnische Gruppen bereits einen beträchtlichen Teil der osteuropäischen Bevölkerung ausmachen.

Politik und öffentliche Meinung

Die europäische Geschichte und Tradition ist eine andere als diejenige Amerikas. Die Bevölkerungen der europäischen Staaten glauben nicht an das Ideal eines Schmelztiegels oder - noch schlimmer - einer Salatschüssel-Gesellschaft. Wie die Financial Times kürzlich kommentierte, sieht Europa Einwanderung immer noch eher als Bedrohung denn als Chance. Diese Einstellung ist in Wahlen in ganz Europa deutlich geworden, in denen populistische ultrarechte Parteien an Boden gewannen. Gerade kürzlich erst wurde die Schweiz Zeuge des Siegs der Demokratischen Zentrumsunion in den Wahlen zum Bundesrat, und die Umfragewerte zeigen, dass Le Pen in Frankreich bei den kommenden Regionalwahlen gut abschneiden könnte.

Die politischen Führer Europas müssen ihren Wählern erklären, dass Immigration in ihrem langfristigen Interesse liegt. „Niemand hat uns je gefragt, ob wir sie [gemeint sind afrikanische Immigranten] hier haben wollen“, sagte ein Historiker über Immigranten in Frankreich. Viele Europäer wollen nicht, dass ihre Gesellschaft sich in einer Weise verändert, wie es die Immigration mit sich bringt, und ihr Wahlverhalten zugunsten ausländerfeindlicher Parteien soll den Politikern genau das zeigen.

Es ist nicht alles Gold was glänzt

Der „Bericht über die soziale Situation im Jahr 2002“, der jährlich von der Europäischen Kommission herausgegeben wird, hält allerdings daran fest, dass Einwanderung allein niemals die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung aufwiegen oder die europäischen Arbeitsmarktprobleme lösen kann. Er zeigt, dass selbst eine sofortige Verdoppelung der Immigration und der Geburtenrate alleine nicht geeignet sind, einen nennenswerten Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der Arbeitsmärkte und Rentensysteme bis zum Jahr 2050 zu leisten.

So sieht es auch die Kommissarin Anna Diamantopoulou: „Einwanderung wird uns helfen, einige Lücken auf unseren Arbeitsmärkten zu schließen, hat aber keinen Einfluß auf unsere grundlegende Richtlinie zur Arbeitsmarktpolitik: Wir brauchen immer noch radikale Reformen, mit Schwerpunkt auf einer größeren Beteiligung der Frauen und älteren Menschen, wenn wir unsere Arbeitsmärkte und Rentensysteme nachhaltig sichern wollen“. Auch die Forschungsgruppe der Deutschen Bank veröffentlichte im August einen Report. Demzufolge wird zwar der Migrantenstrom anschwellen und die Industriestaaten werden sich in Zukunft einen lebhaften Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter liefern. Dennoch aber können die Probleme, mit denen die sozialen Sicherungssysteme konfrontiert sind, nicht durch gesteuerte Migration alleine gelöst werden. Manche meinen, dass ein Ende des europäischen Wohlfahrtsstaates unumgänglich sei, um den Weg für strengere Gesetze, längere Arbeitszeiten und höhere Abgaben für die Rentenkassen frei zu machen. Möglicherweise auch für Veränderungen in der Familienpolitik: Eltern und Großeltern müssten dann im selben Haus leben, um so einen Teil der Ausgaben für ältere Menschen einzusparen.

Während die Geburtenraten in Europa stagnieren, steigen sie in Entwicklungsländern scheinbar unaufhaltsam an. Manche Analysten gehen davon aus, dass Migrantenfamilien in Europa die Geburtenraten steigern könnten. Allerdings neigen Migranten dazu, die Geburtenrate ihres neuen Heimatlandes anzunehmen, sobald sie einmal integriert sind. Daher müssen andere Maßnahmen wie Veränderungen des Renteneintrittsalters und des Rentensystems oder auch Maßnahmen zur Förderung der Mobilität innerhalb der EU ganz oben auf der EU-Agenda stehen - ebenso wie eine gemeinsame europäische Immigrationspolitik.

Translated from Room for More on Board?