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IGH: Italien darf nicht über Holocaust-Entschädigungen entscheiden

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Barbara Canton

Politik

Am 3. Februar entschied der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag mit 12 zu 3 Stimmen: Deutschland darf an ausländischen Gerichten nicht auf Entschädigung für im Zweiten Weltkrieg begangene Verbrechen verklagt werden. Der Streit begann im Jahr 2004. Damals hatte ein italienisches Gericht dem ehemaligen Zwangsarbeiter Luigi Ferrini im Namen Deutschlands eine Entschädigung zugesprochen.

Die Bundesregierung reichte Klage gegen das Urteil ein - und bekam jetzt Recht.

Die Reaktion der deutschen Medien auf den kürzlich verkündeten Beschluss des Internationalen Gerichtshofs (IGH) war knapp aber ausgewogen. Die meisten Tages- und Wochenzeitungen entschieden sich dafür, nicht zu kommentieren, sondern nur die Fakten wiederzugeben. Der Fall wird überwiegend als Bemühung zur Klarstellung bestimmter Grundsätze internationalen Rechts verstanden - nicht als allgemeingültiges Urteil über Entschädigungsansprüche für Verbrechen der Nazi-Zeit. Einige Zeitungen stellen angesichts des Urteils jedoch in Frage, ob Reparationszahlungen noch angemessen sind. Dabei hatte die deutsche Regierung vor dem IGH selbst argumentiert, dass eine von einem italienischen Gericht angebotene Entschädigung ihre eigenen Bemühungen zur Wiedergutmachung untergraben würde.

Villen-Politik

Wie die Überschrift (“Gerichtliche Immunität des Staates“) des Beschlusses des IGH nahelegt, wurde im Kern darüber verhandelt, ob es zulässig sei, an einem ausländischen Gericht ein Zivilverfahren gegen einen souveränen Staat einzuleiten. 2008 entschied der oberste Gerichtshof in Italien, der Corte di Cassazione, Deutschland müsse den Überlebenden des Massakers in dem toskanischen Dorf Civitella Reparationen zahlen. Deutsche Soldaten hatten dort 1944 mehr als 200 Menschen getötet - darunter Frauen und Kinder. Nach dem Richterspruch konfiszierte das Gericht eine Villa am Comer See, die sich in deutschem Besitz befand, sowie einen Teil der Einnahmen aus dem grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr. Der IGH wies diese Entscheidung zurück: Es handele sich dabei um eine Verletzung der Pflichten des italienischen Staates gegenüber Deutschland. Nun liegt es an der italienischen Regierung, sicherzustellen, dass die Justiz in Zukunft keine vergleichbaren Urteile fällt.

Sowohl im Portal der liberalen Zeit Online als auch im liberal-konservativen Tagesspiegel wird das Dilemma angesprochen, vor dem einige Opfergruppen noch immer stehen. Es würden nur die Ausländer als entschädigungsberechtigt gelten, die einer ‘für das Nazi-Regime typischen Verfolgung’ wie Deportation und Internierung in Konzentrationslagern ausgesetzt waren. Doch laut Zeit Online sind auch diese Bezüge niedrig, die Bemühung, überlebende Opfer zu entschädigen, gering. Das Entschädigungspaket für Holocaust-Überlebende aus dem Jahr 1952 sah im Durchschnitt rund 150 DM für jeden Monat in KZ-Gefangenschaft vor. Viele andere Gruppen wie Zwangsarbeiter und Opfer von Kriegsverbrechen sind von Deutschland nicht offiziell anerkannt und müssen auf eine politische Einigung warten, um eine Entschädigung zugesprochen zu bekommen.

Die Menschen hinter den Geschichten

Luigi Ferrini hat einen klärenden Richterspruch vor dem IGH beschleunigt  - darin sind sich die meisten Zeitungen einig. Doch kaum ein Medium nimmt sich Zeit, die Geschichte dieses Mannes zu erzählen.  Im August 1944 wurde Ferrini aus seiner Heimatstadt Talla nach Kahla in Thüringen gebracht. Hier wurde er zum Bau von Stollen gezwungen, die es ermöglichten, den weiterentwickelten deutschen Bomber Me 262 bei Tageslicht zu montieren. Beinahe 1.000 Arbeiter kamen durch Hunger oder die schlechten Arbeitsbedingungen ums Leben. Ferrini erkrankte schwer, überlebte jedoch und kehrte in die Toskana zurück. Mit 85 Jahren wartet er noch immer auf eine Entschädigung für das, was er damals erleiden musste.

Die interessanteste Perspektive auf das Urteil des IGH bietet Der Spiegel. „Deutschland verklagt Italien, gewinnt - und Verlierer Italien freut sich heimlich mit. Und viele weitere Regierungen in aller Welt atmen auf.“ Der Artikel deutet an, dass eine andere Entscheidung des IGH einer Flut von ähnlichen Klagen von Menschen in Libyen, Afghanistan oder auf dem Balkan Tür und Tor geöffnet hätte.

Die Meinung der Deutschen zur Frage der Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg scheint so weit auseinander zu klaffen wie eh und je. Ein Leser kommentierte auf der Internetseite der Zeit: „Ich muss mit 24 Jahren nicht mehr dafür büßen, was die Menschen ein knappes Jahrhundert vor mir getan haben. Wichtig ist, dass diese Fehler nicht wiederholt werden und dafür leiste ich meinen Beitrag als Lehrer für politische Bildung.“ Ein anderer warf die Frage auf, ob man nicht auch argumentieren könnte, man habe das Massaker von Karthago im Jahr 146 v. Chr. oder den Dreißigjährigen Krieg überlebt, und mit dieser Begründung Entschädigungen fordern könnte. Ein dritter Kommentator bezweifelte, ob man das heutige Deutschland wirklich als Nachfolger des Deutschen Reiches betrachten könne. „Die Alliierten haben dabei geholfen, die heutige Bundesrepublik Deutschland zu gründen und zu prägen. Wie Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte, ist Deutschland seit Ende des Kriegs kein vollständig souveräner Staat.“

Illustrationen: (cc)Chapendra/flickr

Translated from Germany legal immunity in nazi war crimes: national media reports