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Guéant geht um: Frankreich macht Schotten für ausländische Studenten dicht

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Katha Kloss

GesellschaftPolitik

Reiht sich die so genannte 'Circulaire Guéant', die für Frankreich extrem rufschädigend wirkt, in eine längerfristige Politik des Abschottens ein oder ist sie pure Strategie für die Präsidentschaftswahlen im kommenden April - auf Kosten ausländischer Studenten, die seit mehreren Monaten die Heimreise antreten müssen?

Wie kann man sich einen clandestin vorstellen? Eine Person, die sich laut Definition illegal in einem Land aufhält. Im Fall von Nabil Sebti trägt er ein dunkelblaues Sweatshirt der französischen Elite-Hochschule HEC, Jeans und Sneakers, spricht mehrere Sprachen fließend, hat gerade seinen Master absolviert und zwei Startup-Firmen in Frankreich gegründet. Und er hat jahrelang saftige Studiengebühren an einer der bekanntesten Business-Schools Europas bezahlt. Nur ein Schild um seinen Hals macht darauf aufmerksam, dass sich Nabil seit einem Monat illegal in Frankreich aufhält. In dem Land, das den jungen Marokkaner seit seiner Kindheit begleitete und in dem er seine Zukunft plante. In der Metro verzichtet der Absolvent neuerdings auf Kapuzenpullis – setzt auf Business-Look, Hemd und Jackett – um nicht erwischt zu werden…

Codename: „Circulaire der Schande“

Der 25-Jährige ist eines der Opfer der so genannten Circulaire Guéant [Guéant-Rundschreiben], die am 31. Mai 2011 vom gleichnamigen französischen Innenminister – abgesegnet vom Arbeitsminister Xavier Betrand - an alle Präfekturen in Frankreich verschickt wurde. Die offizielle Mission des Ministeriums? 'Die Prozedur zur Änderung des Aufenthaltsstatus (Studentenvisa zu Arbeitsvisa für Nicht-EU-Bürger) soll einer stärkeren Kontrolle unterzogen werden'. Übersetzung: Mehr Ablehnungsstempel unter den Anträgen für Arbeitsvisa ausländischer Absolventen, damit die jährliche Anzahl legaler Einwanderer (200.000 in Frankreich) bis Ende des Jahres um 10% sinkt. Frankreich schiebt also seit geraumer Zeit ausländische Hochschulabsolventen ab, nur damit der konservative Wählerflügel rechts außen zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 nicht zu Front National-Erbin Marine Le Pen überläuft. Diese Wahlstrategie ist nicht neu. Und die ca. 300 Studenten, die an diesem 12. November zum Protest zur Metrostation Varenne gekommen sind, wissen, dass man ihre Zukunft für eine Handvoll Wählerstimmen in den Flieger ohne Rückfahrkarte setzt.

 „Ich bin mit den Idealen der französischen Republik groß geworden. Seit Beginn trichtert man uns die Legende der ‘égalité, fraternité, liberté’ ein“ so Nabil. (Foto ©Davide Riccardo Weber)Gemeinsam mit anderen Betroffenen hat Nabil aus diesem Grund das Collectif du 31 Mai gegründet, das die Rücknahme des Rundschreibens fordert. Politiker aus allen Lagern, Präsidenten vieler Hochschulen und Unternehmen wie L’Oréal oder Ernst & Young, die auf die vielseitigen internationalen Profile setzen, haben sich der Bewegung gegen diese absurde Entscheidung des Innenministeriums angeschlossen. „Selbst innerhalb des konservativen Lagers sind mehr gegen als für das Rundschreiben“, empört sich Nabil. Mittlerweile hat sich sogar der Senat eingeschaltet und fordert die Aufhebung der Circulaire. „Um Himmels Willen, bitten Sie Guéant darum, sein Rundschreiben zurückzuziehen“, fordert auch der ehemalige Bildungsminister Jack Lang auf France 2.

Neues Stigma in Europa: Der „marokkanische Ingenieur“

Zur Demo in Paris ertönen Sprechchöre der Indésirables – der Unerwünschten: „Guéant si tu savais, ta circulaire où on se la met“ [Guéant, wenn Du wüsstest, wo wir uns dein Rundschreiben hinstecken]. Nabil trägt eine rote Armbinde mit einem großen weißen C darauf. Auf den Schildern der anderen Absolventen liest man '2 Monate', manchmal '4 oder 5 Monate'. Es ist die Zeit, die noch bleibt, um Antwort von seiner verantwortlichen Präfektur zu erhalten. Nach legal 6 Monaten heißt es ansonsten für die ausländische Elite Frankreichs die Rückreise in die Heimat anzutreten. Studiert – diplomiert – abgeschoben! Die europäische Familie habe neben dem „polnischen Klempner“ nunmehr einen neuen Sündenbock gefunden: den „marokkanischen Ingenieur“, beschreibt Omar Saghi, Professor an der Fakultät Sciences Po, die Stigmatisierung im Lande Sarkozy in der französischen Tageszeitung Libération.

La France aux Français – Frankreich den Franzosen

Dass Frankreich - seit Nicolas Sarkozy am Ruder ist - nationalistische Töne anschlägt, ist bekannt. Seit mehreren Jahren, in denen ein Identitätsministerium eingerichtet, rumänische EU-Bürger rückgeführt und die Freizügigkeit in Europa in Frage gestellt wurden, wird die Errichtung einer Festung Frankreich immer deutlicher. Nun werden neuerdings ausländischen Elitestudenten Steine in den Weg gelegt. Und das, obwohl es in Frankreich an Ingenieuren mangelt.

Auch im Ausland macht sich Frankreich mit seiner kurzfristigen Abschottungspolitik keine Freunde. China habe laut eines Unidirektors, so erklärt Nabil, bereits damit gedroht, seine Internationalen Volontariatsprogramme (VIE) für Franzosen zu sperren. In Europa habe kein anderes Land in der letzten Zeit ähnlich scharfe Maßnahmen erlassen, so Nabil. Ausgenommen Großbritannien, wo Immigrationsminister Damian Green im April neue Visa-Restriktionen für Studenten auf den Weg brachte. In Deutschland, wo sich der Fachkräftemangel bereits bemerkbar macht, wurde die Arbeitszuwanderungspolitik im Juni dieses Jahres sogar gelockert. Allerdings zunächst nur für Ärzte und Ingenieure.

Der französische Innenminister Claude Guéant ließ im Mai 2011 verlauten, dass Frankreich „im Gegenteil zur umgehenden Legende, keine Talente und Kompetenzen von Einwanderern“ brauche. (Foto ©Davide Riccardo Weber)

Der 23-jährige Ndew Ndour aus Senegal will trotzdem abwarten. Dem Informatiker bleiben offiziell zwei Monate. Unter der Hand habe ihm seine Präfektur aber zu verstehen gegeben, dass sich die Lage nach den Wahlen lockern werde. Martin LeCap von der Hochschule in Troyes, Informatiker aus Kamerun, wird unfreiwillig zum Langzeitstudenten. Er muss sich nach 5 Jahren Studium und trotz eines Arbeitsvertrags erneut einschreiben. Eine 24-jährige Kamerunerin, die anonym bleiben möchte, ist sich sicher, dass Dossiers absichtlich 6 Monate zurückgehalten werden. Sie bereitet sich - wie 300 Studenten schon vor ihr - auf die Rückkehr vor. Und Nabil? „Es ist traurig zu sehen, dass ich durch meine Medienpräsenz keine Probleme bekomme. Aber ich werde gehen. Aus Prinzip! Die Circulaire hat mir alles genommen, meine Firmen habe ich dicht gemacht. Meine finanziellen Ressourcen gehen gegen null. Dieses Rundschreiben tastet unsere Würde an. Sie schadet Unternehmen, Bildungsinstituten und dem Ruf Frankreichs. In 15 Jahren, wenn ich vielleicht irgendwo am Hebel sitze und mit Frankreich zu tun haben werde, dann kommt diese Geschichte hundertprozentig wieder hoch.“

Illustrationen: Alle Fotos ©Davide Riccardo Weber; Video: (cc)cafebabel.com/YouTube

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