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Für eine europäische Verfassung, einen gesamteuropäischen Volksentscheid

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Default profile picture gundula schiffer

Europa und seine Bürger müssen wieder eins werden. Wenn man an die Demokratie glaubt, muss man sich für den Volksentscheid entscheiden. Und damit auch für das Volk.

Die Regierungskonferenz zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung – die am 4. Oktober mit ihren Arbeiten beginnt, um bestenfalls schon im Dezember zu Ende gehen zu können – wird die Ziele der Parlamentarier und Vertreter der Bürgergemeinschaft mit denen der Regierungen vereinbaren müssen. Auf diese Weise schreibt sie die umständliche Realpolitik in das Kernstück des Gründungsdokuments eines neuen Europas ein. Sicherlich hat das Abkommen nach und nach Elemente der Regierungsvertretungen übernommen, um im Frühling in eine Art inoffizielle Regierungskonferenz übergehen zu können. Die wiederholten Reisen von Valery Giscard d`Estaing in die europäischen Hauptstädte glichen dementsprechend einer Truppenbesichtigung, während der die politischen Leitlinien der jeweiligen Regierungen zutage traten.

Natürlich versammeln sich in der Regierungskonferenz Staats- und Regierungschefs, die in einer allgemeinen Wahl von den europäischen Völkern gewählt wurden. Damit stützt sie sich auf eine bestimmte Form der Demokratie: die repräsentative. Und natürlich ist die Demokratie auch ein ermüdendes System, das, wie schon Rousseau wusste, für Götter gemacht wurde und dessen politische Debatten das Volk in seiner Weisheit oft überhört. Aber sind das wirklich Gründe genug, sich Europa nicht mit tatkräftigem Elan vorzustellen? Warum soll es kein Europa geben, das an sich selbst arbeitet und sich aus der allgemeinen Überzeugung nährt, dass jeder Einzelne ein unverzichtbarer Teil des Ganzen ist?

Politik und Bürger in Einklang bringen

Die Idee des Volksentscheides, jenseits aller Meinungsverschiedenheiten, Falschinformatio-nen und Kritiken von juristischer Seite, weist der Politik überdies wieder einen Ort zu, an dem man sie nicht mehr vermutet hätte: den Kernbereich unmittelbaren Einwirkens. In diesem für Europa entscheidenden Augenblick gilt es, Politik und Handeln, Politik und Bürger wieder in Einklang zu bringen. Der gesamteuropäische Volksentscheid, eine Bitte um Zustimmung, die ganz Europa und all seine Bürger umfasst, könnte das ermöglichen, was man «die demokrati-sche Legitimität» zu nennen pflegt. Diese wurde viel zu oft vergessen – von einer allzu vergesslichen politischen Elite.

Der Volksentscheid ist, zusammen mit dem Bürgerveto, eine Möglichkeit für das Volk zu widerrufen und die Initiative zu ergreifen, und damit auch das grundlegende Medium einer halb-direkten Demokratie. Verfassungsgemäß, gesetzgebend oder beratend, ermöglicht er, dass «jeder, obwohl er sich mit allen verbindet, dennoch nur sich selbst folgt und genauso frei bleibt wie zuvor». Auch wenn er noch so oft politisch vereinnahmt und mit Falschinformationen genährt wurde, bezieht er die Politik doch mehr auf den Menschen zurück. Der Volkentscheid ist außerdem, vom Plebiszit weit entfernt, die höchste Entscheidungsinstanz. Dies zeigen die Schwierigkeiten der französischen Regierung, die negativen Resultate der beratenden Volksentscheide in Bezug auf Korsika und die EDF (Electricité de la France) zu übergehen, deutlich. Diese Tatsache, ebenso wie die Notwendigkeit das mehr oder weniger hypothetische «demokratische Defizit» zu beheben, hat zahlreiche Konventsmitglieder ermutigt, die Petition für den gesamteuropäischen Volksentscheid, wie er von demokratischen Organisationen aus 22 europäischen Ländern beantragt wurde, zu unterschreiben.

«Wir verlieren die Unabhängigkeit und die Freiheit»

Dieser Antrag, in dem alle politischen Richtungen versammelt sind (Alain Lamassoure – Christdemokrat, Jürgen Meyer – Sozialdemokrat, John Gormley – Green Party, Lone Dybkjae – Liberaldemokrat) und der die Meinungen von zehn europäischen NGO’s berücksichtigt (wie etwa Civic participation society, June Movement, Démocratieplus), wurde im Europäischen Parlament von Othmar Karas in Übereinstimmung mit Artikel 51 des Vertrags vorgestellt. Der Antrag hat lückenhaft die Errungenschaften und die symbolische Wirkung eines solchen Unternehmens in Erinnerung gerufen: «die europäischen Bürger für die Aufga-ben der Europäischen Union zu sensibilisieren», maximale Zustimmung und Teilnahme, Demokratisierung und Nähe, Transparenz und «Europäisierung der nationalen Politik und nationalen Beratungen».

Und er trifft ins Schwarze, dieser Antrag! Die Demokratie ist ein fundamental instabiles System, das es in einer historischen Dialektik fortgeschrittener Freiheiten immer wieder neu zu legitimieren gilt. Die Regierungen werden dennoch die «Dilemmata» vorschieben, die von innenpolitischen Vorgaben bestimmt werden: die Deformation der europäischen Vorhaben durch die Nationen, das Risiko, dass ein Land mit „Nein“ stimmen könnte, die juristischen Schwierigkeiten. Und wenn sie auch Recht damit haben, diese Probleme aufzuwerfen, dann ist es doch nicht richtig, diese nicht auch zu lösen.

Tatsächlich könnten die zeitgleich statt findenden europäischen Wahlen die Diskussion eher auf die Ebene der politischen Persönlichkeiten als auf die genannten Fragen lenken. Auch verfügen etwa Deutschland, Griechenland und Portugal nicht über die verfassungsgemäßen Volksentscheide (seien sie obligatorisch oder fakultativ), ja verbieten sie sogar. Der fakultative Volksentscheid ist nur in einigen europäischen Verfassungen vorgesehen (etwa der griechischen und spanischen Verfassung), während die polnische Verfassung im Falle einer Ablehnung eine Wartezeit von 4 Jahren vorsieht. Und natürlich ist es auch richtig, dass ein europäisches Informationsnetz, das genauso fest verankert wäre wie die nationalen Medien, nicht existiert und sich Falschinformationen deshalb durch Zeitungen wie die Times breit machen können. Diese zögerte nicht, die Behauptung aufzustellen, dass «es die deutsche Verfassung sein wird, die sich schließlich durchsetzen wird. Wir werden das Modell Bismarck anstelle des Modells Napoléon bekommen. Wir werden die britische Verfassung verlieren. Wir werden unsere Unabhängigkeit und Freiheit verlieren.» (The Times, 14. März)

Aber: auch wenn man keine Utopien verbreiten oder diese Probleme klein reden will, kann man diese Hindernisse überwinden. Und das ist auch notwendig. Die Demokratie findet nämlich in jedem einzelnen von uns ihr Spiegelbild wieder. Sie stellt uns Fragen, prüft unsere Ideen und nährt den Humus derjenigen Gedanken, die uns lebendig machen. Man kann deshalb den beratenden Volksentscheid schon jetzt durchführen, auch wenn dies die Rechtslage noch nicht vorsieht: Italien hat 1989 von diesem Verfahren in der Frage der Zuteilung von verfassungsgebenden Gewalten an das Europäische Parlament Gebrauch gemacht.

Die Verfassungen werden von den Völkern unterschrieben, die Verträge von den Regierun-gen

Der Volksentscheid muss nicht am selben Tag wie die Parlamentswahlen festgesetzt und so zu einer Abstimmung erhoben werden, in der man den nationalen Regierungen das Misstrauen ausspricht. Dennoch kann er, wenn er an ein und demselben Tag stattfindet und zu ein und derselben Stunde stattfindet einen heilsamen Schock hervorrufen. Wenn die herkömmliche Methode der gemeinsamen Entscheidungsfindung an ihre Grenzen stößt, kann eine solche «Abstimmung mit den Füßen» daran erinnern, dass sich die «europäische Demokratie» nicht von selbst, sondern dank der «europäischen Völker», schafft.

Die Organisation eines solchen juristisch nicht zwingenden Volksentscheids, der eine Mehrheit sowohl der Staaten (2/3 der Staaten) als auch der Bürger (60 % der Bevölkerung) erfordert, untergräbt nicht die Notwendigkeit, zusätzlich eine nationalen Volksentscheid anzuhalten, damit jedes Land seine Wahl bestätigen und in der Europäischen Union bleiben kann.

Auf diese Weise fasst der Bericht der europäischen NGO IRI Europe die Vorteile eines Volksentscheides zusammen: Das Wort „Demokratie“ könnte wieder im Munde geführt werden, die Unterstützung der Bürger für den europäischen Integrationsprozess würde wachsen, Ziele von Bürgern und Regierungen könnten wieder in Einklang gebracht werden, die Einwohner der Länder könnten sich wieder mehr mit ihren Eliten identifizieren, die Kommunikation zwischen beiden Schichten würde sich verbessern - wenn die Verfassungen von den Völkern unterschrieben werden und die Verträge von den Regierungen.

Der Volksentscheid führt zurück zur Frage nach dem Wesen der Demokratie und nach dem Glauben, den man in den Menschen setzen kann. Wenn auch die Menschen keine Götter sind, so können sie sich doch eine gewisse Vernunft zu eigen machen und sich weniger vom Phlegma des Nichthandelns leiten lassen, wenn sie sich denn am Aufbau ihrer Zukunft beteiligen wollen und können. Die Politik hat Zukunft. Der politische Wille ist eine Entscheidung: entscheiden wir uns für ihn.

Translated from Pour une Constitution européenne, un référendum paneuropéen.