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Französische Vorstädte: Mit Rap zur Wahlurne

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Story by

Katha Kloss

ORIENT EXPRESS REPORTER tripled

Das Image französischer Vorstädte ist immer noch in die Bilder der Krawalle von 2005 gegossen. Deshalb will der Verein ACLEFEU, der die Stimmen berühmter französischer Rapper für eine Kampagne zu den letzten französischen Präsidentschaftswahlen gewinnen konnte, Feuer löschen und gegen die Politikverdrossenheit Jugendlicher in der Banlieue kämpfen.

“Le vote est une arme”, lautet ihr musikalisches Motto.

„Eure Stimme ist eine Waffe. Leert das Magazin in der Wahlurne“, sagt Moderator Nima mit unbewegter Miene in die Kamera. Er ist eine der französischen Berühmtheiten, die dem Aufruf des Vereins ACLEFEU (ausgesprochen „assez le feu“ – „Löscht das Feuer!“) gefolgt sind und eine Videobotschaft an die Jugendlichen in den Banlieues in ganz Frankreich verfasst haben. Ihr Motto: „Je vote pour une politique choisie et non subie! – Ich wähle eine Politik, die ich mir aussuche; keine, die ich ertragen muss.“

Mohamed Mechmache, Initiator der Kampagne, spricht so schnell und abgehakt wie das erwähnte Gewehr. Man kann sich vorstellen, wie er auf die Künstler eingeredet hat, um sie für sein Anliegen zu begeistern. „Die Präsidentschaftswahlen 2012 waren bestimmend für die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie sollten nicht ohne die Stimmen aus den Vororten gemacht werden. Jugendliche in Clichy-sous-Bois fühlen sich von den Politikern vergessen und schon gar nicht in irgendeiner Art und Weise repräsentiert.“ Die meist gestellte Frage der Jugendlichen lautet: „Wieso sollte ich überhaupt wählen gehen?“ Das nötige Vertrauen – credibility – hätten sie jedoch in Künstler, Rapper, Schauspieler oder Musiker, die durch ihre Texte ein Sprachrohr sein können. Schauspieler Jamel Debbouze, Rapper La Fouine, Slammer Grand Corps Malade, Kamelancien, Wahid, François Durpaire, die Rapperin Black Barbie, Jean-Claude Tchicaya oder Kamel Le Magicien setzen sich im Videoclip von ACLEFEU dafür ein.

SambaSamba, 24 Jahre und Journalist, sammelt auf seiner persönlichen Seite des partizipativen Magazins zum Thema Vorstädte, streetpress.com, alle möglichen Informationen zum französischen Rap. Dicke weiße Kopfhörer und ein Beutel, auf dem zwei Lautsprecherboxen zu sehen sind, sind seine unübersehbaren Erkennungsmerkmale. Ihm gefällt französischer Rap, weil er so vielfältig ist. Die Themen, politisch engagiert oder eben auch nicht, die Sprache, direkt oder poetisch, der Sound, afrikanisch, klassisch oder auch rockig. „So ein Einfallsreichtum, der hinter der Musik steht!“ schwärmt der kleine, introvertierte Mann im Jardin de Luxembourg.

Samba

Eine Vielfalt, die in Frankreich noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen wäre. Gleich zu Beginn des Treffens gebe ich zu, vom französischen Rap nur MC Solaar und IAM zu kennen – Samba lacht. „Da bist du nicht die Einzige, die meisten Franzosen kennen eigentlich nur die beiden Rapper, vielleicht noch NTM. Sie waren in den 90er Jahren am meisten in den Medien, aber auch Wegbereiter für den Rap, der aus den Vereinigten Staaten nach Frankreich kam.“

Pariser Luxusviertel: Keinen Schimmer von Oxmo Puccino, Mafia K’1Fry oder Médine

Hingen zu dieser Zeit die Poster von MC Solaar und IAM auch in den Jugendzimmern der weißen französischen Mittelschicht, so hätten sich der Rap und die Franzosen nun auseinandergelebt, was vor allem mit der voranschreitenden Segregation der französischen Gesellschaft zu tun hätte, sagt Samba. Hier die tristen Vorstädte – dort die Luxusviertel in Paris, wo die Bewohner kaum etwas mit Namen wie Oxmo Puccino, Mafia K’1Fry oder Médine anfangen können. Stattdessen wird am Bild des kriminellen, Drogen handelnden, rappenden Gangsters festgehalten, von denen man die „cités“, die Vorstädte „mit einem Kärcher reinigen“ müsse, wie es Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2006 formulierte.

Wenn ein Rapper wie Abd al Malik in den Medien erscheint und sogar 2008 vom Kulturminister zum „Chevalier des Arts et des Lettres“ gekürt wird, dann, weil er als „ein herausragender Vertreter der Hiphop-Kultur, der einen bewussten und brüderlichen Rap predigt“ angesehen wird, wie die damalige Kulturministerin Christine Albanel in ihrer Laudatio sagte. Anpassung ist das Zauberwort: Vom rappenden Gangster zum angepassten Künstler, der an die Einigkeit der französischen Nation appelliert – das findet öffentliche Zustimmung. Kritik an geheuchelten Wahlversprechen möchte hingegen niemand hören.

Abd Al Malik rappt dazu in seinem Song „Celine“ „Mais voilà l’art véritable oblige à être responsable / Être rappeur c’est la classe / Ça parle aux gens, ça parle des gens / Alors on a pas le droit de jouer un personnage / Question de principe on doit jamais oublier d‘où l’on vient / Question poétique l’art ne doit jamais être mesquin“ | « Die tatsächliche Kunst zwingt dich verantwortlich zu handeln/ Rapper zu sein hat Klasse/ Das spricht den Leuten ins Gewissen, spricht über die Leute/ Deshalb hat man nicht das Recht, nur eine Figur zu spielen/ Das ist eine Frage des Prinzips, man sollte nie vergessen, woher man kommt/ Poetische Frage, die Kunst darf niemals spießig sein.“

Politainment

Samba hat auch kritische Worte parat. Denn das vorgebliche politische Engagement der Rapper kann auch einfach ein billiger Marketingtrick sein, um Aufmerksamkeit auf die neue Platte zu lenken. Wenn sich Politik und Kunst zu sehr vermischen, besteht die Gefahr, dass Künstler als Stellvertreter für „ihre“ banlieue gesehen werden, ihre Texte für bare Münze genommen und die künstlerische Freiheit ignoriert wird.

Almamy Kanouté Auch Almamy Kanouté hat einen Gastauftritt im Videoclip von ACLEFEU. Als ich ihn am Bahnhof von Antony, einem Pariser Vorort im Süden, treffe, ist er damit beschäftigt, jeden Jugendlichen, die sich vor dem Bahnhof die Zeit vertreiben, per Handschlag und mit Namen zu begrüßen und nach dem Wohlergehen der Familie zu fragen. Almamy ist Jugendarbeiter und traut dem Rap zu, an das politische Verhalten der Jugendlichen zu appellieren. Wie durch „ein(en) Lautsprecher, der viele Menschen auf einmal erreicht, drücken Künstler komplexe Sachverhalte viel klarer und einfacher aus.“

Almamy Kanouté | Kandidat für die französischen Legislativwahlen 2012

Rap als Mittel, um zivilgesellschaftliches Engagement voranzutreiben?

Almamy Kanouté überlegt, nickt und fügt hinzu, dass politische Bildung trotz allem nicht freiwillig für die Jugendlichen sein dürfte. Solange die Jugendlichen etwas mit ihrer politischen Umgebung anfangen können, würde keine Gefahr bestehen, dass sie extreme Parteien attraktiv finden. Er persönlich habe bei den Präsidentschaftswahlen aber einen ungültigen Stimmzettel abgegeben, denn eigentlich fehlte ihm ein guter Kandidat. „Es ist schon blöd, wenn man den Jugendlichen ins Gewissen redet, dass sie sich über alle Kandidaten informieren sollen und sie dann feststellen müssen, dass kein Kandidat wirklich ihre Belange repräsentiert.“

Andererseits kann genau dieser Umstand auch dazu führen, dass sich Rapper wie Zoxea zunehmend politisch engagieren: „Seit 30 Jahren haben wir keinen geeigneten Politiker an der Macht. Deswegen nähere ich mich bei jeder Wahl durch meine Musik an den Kandidaten an, der uns am besten repräsentiert”, schreibt er per E-Mail. “Ein Rapper kann seine Message mit seiner Musik viel leichter an einen Jugendlichen weitergeben – und die Musik macht doch alles etwas einfacher und schöner, oder?“

(Illustrationen: Teaser bild ©abdalmalik.fr, Samba ©persönliche Streetpress-Seite von Samba, Almamy Kanoute ©almamykanoute.blogspot.fr; Video ACLEFEU (cc)ACLEFEU/YouTube; Abd al Malik (cc)davplesse/YouTube)

Text von Christiane Lötsch

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