
Film 'The Lunchbox': Curry und Leinwandlieben
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Lilian PithanWer denkt, indisches Kino bedeute nur Glitzer und nackte Haut, sollte einmal tiefer in seine Lunchbox schauen. Der gleichnamige Film des indischen Regisseurs Ritesh Batra wartet aber nicht nur mit sanften Bildern und einer poetischen Liebesgeschichte auf. The Lunchbox (2013) markiert vor allem den Beginn einer zaghaft aufkeimenden Liebe zwischen dem indischen und dem europäischen Kino.
Noch schnell etwas Chili übers Gemüse streuen, die Linsen umrühren und das chapatti (Brotfladen) auf der Gasflamme wenden. Ila (Nimrat Kaur) braucht nicht einmal eine Minute, um das Mittagessen für ihren Mann Rajiv in die dabba, die metallische indische Version einer Lunchbox, zu packen, sie in einen Stoffbeutel zu stecken, ihr Haar zu richten und zur Tür zu eilen. Vor der wartet auch schon der dabbawalla ihres Viertels, einer von knapp 5.000 Männern in Mumbai, deren tägliches Geschäft darin besteht, 200.000 Lunchboxen aus der ganzen Stadt per Fahrrad, Rickshaw, Bus und Bahn in die Bürogebäude im Zentrum zu bringen. Eine indische Tradition: statt Restaurantfraß liebevoll zubereitetes Essen von der eigenen Mutter, Schwester oder Frau.
Doch es gibt ein Problem: Rajiv ist Ilas Essen ziemlich egal und Ila noch dazu. Sie gibt sich immer mehr Mühe, aber als ihr ein Gericht einmal besonders gut geglückt ist, liefert der dabbawalla die Lunchbox nicht an ihren Mann, sondern an Saajan Fernandez (Irrfan Khan) – ein einsamer Witwer kurz vor der Rente, der weder Freunde noch Lebensfreude zu kennen scheint. Durch Ilas mal scharfe, mal salzige Curries aus der Alltagslethargie gerissen, beginnt das ungleiche Paar, sich mithilfe der Lunchbox Briefe zu schreiben. Immer näher kommen sich die beiden dabei, bis sie schließlich den Plan aushecken, gemeinsam nach Bhutan durchzubrennen. Aber wohin soll diese Lunchbox-Liebe zwischen einem verwitweten Frührentner und einer jungen, verheirateten Frau führen?
Was leicht ins Zuckrige hätte abgleiten können, bleibt dank Ritesh Batra, der auch das Drehbuch von The Lunchbox (Originaltitel „dabba“; AdR) geschrieben hat, immer in einer zaghaften Schwebe zwischen Alltag und großen Gefühlen, Familienbanden und unkonventioneller Liebe. Bunte Paillettensaris, wilde Tanzeinlagen und schmalzige Liebesszenen, wie man sie sonst aus Bollywood-Filmen kennt, haben in Batras Film genauso wenig Platz wie folkloristischer Indienklimbim à la Darjeeling Limited (2007) oder dunkle Bilder von Armut und Gewalt à la Slumdog Millionaire (2008). Ila und Saajan gehören beide zur Mittelschicht von Mumbai, leben ein unaufgeregtes Leben zwischen Arbeit und Familie, sind nicht besonders glücklich und entdecken in der Lunchbox plötzlich einen Ausweg aus dem Einerlei. Ebenso ruhig wie die Geschichte ist auch die Bildersprache des Films: Wenn Saajan im Büro sitzt oder Ila in der Küche hantiert, herrschen gedeckte Farben und leise Töne vor.
Neben den großartigen Hauptdarstellern Nimrat Kaur und Irrfahn Khan, der auch aus Hollywood-Filmen wie The Amazing Spider-Man (2012) und Life of Pi (2012) bekannt ist, sind Mumbais dabbawallas die heimlichen Stars des Films. Das 1880 eingerichtete Lunchbox-System gilt nicht zu Unrecht als eines der ausgefeiltesten logistischen Unternehmungen des 21. Jh.s. Viele der dabbawallas können aber gar nicht oder nur schlecht lesen. Daher werden die Lunchboxen mithilfe von alphanumerischen Zeichen und Farbcodes gekennzeichnet, damit Absender und Empfänger eindeutig festgestellt werden können. Glaubt man dem urbanen Mythos, ist die Fehlerrate dabei unglaublich gering: Die dabbawallas lieferten nur eine von acht Millionen Lunchboxen falsch aus.
Mehr als kreischend buntes bollywood-kino
Ritesh Batra, selbst aus Mumbai, wollte eigentlich einen Dokumentarfilm über die umtriebigen dabbawallas drehen, entschied sich dann aber doch für den Spielfilm. Die stille Leichtigkeit seines Films hat dabei sowohl indische Kinogänger, als auch europäische Filmproduzenten und -kritiker überzeugt: The Lunchbox wurde nicht nur von mehreren Bollywood-Firmen produziert, sondern konnte als indisch-französisch-deutsch-amerikanische Koproduktion ebenfalls auf die Unterstützung von Asap Films, dem Centre National du Cinéma und arte France Cinéma in Frankreich, rohfilm und dem Medienboard Berlin-Brandenburg in Deutschland und Cine Mosaic in den USA zählen.
Auch die Filmkritiker Europas zeigten sich angetan. Nach einer besonderen Ehrung durch die Jury des internationalen Filmfestivals Cinemart in Rotterdam war Batra 2012 mit seinem Drehbuch beim Berlinale Talent Project Market und dem Torino Film Lab dabei und wurde dieses Jahr beim Filmfestival in Cannes mit dem Grand Rail d'or (Publikumspreis der Kritikerwoche; AdR) ausgezeichnet. Die Oscar-Nominierung als bester ausländischer Film hat The Lunchbox knapp verpasst, was einen wütenden Aufschrei in der indischen und internationalen Presse zur Folge hatte. Doch auch wenn nicht alles glatt läuft, hat Ritesh Batra schon jetzt viel Bewegung in die europäisch-indische Filmliebschaft gebracht.
Und das kann für beide Seiten nur von Vorteil sein: Besonders in Europa schadet es nicht, auch einmal einen Blick auf das Indien abseits von Glamour, Finanzmagnaten und religiös-motivierter Gewalt zu werfen und sich stattdessen auf die Erzählung einer gänzlich undramatischen Liebe einzulassen. Wenn man sich an Besucherzahlen orientieren darf, sind europäische Kinogänger jedenfalls auf dem besten Weg, indische Curries zu ihrem neuen Lieblingsgericht zu erklären.
Translated from Film 'The Lunchbox': Curries and Screen Loves