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Félix Marquardt : Zieht Leine, Franzosen!

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Gesellschaft

Vor fast 2 Jahren entdeckte ihn Frankreich dank des Manifests „Barrez-vous“ („Zieht Leine“), zu dessen Unterzeichnern er zählt. Nach ein paar Monaten Sendepause ist Félix Marquardt jetzt zurück: In einem New York Times-Artikel bekräftigt er, die Zukunft der französischen Jugend läge nicht in Frankreich, sondern anderswo. Ein Treffen.

Es ist allgemein bekannt, aber es macht doch immer wieder Freude, es zu sagen: den Franzosen geht es schlecht. Sehr schlecht. Nur sind es diesmal nicht die Franzosen selbst, die verzweifelt versuchen, das zu verstecken. Diesmal sagt es die New York Times, klipp und klar. In einem Artikel mit dem Titel „Goodbye Old World, Bonjour Tristesse“ stellt die Zeitung fest, die Frenchies hätten „nicht mal mehr die Energie, unhöflich zu sein“ und ihre Langeweile sei „nicht mehr cool, seit sie angefangen hätten, elektronische Zigaretten zu rauchen“.

Frankreichs Jugend: die Koffer sind gepackt

Ob nun zu recht oder nicht – in den USA scheint „Frankreich-Bashing“ gerade in der Mode zu sein und alles, was nur im Entferntesten Französisch aussieht, wird gnadenlos heruntergeputzt. Letzte Woche veröffentlichte die New York Times jedenfalls einen Meinungsartikel von Félix Marquardt mit dem Titel „The Best Hope for France’s Young? Get Out“. Der internationale Berater schwelgt darin regelrecht in seiner Liebe zur Auswanderung – raus aus dem Land der Ewiggestrigen, die immer noch glauben, sie fänden ihr Glück in ihrem Heimatland. Hinter diesen Worten steht ein Eingeständnis: „einem Land, das ein Viertel seiner Jugend im Stich lässt, geht es nicht gut“. Das erklärte Ziel von Félix ist es, die Politiker zu erreichen. Die nehmen die hohe Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 25% bei den 18 bis 25-Jährigen seit 30 Jahren einfach „tatenlos“ hin. Die Idee für den New York Times-Artikel kam Marquardt übrigens im Fernsehsessel, als sich der französische Präsident François Hollande in einer TV-Show ganz niedergeschlagen zeigte, als eine Studentin einer Elitehochschule ihm ihren Wunsch vortrug, nach Australien auszuwandern.

Es ist nicht das erste Mal, dass Félix zum Stift greift. Im September 2012, am ersten Schultag nach den Sommerferien, veröffentlichte er einen Text in der französischen Zeitung Liberation - gemeinsam mit dem Rapper Mokless und dem Fernsehmoderatoren Mouloud Achour. Ihr Alarmruf mit dem Titel „Jeunes de France, votre salut est ailleurs: Barrez-vous“ (in etwa: „Jugend Frankreichs, eure Zukunft ist anderswo: Zieht Leine“) sorgte für einen wahren Medienrummel. In der Folge fand sich Marquardt als ständiger Talkshow-Gast wieder und plauderte 3 Monate lang nur übers „Leine ziehen“, um den Lebensstandard im Ausland zu verbessern. „Was ich sagen will ist, dass Frankreich das Potential der Jungen nicht verdient“, sagte er ruhig.

Zum Interviewtermin lädt Félix Marquardt in das majestätische Büro seines Consulting-Unternehmens Marquardt & Marquardt, mitten im schicken 8. Arrondissement von Paris. Zu seinem Maßanzug mit geknöpfter Weste und den feinen Socken trägt der Mittdreißiger, der an den österreichischen Schauspieler Gedeon Burkhard erinnert, Sportschuhe. Er duzt direkt, lässt noch etwas auf sich warten - „Ich rauch noch eine, wenn du nichts dagegen hast“ – und kommt dann zurück, lässt sich mit überkreuzten Beinen im antiken Sessel nieder und stützt das Kinn auf die gefalteten Hände. Der Rest ist Routine. Kaum ist das Diktiergerät eingeschaltet, wird Félix zum Redner: er sucht seine Worte mit Blicken auf den Boden und an die Decke und jongliert mit perfekten Sätzen, die nach seinem Eau de Cologne duften. Seine Worte mögen vorgekaut wirken und wie am Schnürchen daherkommen – fest steht, dass sie gefallen. Unzählige Medien berichteten auch im Ausland über „Barrez-vous“: das ZDF, das Wall Street-Journal, Reuters, das kroatische Fernsehen, selbst chinesische und koreanische Medien... Für Félix ist das der Beweis dafür, dass die Jugend verstanden hat: es muss doch noch mehr drin sein. Anderswo.

Anderswo, aber bitte nicht irgendwo

Wenn Marquardt so viel daran setzt, sein Anliegen zu verteidigen, liegt das auch daran, dass er selbst auf der internationalen Bühne bestens bewandert ist. Geschäftlich ist er ständig auf Achse. Aber nicht irgendwo: in Georgien, Nigeria, Kasachstan. Denn hinter seiner Aufforderung, Leine zu ziehen, steht eine ganz bestimmte Sicht auf die Welt. Zwischen den Zeilen des Manifests von „Barrez-vous“ stößt man auf Ausdrücke wie „die neue Balance der Welt“, „globale Kommunikation“ oder „Paradigmenwechsel“. Worte, die sich nach Davos anhören und wie mechanisch aus dem Mund des Interviewten kommen. Der findet Vergnügen daran, auswendig gelernte Phrasen zu Ludwig dem XVI. und dem Dritten Stand abzuspulen, nur um zu zeigen: Im Westen haben wir die Krise, aber in den Entwicklungsländern läuft alles hundertmal besser. Also „Zieht Leine“, aber bitte in Richtung Bombay, São Paulo oder Jakarta.

Félix Marquardt, "self made rich kid" 

Für Félix liegt das französische Problem mit der Jugend nicht nur in den Zahlen, sondern vor allem in den Köpfen. Er stammt aus einer gutsituierten Familie und steht dazu. Der Sohn eines austro-ungarischen Geschäftsanwalts und einer griechisch-US-amerikanischen Betreiberin einer Kunstgalerie mitten im bourgeoisen Pariser Marais-Viertel hat seine Lehrjahre in den Staaten verbracht. Zu Studienzeiten war der links engagierte Journalist Ignacio Ramonet sein Vorbild, bis ihn die liberale Ideologie mit ganzer Wucht traf. Er kehrt mit einer Sicht auf die Welt zurück, die eher der Captain Americas als der des russischen Philosophen Nikolai Bucharins entspricht. Heute, nach 2 Jahren Arbeitslosigkeit, hat Félix seinen Platz gefunden. „Ich bin, wie ich zu sagen pflege, ein self made rich kid.“ Nur – stellt das nicht seine Legitimität in Frage, für eine prekäre Generation zu sprechen? Wenn man ihm so kommt, reagiert Marquardt allergisch: „Das ist wirklich sehr französisch! Mir ist es scheißegal, wo ich herkomme. Wer sagt eigentlich, dass man manche Dinge nur sagen darf, wenn man aus einem bestimmten Milieu kommt?! Was ist das denn für eine Scheißeinstellung? Fragt mich nicht, wo ich herkomme – fragt mich, wohin ich gehe!“, echauffiert er sich wie ein gereizter Rapper.

Félix Marquardt lehnt sich zurück, streicht über seine Krawatte und fährt, diesmal ruhiger, fort: „In Frankreich haben wir es geschafft, eine ganze Generation von jungen Menschen heranzuziehen, die wie Alte denken.“ Ein Land, das, wenn schon kein Öl, dann auf jeden Fall Ideen hat. Erst forderte der ehemalige Kämpfer der Résistance Stéphane Hessel die Jugend auf, sich zu empören. Nun drängt sie ein Sprössling einer gut situierten Familie, fort zu gehen. Also - Bastille oder Bangalore?

Story by

Matthieu Amaré

Je viens du sud de la France. J'aime les traditions. Mon père a été traumatisé par Séville 82 contre les Allemands au foot. J'ai du mal avec les Anglais au rugby. J'adore le jambon-beurre. Je n'ai jamais fait Erasmus. Autant vous dire que c'était mal barré. Et pourtant, je suis rédacteur en chef du meilleur magazine sur l'Europe du monde.

Translated from Félix Marquardt : Casse-toi, jeune con !