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Exotische und pfiffige Kandidaten sorgten bei den Europawahlen für die richtige Würze

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Wien

Von Perrine Recours

Übersetzung: Thomas Bichler

Rallyefahrer, Thronerbe, notorisch rückfallgefährdeter Pirat, Präsidententochter… Weit gefehlt, wenn jemand meinte, alle Kandidaten für die Europawahlen seien vom gleichen Schlag gewesen. Ein kleiner Überblick über einige atypische Persönlichkeiten, die den Europawahlen die richtige Würze gaben, und die mit mehr oder weniger großem Erfolg für Überraschung oder Polemik sorgten.

Finnland: Vom Pilot zum Politiker ist es nur ein kleiner Schritt

Es war nicht das erste Mal, dass Ari Vatanen bei den Europawahlen antrat. Der ehemalige Rallye-Weltmeister ist ein Veteran, der bereits zweimal im Europäischen Parlament saß. Das erste Mal für sein Heimatland Finnland und das zweite Mal für das Land, in welchem er zurzeit lebt: Frankreich. Für 2009 zog Ari Vatanen es allerdings vor wieder in Finnland für die Partei der Nationalen Koalition anzutreten, denn die in Frankreich regierende UMP bot ihm keinen akzeptablen Platz auf ihrer Kandidatenliste an. Die Strategie ging auf, so tritt Ari Vatanen im Sommer sein drittes Mandat als Europaabgeordneter an.

Rumänien: Model, Königin des Jet-Set ……und Tochter des Staatspräsidenten

Elena Basescu ist eher für ihre Modefotos, nächtliche Ausgeheskapaden und ihr bewegtes Liebesleben bekannt, als für ihre politischen Ideen und Leistungen. Aber egal: Die 29-jährige Tochter des rumänischen Staatspräsidenten Traian Basescu hat beschlossen, sich in die Politik zu stürzen und bei den Europawahlen zu kandidieren. Sie trat sogar aus der regierenden Partei PDL (Liberaldemokratische Partei) aus, um als unabhängige Kandidatin anzutreten und zu vermeiden, dass ihr Vater in den Verdacht der Vetternwirtschaft gerät. Ihr Programm hingegen wirkte sehr minimalistisch, dem sie den simplen Namen gab: „EBa“, also Elena Basescu. Das hat ihr aber scheinbar in keiner Weise geschadet und sie erhielt 4,22 Prozent der abgegebenen Stimmen, die ihr auf jeden Fall einen Platz im Europäischen Parlament sicherten.

In Deutschland peitscht eine konservative Fetischistin für die Europawahlen ein

Gabriele Pauli war Abgeordnete der konservativen bayrischen CSU und Kandidatin für den Vorsitz der Partei, die sie schließlich im November 2007 verließ. Bekannt für ihre Provokationen ließ sie sich für ein Hochglanzmagazin mit roter Perücke und Latexhandschuhen ablichten. Mit ihrem Vorschlag, eine „Ehe auf Zeit“ mit einer Dauer von 7 Jahren einzuführen, um die Scheidungsrate zu senken, löste sie einen wahren Skandal aus. Als Spitzenkandidatin der „Freien Wähler“ konnten sie und ihre neue Partei allerdings nur 1,77 Prozent der Stimmen gewinnen.

Tschechische Republik: Ein Kosmonaut auf dem Weg zu den europäischen Sternen

Vladimir Remek ist der einzige Kosmonaut in der tschechoslowakischen Geschichte und der erste Nicht-Russe und Nicht-Amerikaner, der auf eine Mission ins Weltall fliegen durfte. Aber auch die Sterne der europäischen Flagge bringen ihn zum Träumen, denn er sitzt bereits seit 2004 für die kommunistische Partei von Böhmen und Mähren im Europäischen Parlament. Seine Handlungen als Abgeordneter verpuffen offenbar nicht im luftleeren Raum, denn er und seine Partei wurden 2009 mit 14,18 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt.

Frankreich: Ein Öko-Sänger, ein antisemitischer Kabarettist und ein „Star Academy“-Trainer

Frankreich zeichnet sich durch mindestens drei „Promi“-Kandidaten aus. Der erste ist Francis Lalanne: Sänger, Schauspieler und Kandidat der Unabhängigen Ökologischen Allianz. Der zweite ist Dieudonné M’bala M’bala: Ein farbiger Kabarettist mit Kameruner Wurzeln, der einst gegen den Rassismus kämpfte, aber seit einigen Jahren dem extremen rechten Lager zugehört. Zum Anlass der Europawahlen rief er eine offen antisemitische Liste ins Leben, die 1,3 Prozent der Stimmen in der Region Paris auf sich vereinigen konnte. Der dritte ist Phlippe Lelièvre: Kandidat der Liste „Citoyenneté et culture européenne“ (Staatsbürgerschaft und europäische Kultur). Er wurde der breiten französischen Öffentlichkeit durch die Reality-Show „Star Academy“ bekannt, in welcher er als Kandidaten-Trainer für schauspielerische Improvisation mitwirkte. Keiner von ihnen hat es ins Europaparlament geschafft.

Schweden: Piraten bereit zum Entern

Die Partei der Piraten (Piratpartiet), gegründet 2006 in Schweden, wurde nicht etwa von somalischen Freibeutern ins Leben gerufen. Ihre Gründer und Mitglieder sind waschechte Schweden und fordern unter anderem die Abschaffung von „Geistigem Eigentum“ und die Legalisierung des Datenaustausches über das Internet. Einige Umfragen sahen sie bei fünf bis sechs Prozent der Stimmen, was gerade ausgereicht hätte um einen ihrer Kandidaten als Abgeordneten ins Europäische Parlament zu schicken. Aber es kam noch besser. Sie errangen sieben Prozent, einen Sitz im Parlament, und wurden die stärkste Partei bei den unter 30-jährigen in Schweden.

Ungarn: Ein Habsburger auf der grünen Wiese

Erzherzog Georg von Habsburg ist der Enkel des letzten österreichisch-ungarischen Kaisers Karl I von Habsburg. Aber er trat nicht in Österreich für die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Denn er lebt in Ungarn, ist ungarischer Diplomat und Präsident des ungarischen Roten Kreuzes. Seine Partei, MDP (Ungarisches Demokratisches Forum) hat allerdings nur 5,3 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten was einem einzigen Sitz entspricht. Ein Resultat, das ihm nicht erlaubt, Mitglied des Europäischen Parlaments zu werden, da Georg von Habsburg nur auf Platz zwei der Liste seiner Partei kandidierte.

Die höchste Auszeichnung für seine Promis geht aber an…..Italien

Italien ist bereits gewöhnt an „atypische“ Abgeordnete: Im nationalen Parlament sitzt eine Pornodarstellerin mit ungarischen Wurzeln, „Cicciolina“ Illona Staller und die Enkelin des Duce, Alessandra Mussolini vertritt Italien im Europäischen Parlament. Aber die Wahlen 2009 hielten noch andere Überraschungen bereit. Zuallererst ist einer der Kandidaten Anwärter auf den italienischen Thron – der Enkel des letzten italienischen Königs, Prinz Emanuele-Filiberto von Savoyen. Letzterer trat unter dem Banner der Christdemokratischen Partei (UDC) an, erreichte aber nicht genug Stimmen, um ins Europäische Parlament einziehen zu können. Einige der Kandidaten auf der Liste des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi waren junge TV-Sternchen, die wahscheinlich eher aufgrund ihres Aussehens als ihres Lebenslaufes ausgewählt wurden. Nach einer kurzen Auseinandersetzung verblieb aber nur eine einzige von ihnen auf der Liste und wurde schließlich auch gewählt: Barbara Matera, ehemalige Finalistin bei der Wahl zur Miss Italien und Sprecherin im italienischen Fernsehen.

Was bleibt von diesen Persönlichkeiten einige Tage nach der Wahl im öffentlichen Bewußtsein? Zeitweise gelang es ihnen, lebhafte Debatten hervorzurufen, aber ein Großteil der Wähler interessierte sich nicht wirklich für diese Wahlen. Die Polemiken, ausgelöst durch einige dieser Kandidaten, betrafen eher formale Dinge als inhaltliche und führten dazu, die Abstimmung zu einer Art Showveranstaltung zu machen, anstatt die Probleme und Herausforderungen, mit denen die EU konfrontiert ist, zu thematisieren. Auffällig war außerdem, dass der Großteil dieser Wahlwerber mit einem mageren europäischen Lebenslauf ausgestattet war. Sie sind entweder sehr reich und/oder kommen aus einer berühmten Familie. Die Chancengleichheit scheint in Europa noch weit entfernt zu sein.

Diese Kandidaturen haben die Wähler wohl nicht dazu bewegt, an die Urnen zu gehen. Im Gegenteil, sie haben den Eindruck verstärkt, dass zu viele Politiker Europa gar nicht ernst nehmen – und wenn Europa nicht einmal von ihren Abgeordneten ernst genommen wird, warum sollte der einfache Bürger es dann tun?